Konferenz in Odense – ein Rückblick

Vor 6 Jahren, am 17./18. November 2007 fand an der Süddänischen Universität in Odense die internationale wissenschaftliche Konferenz

“Hauptverwaltung A: Geschichte – Aufgaben – Einsichten”

statt. Hier ein kurzer Rückblick.

Zur Vorgeschichte der Konferenz:

Im November 2001 führte die Birthler-Behörde in Berlin-Dahlem eine Konferenz zum Thema: „Stasi im Westen: Geheimdienste und Politik im deutsch-deutschen Verhältnis“ durch. Dort traten nur Referenten der Behörde bzw. handverlesene Publizisten und Historiker auf. Vertreter des MfS waren nur als Zuhörer geduldet.

Im Jahre 2002 sollte nach den Vorstellungen der Birthler-Behörde eine Podiumsdiskussion über die Kundschafter der DDR stattfinden. Als Thema war vorgesehen: „Kundschafter und Patrioten – Bundesbürger im Dienst der Stasi“. Einige „ausgewählte“ Vertreter der HVA sollten daran teilnehmen. Als ehemalige HVA-Mitarbeiter als Bedingung ihrer Teilnahme darauf bestanden, dass mindestens ein Kundschafter der DDR im Podium vertreten sein müsse, wurde dieses Projekt durch die Birthler-Behörde fallengelassen.

Die Arbeitsgruppe Aufklärer der GRH führte dann am 7. Mai 2004 mit Unterstützung des Berliner Alternativen Geschichtsforums die internationale Konferenz „Spionage für den Frieden?“ in Berlin-Kreuzberg durch. Dazu liegt ein Konferenzband vor. Es traten Vertreter ausländischer Geheimdienste, renommierte Historiker und leitende Mitarbeiter der HVA/des MfS auf – aber Vertreter der Birthler-Behörde nahmen nicht teil.

Ab 2006/2007 gab es eine erste Initiative für eine gemeinsame Konferenz, wesentlich getragen u.a. durch Helmut Müller-Enbergs (Birthler-Behörde) und den dänischen Historiker Thomas Wegener Friis. Es erfolgte eine regelmäßige Abstimmung mit Vertretern der HVA und die Zusicherung einer fairen Behandlung teilnehmender Mitarbeiter und Kundschafter. Das Konzept und die organisatorischen Vorbereitungen waren für den Juni 2007 in Berlin abgestimmt. Die Absage, vorwiegend inspiriert von der Birthler-Behörde und von Vertretern der Berliner CDU führte zu Reaktionen bei der Süddänischen Universität mit der Grundaussage: Wir wollen diese Konferenz im Interesse der Freiheit der Wissenschaft – wenn das in Deutschland nicht möglich ist – dann in Dänemark. (Siehe auch Interview mit Dr. Thomas Wegener Friis in der “jungen Welt” vom 12.06.2007)

Zu den Reaktionen nach Abschluss der Konferenz:

Im Widerspruch zu allen früheren positiven Wertungen und Appellen für die „Freiheit der Wissenschaft“ – noch bis zum Abschluss der Konferenz am Sonntag, 18.11. – erklärte der Veranstalter, Dr. Thomas Wegener Friis, am 23.11.: „Somit zeigten sich auf dieser Konferenz zwei Sachverhalte:

– Die anwesenden Wissenschaftler (Anm.: gemeint sind offensichtlich die westlichen Wissenschaftler!) haben eine durch Fakten abgesicherte Darstellung der DDR-Spionage geliefert.

– Die geistige Verfassung der alten Stasi-Eliten hat sich nicht verändert. Diese Personen haben sich mit ihren propagandistischen Äußerungen öffentlich diskreditiert.“

Das war eine erstaunliche Kehrtwende von der Position, die der Veranstalter Dr. Friis während und unmittelbar nach der Konferenz öffentlich vertreten hat. So wurde Dr. Friis z.B. in der “Frankfurter Rundschau” (19.11.2007) noch wie folgt zitiert: „Dass die HV-A-Leute ihre Position darlegen würden, das ist natürlich kontrovers. Aber alles in allem ist das vernünftig abgelaufen”. Und der „Stern“ (19. 11. 2007) berichtete: „der Konferenzorganisator Friis war am Ende hoch zufrieden mit dem Erfolg seiner Konferenz“. Gegenüber der Tageszeitung “junge Welt” (20.11.2007) sagte Dr. Friis, die Konferenz sei „sehr vernünftig gelaufen, es war ein spannendes Experiment“ Nach einigen Referaten habe es „zwar hitzige Diskussionen“ gegeben, man sei „sich aber nicht an den Kragen gegangen“. Was bei Dr. Friis den plötzlichen Sinneswandel verursacht hat, so dass er einige Tage später mit einer total konträren Stellungnahme an die Öffentlichkeit ging, darüber kann nur spekuliert werden.

