Feine Manieren der britischen Diplomatie

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von Dr. Wolfgang Schacht

Von dem großen griechischen Philosophen Heraklit (540 v. Chr. – 480 v. Chr.) stammen die berühmten Worte „Man kann nicht zweimal in denselben Fluss steigen, denn es fließt anderes und wieder anderes Wasser zu“. Aber „Zweimal in die gleiche Pfütze fallen“, das ist durchaus möglich. Diejenigen, die in ihrer unmittelbarer Nähe stehen, werden dabei wohl einige Dreckspritzer abbekommen. So wie im Fall der Vergiftung des ehemaligen russischen Geheimagenten, Oberst Skripal, und seiner Tochter in der englischen Stadt Salisbury.

Sergej Skripal mit seiner geborenen Tochter Julia und seiner Frau Ludmila

Was hat sich in diesem „Skandal“ geändert? Hat er sich ausgedehnt und nimmt seine Bedeutung zu? Nein! Über den tatsächlichen Sachverhalt gibt es nach wie vor sehr wenige Informationen. Neue Sanktionen gegen Russland, die gibt es. Nach einer Beratung in Brüssel, wo allein die hasserfüllte britische Premierministerin, Theresa May, zu Wort kam, wurde der Botschafter der Europäischen Union in Moskau, Markus Ederer, abberufen.

Von den insgesamt 195 Staaten der Welt, sind 24 dem „Aufruf zur Solidarität mit Großbritannien“ gefolgt und haben eine bestimmte Anzahl russischer Diplomaten aus ihren Ländern ausgewiesen (siehe Abbildung oben).

Wohnhaus der Familie Skripal in Salisbury

Aus dem nebligen London hören wir zu unserem großem Erstaunen von BBC News, dass die britische Polizei an der Türklinke des Hauses, in dem der Oberst Skripal mit seiner Tochter gewohnt haben, die höchste Konzentration des Giftstoffes „Neuling“ festgestellt hat.

Jetzt endlich ist alles klar!

Die russischen Agenten haben schon in Moskau das Gift in dem Koffer der Tochter von Oberst Skripal versteckt. Natürlich wurde der ursprüngliche Koffer von den Mitarbeitern Putins gegen ein äußerlich völlig gleichaussehendes Exemplar ausgetauscht. Es handelt sich um eine hermetisch abgedichtete Spezialanfertigung, die in den Kellern des
russischen Geheimdienstes (Lubjanka) konstruiert und gebaut worden ist. Nur deshalb wurde im Flugzeug und auf den Flughäfen niemand vergiftet!

Beim Durchsuchen ihrer Sachen im Koffer, der schon in ihrem britischen BMW stand, hat die Tochter von Oberst Skripal zufällig den staubförmigen Giftstoff „Neuling“ berührt und ihn dadurch auch in die Belüftungsanlage ihres Fahrzeuges getragen. Trotz Einatmung der vergifteten Luft im Auto, dem Anziehen einer vergifteten Jacke aus dem
Koffer und einem anschließend guten Mittagessen in einer Pizzeria konnte sie gemeinsam mit ihrem Vater im gleichen BMW noch unbeschadet zu ihrem Haus fahren. Dort strömte der Giftstoff „Neuling“ aus dem Ventilationssystem des Fahrzeugs zufällig an die Türklinke des Hauses und verwandelte sich in eine klebrige Masse.

Sitzen wir in einem großen Theater, auf deren Bühne vor den Augen der ganzen Welt eine beeindruckende Show abläuft? Handelt es sich um ein völlig neues und besonders originelles Szenarium? Nein! Diese Show ist weder neu noch besonders originell! Eine derartige Geschichte gab es bereits vor fast 100 Jahren. Versuchen wir, uns
daran zu erinnern und aus den damaligen Ereignissen die richtigen Schlussfolgerungen für die aktuellen Ereignisse abzuleiten.

Der britische Außenminister Johnson beschuldigt Putin persönlich

Am 2. Februar 1924 wurde die sowjetische Staatsmacht von der führenden Weltmacht Großbritannien anerkannt. Nach dem Tode von Vladimir Iljitsch Lenin am 21. Januar 1924 verbanden damit die Söhne und Töchter des stolzen und nebligen Albion den Wunsch und die begründete Hoffnung, dass ihr Agent, Leo Trotzki, endlich die Macht im Reich der Bolschewiken übernimmt. Die nur für kurze Zeit an die Macht gelangte Labour – Minderheitsregierung unter Ramsay MacDonald strebte zur Festigung ihrer Macht ein Handelsabkommen mit der UdSSR an, das im britischen Parlament ratifiziert werden sollte. Dieses Handelsabkommen war für die durch Bürgerkrieg und Chaos geschwächte Sowjetunion von enorm großer wirtschaftlicher Bedeutung. Die Konservativen bezeichneten deshalb diese Bestrebungen als „trojanisches Pferd des Bolschewismus“ und erzwangen Ende Oktober 1924 Neuwahlen im Parlament. Und plötzlich – wie aus heiterem Himmel – erscheint am 25. Oktober 1924 in der britischen Zeitung „Daily Mail“ ein sensationelles Dokument – der Brief des Vorsitzenden des Exekutivkomitees der Kommunistischen Internationale, Grigori Sinowjew, an die englischen Kommunisten. In diesem Brief stellt er ihnen die Aufgabe, Massenproteste des britischen Proletariats und des britischen Militärs zu organisieren. Eine eindeutige Provokation, auf die das sowjetische Presseorgan „Prawda“ sofort reagierte: „ … Beachten Sie, wie geschickt der Termin gewählt wurde. Eine rechtzeitige Entlarvung des „imaginären Briefes“ der Kommunistischen Internationale sollte von vornherein ausgeschlossen werden, denn die Wahlen in Großbritannien finden schon in wenigen Tagen statt. Es ist nicht schwer zu begreifen, warum die Führer des Liberal-Konservativen Blockes zu diesem Mittel gegriffen haben, zur bewussten Fälschung eines Dokumentes mit weitreichenden Folgen“.

