»Laus im Pelz«

Im Magazin »Kulturzeit« auf 3sat berichteten am 9. Januar 2014 Clemens Riha und Katja Riha unter diesem Titel über Joachim Gauck und die NSA:

Einst schmuggelte ein Spion des DDR-Auslandsgeheimdienstes brisante Akten aus der heute verfallenen US-Abhörstation auf dem Berliner Teufelsberg. Nur landeten die nicht wie im Fall Edward Snowden in der Öffentlichkeit, sondern beim Systemgegner in der DDR – und dort war ihre Reise noch lange nicht vorbei. (…) Bis 1992 arbeiteten in der sogenannten Field Station auf dem Teufelsberg bis zu 1500 Briten und US-Amerikaner im Dreischichtsystem rund um die Uhr. Aufnahmen aus der aktiven Zeit der Abhörstation gibt es so gut wie nicht. (…) Gedanken über das, was auf dem Teufelsberg genau vor sich geht, machte sich niemand. »Vor 20, 40 Jahren war die Empfindlichkeit nicht so hoch«, erklärt Christopher McLaren, ehemaliger Abhörspezialist auf dem Teufelsberg. Man habe gewußt, »es gibt Dinge, die nicht angenehm sind, aber nötig«. »Damals hatten wir den Spruch: In Gott vertrauen wir, alle anderen hören wir ab«, erinnert sich McLaren. Er ist immer noch Geheimnisträger. 40 Jahre ist das alles jetzt her. Ob vom Teufelsberg aus auch der Westen belauscht wurde, das will er uns nicht sagen. (…) Auch Gotthold Schramm und Klaus Eichner waren solche Sicherheitsleute – nur auf der anderen Seite, in der DDR. Bezüglich des Abhörskandals von Angela Merkel müssen sie schmunzeln. »Wie dumm sich Politiker und auch nicht wenige Journalisten stellen, ach, was sie alles neu erkennen«, sagt Klaus Eichner, NSA-Spezialist der Hauptverwaltung Aufklärung (HVA). »Die sollten mal in ihre Archive schauen oder im Internet recherchieren – dann wüßten sie, was Sache ist. Da ist insgesamt viel Heuchelei dabei.« In Gosen, südlich von Berlin, unterhielt der DDR-Auslandsgeheimdienst HVA eine Agentenschule und seine Abhöreinrichtungen gen Westen. Seit den 1980er Jahren hatte die HVA einen Spion in der NSA: James W. Hall. Der spielte der DDR Tausende streng geheime Unterlagen zu – darunter die »National Sigint Requirement List«, in der die weltweiten Spionageinteressen der US-Amerikaner aufgelistet waren. Die für die Bundesrepublik füllten 35 Seiten. »Das Problem ist ganz einfach«, so Klaus Eichner, »daß mit diesem Dokument auch heute noch nachweisbar wäre, wenn man es denn noch hätte, wie Freund und Feind von den Amerikanern ausgespäht werden sollten und ausgespäht wurden.« Doch dank der damals von Joachim Gauck geführten Stasi-Unterlagenbehörde gibt es die NSA-Akten nicht mehr. Gaucks Mitarbeiter Hansjörg Geiger, später Chef des Bundesnachrichtendienstes, gab 20 laufende Meter Akten an das Bundesinnenministerium heraus. Das schickte eigens bewaffnete Einheiten des Bundesgrenzschutzes zum Aktenabtransport. Darunter war auch jene »National Sigint Requirement List«. Sie trug die höchste Geheimhaltungsstufe »Top Secret Umbra«, wurde gar von Hand zu Hand an den Innenminister gegeben. Der händigte die Akten 1992 dann ungesichtet den US-Amerikanern aus. Geblieben sind allein die geschwärzten Übergabeprotokolle jener Akten, die hätten zeigen können, daß die Bundesrepublik bereits Jahrzehnte vor Edward Snowden ein Überwachungsziel der US-Amerikaner war und die Bundesregierung davon wußte. (…)

 

Siehe dazu auch:

Das Imperium ohne Rätsel

Das verschwiegene Wissen über die NSA – als durch Edward Snowden ruchbar wurde, dass Washington seine NATO-Verbündeten (und nicht nur diese) systematisch bespitzelte, füllte Entrüstung die Zeitungsspalten. Klaus Eichner, einst Chefanalytiker der US-Geheimdienste, konnte da nur müde lächeln. Was die NSA trieb, stellte die DDR-Aufklärung schon in den 80er Jahren fest. Nach der Wende wurden ihre Unterlagen im Auftrag des Bundesinnenministers aus dem Archiv entfernt und auftragsgemäß in die USA verbracht. Darin dokumentiert und bezeugt waren die Anfänge des elektronischen Weltkrieges. Fachmann Eichner verfolgte die Aktivitäten der NSA weiter und beschreibt, was war, was ist und was – vermutlich – noch sein wird.Imperium ohne Rätsel

ISBN 978-3-360-01864-9

128 Seiten
12,5 x 21,0 cm
mit Abb., Broschiert