Dagegen zeigte sich die schwedische Professorin Dr. Birgitta Almgren in einem Interview in “junge Welt” vom 30.11.2007 über das Ergebnis der Konferenz hocherfreut und zugleich machte sie klar: „Es geht für die Wissenschaft nicht um Schuldbekenntnisse.“

Unter Bezugnahme auf eine Veröffentlichung in der Süddeutschen Zeitung betonte der westdeutsche Wissenschaftler Dr. Andreas Kalckhoff in einem Leserbrief am 22.11.2007: „Die Kritik, mit der die Autorin die Veranstalter bedenkt, ist für eine Journalistin, der die Trennung von Bericht und Kommentar, von Recherche und Interpretation doch vertraut sein müsste, schon erstaunlich. Anscheinend hat sie erwartet, dass die Spione, von denen einige von Gerichten schuldig gesprochen worden sind und ihre Strafe abgesessen haben, von den Historikern quasi noch einmal vor Gericht gezerrt und unter Johlen des Publikums abgeurteilt werden. Eine Historiker-Tagung mit einem Schauprozess zu verwechseln, ist indes ein Missverständnis.“

Natürlich meldet sich auch die Birthler-Behörde zu Wort:

Die Behörde, die eine Beteiligung an der Konferenz abgelehnt hatte, kritisierte deren Verlauf. Vom wissenschaftlichen Anspruch der dänischen Veranstalter, die Ansichten der HVA-Vertreter einer kritischen Reflexion auszusetzen, sei “nicht viel übrig geblieben”. “Aufklärungswille ist hier nicht erkennbar, es geht nur um Rechtfertigung”, sagte der wissenschaftliche Mitarbeiter der Behörde, Jens Gieseke (der als „stiller Beobachter“ an der Konferenz teilnahm), der Nachrichtenagentur AFP. “Die alten Stasi-Generäle haben keinerlei Reflexion dessen, was sie getan haben. Denen geht es nur um Reinwaschung und ums Abstreiten von Verantwortung”, sagte Birthler-Sprecher Andreas Schulze. “Man adelt Leute zu Zeitzeugen, die nichts gelernt haben. Die verbreiten doch nur Geschichtsklitterung.”

Und Hubertus Knabe sattelt noch drauf: Die Konferenz verharmlose die SED-Diktatur sagte Knabe vor Beginn der Konferenz. Dem Organisator Thomas Wegener Friis mangele es offenbar an der notwendigen Sensibilität im Umgang mit Diktaturen. Das Argument, die Stasi-Offiziere seien Zeitzeugen, sei absurd. „Das ist so, als würde man Osama bin Laden und seine Mitarbeiter zu einer Terrorismus-Tagung einladen.“ Damit unterstreicht Knabe seine Position, dass die Historiker das jetzt nachholen müssten, was die Justiz nicht geschafft hat.

Zum Auftreten bürgerlicher Wissenschaftler:

Von den 13 westlichen Referenten behandelten zwei Historiker Themen weitab vom Inhalt der Konferenz (Prof. Nigel West über Überläufer aus dem KGB in den 40er/50er Jahren; Dr. Matthias Uhl über die Militärspionage des KGB unter Chruschtschow).

Die “Frankfurter Rundschau” zog als Resümee: „Die Fachwissenschaftler unter den Rednern blieben allerdings deutlich im Schatten der einstigen DDR-Geheimdienstler, die selbstbewusst bis aggressiv auch Fragerunden zur Selbstdarstellung nutzten.“