Interessant ist auch folgende Tatsache: Die Veröffentlichung des „Briefes der Kommunistischen Internationale“ erfolgte am frühen Morgen des 25. Oktobers 1924, die Protestnote der britischen Regierung an die UdSSR erschien nur wenige Stunden danach. Allein schon diese Tatsache ist äußerst verdächtig! Wie sich später herausstellte, hat der
dafür verantwortliche britische Beamte die von ihm ausgearbeitete Note direkt an die sowjetische Regierung geschickt, ohne die Zustimmung des Premierministers abzuwarten.

Ein beispielloser Fall!

Am 13. März 2018 hat die Premierministerin, Theresa May, ohne irgendwelche Beweise der Untersuchungskommission abzuwarten, Moskau beschuldigt, die Vergiftung von Oberst Skripal und seiner Tochter organisiert zu haben. Sie stellte Russland ein Ultimatum von 24 Stunden für die Abgabe eines Schuldbekenntnisses und für ein Zeichen der Reue. Ohne eine Abstimmung mit Ihrer königlichen Hoheit verkündigte sie außerdem der ganzen Welt, dass die Mitglieder der britischen Königsfamilie nicht zur Fußballweltmeisterschaft nach Russland reisen werden.

Der Skandal und die damit verbundenen Folgen waren vor mehr als 90 Jahren für die wirtschaftlich sehr schwache Sowjetunion weit ernster und schwerwiegender als heute. Moskau wusste, dass der „Rote Brief“ eine grobe Fälschung war. Doch was tun? In der Antwortnote forderte die sowjetische Seite von den Briten die Vorlage des Originalbriefes.
So wie damals fordert auch heute die russische Regierung auf der Grundlage des internationalen Rechts und der Vereinbarungen über die Nichtweitergabe chemischer und bakteriologischer Waffen echte Beweise und ihre aktive Teilnahme an den Untersuchungen über die Vergiftungsaffäre in Salisbury.

Alles umsonst! Auf der einen Seite das „abscheuliche Russland“, auf der anderen Seite die jahrhundertelange Autorität der britischen Diplomatie und ihrer allmächtigen Geheimdienste. Moskau unternahm deshalb im Jahre 1924 einen beispiellosen Schritt. Den führenden Vertretern der britischen Gewerkschaftskommission wurde in der sowjetischen
Hauptstadt der Briefwechsel der Kommunistischen Internationale vorgelegt. Die Kommission konnte sich überzeugen, dass es keine Weisungen für den Export der Revolution und damit für eine grobe Einmischung in die inneren politischen Angelegenheiten von Großbritannien und der anderen westlichen Länder gab. Die Schlussfolgerungen der Kommission wurden vom britischen Parlament nicht einmal zur Kenntnis genommen. Trotz alledem! Die Wahrheit kommt irgendwann immer ans Licht! 

Der britische Außenminister der Regierung Blair, Robin Cook, hat 70 Jahre nach dem großen Skandal die Geheimhaltung des Originaldokumentes aufgehoben.

Die Fälschung erwies sich in jeder Beziehung als äußerst grob und primitiv. Im Brief wurde z. B. eine alte Rechtschreibung (Orthographie) eingesetzt, die es in der sowjetischen Zeit schon lange nicht mehr gab.

Wie schon die Liberal-Konservativen der zwanziger Jahre, so verfolgt auch die britische Regierung von Theresa May bestimmte Interessen mit der Vergiftungsaffäre in Salisbury. Dazu gehören in erster Linie 

  • die Stärkung ihres schwankenden politischen Ansehens auf der Welle der
Russophobie;
  • die Übernahme der Führung der europäischen antirussischen Front und
  • die zeitliche Verschiebung des äußerst unangenehmen und sehr kostenintensiven
Austritts von Großbritannien aus der Europäischen Union (BREXIT).

Außerdem können endlich die „korrumpierten russischen Oligarchen“ geopfert und bestohlen werden, d.h. jene, denen die Briten noch gestern einen Unterschlupf boten. Auch das gehört zu den typisch feinen englischen Manieren. Die Geheimhaltung der Vergiftungsaffäre in Salisbury ist auf jeden Fall zu sichern – möglichst für viele Jahrzehnte.

Für die Russen ist die Position klar und sauber. Wir brauchen die Wahrheit, nochmals die Wahrheit und nichts anderes als die Wahrheit.

„Eine entlarvte Lüge ist für das Wohl der Menschheit genauso wichtig wie die reine
Wahrheit“ (Lew Tolstoi).

Dr. Wolfgang Schacht                                                                                                               01. April 2018

http://www.dr-schacht.com/Feine_Manieren_der_britischen_Diplomatie.pdf

In Anlehnung an einen Artikel von
Alexander Gorbatov
http://www.peremeny.ru