Der Leiter des Museums in der Berliner Normannenstr., Bernd Lippmann, hatte sich, anders als seine Berliner Kollegen, für die Teilnahme an der Tagung entschieden. Nach seinen Erklärungen wollte er den einstigen „Stasi-Generälen nicht das Feld überlassen“. Während seines Vortrages mit subjektiven und unrealistischen Vorstellungen über die Struktur der Westspionage des MfS stellte er dann u.a. die tiefgründige Frage: „Weil Sie doch so viel Wert auf Ihre antifaschistische Motivation legen, möchte ich mal wissen, ob alle von der Stasi verhafteten DDR-Bürger in Ihren Augen Faschisten gewesen sind?“ Herr Lippmann bezog sich auch auf seine Kontakte zur „Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte – IGfM“. Auf eine Anfrage aus dem Publikum über geheimdienstliche Hintergründe der Gründung und des Wirkens dieser „IGfM“ wusste Herr Lippmann keine Antwort. Ein Vertreter der HVA nannte ihm spontan die Namen der Geheimdienstagenten, die Gründer der „IGfM“ waren – und Herr Lippmann konnte sich dann zumindest an einen Namen erinnern. Frühere Stasi-Offiziere sollten nach Ansicht von Lippmann zwar als Zeitzeugen befragt werden, dürften aber nicht als Verkünder ihrer Ideologie auftreten.

Der Militärhistoriker und Offizier der Bundeswehr, Dr. Armin Wagner aus Hamburg, versuchte eine Ehrenrettung des Bundesnachrichtendienstes (BND) und sparte dafür jede kritische Bewertung der Spionagemethoden des BND aus, die zu zahlreichen Verhaftungen durch das MfS führten. Es ist aus zahlreichen Publikationen ersichtlich, dass der BND wegen mangelnder Professionalität und Fehlern der V-Mann-Führer Hunderte von Agenten durch Enttarnung in der DDR verloren hat. Das findet bei Dr. Wagner keine Erwähnung. Nach Ansicht von Dr. Wagner habe der westdeutsche Dienst trotz viel schwierigerer Startbedingungen stets ein “zutreffendes Lagebild” der sowjetischen Militärpräsenz in der DDR gehabt – auch wenn es mit der Spionage in den obersten Sphären der ostdeutschen Politik sehr haperte. Dr. Wagner bediente die alten Klischees der Geheimdienst-Beziehungen Ost-West: „Aber es macht schon inen ethischen Unterschied, ob ich für eine liberale freiheitliche Ordnung arbeite oder für ein diktatorisches Regime.“

 

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Präsidium der Sektion 5: Gegenspionage und Spionageabwehr

Die Tageszeitung junge Welt bilanzierte:

Vor allem bei Wissenschaftlern aus dem Ausland stieß die Konferenz auf Resonanz. »Das war hochspannend. Ich habe noch nie so viele interessante Details erfahren«, lobte die niederländische Historikerin und Autorin Beatice de Graaf. »Von der HVA-Seite gab es selbstkritische und gut formulierte Beiträge, bei manchen Referaten wäre aber vielleicht etwas mehr wissenschaftliche Reflexion nötig gewesen.« Klaus Schulze, Assistenz-Professor an der Universität Roskilde (Dänemark), zeigte sich überrascht »von der problematischen wissenschaftlichen Qualität von zwei der Bundesregierung nahe stehenden Referenten«. Der deutsche Friedensforscher Erich Schmidt-Eenboom hob den internationalen Aspekt hervor: »Es hat sich ausgezahlt, daß Referenten aus Drittstaaten in die Konferenz einbezogen wurden«, bemerkte er gegenüber “junge Welt”. »Ich hoffe, daß diese neue Sachlichkeit auch nach Deutschland überschwappt.«

Die Harvard – Professorin Kristie Macrakis, die seit Jahren über die wissenschaftlich-technische Aufklärung der DDR (Sektor Wissneschaft und Technik – SWT) forscht und dazu etliche hundert Akten aus der Birthler-Behörde ausgewertet hat, hob die Qualität der jahrelang tätigen Quellen des Bereiches SWT hervor und polemisierte außerdem über die Thesen von Dr. Wagner, dass 90 Prozent der Quellen der HVA auf der Basis materieller Interessen tätig war (Dr. Wagner beruft sich dabei auf Forschungsergebnisse der Birthler-Behörde). Sie bekräftigte ihre Position noch einmal nachdrücklich in einem Leserbrief in der FAZ vom 5.12. mit der Überschrift: „Warum so feindselig?“

Erich Schmidt-Eenboom gab eine kritische Bilanz der BND-Spionage gegen die DDR. Nach authentischen Angaben hatte der BND im Jahre 1988 rund 180 Agenten in und gegen die DDR eingesetzt; davon waren 160 vom MfS gesteuerte Doppelagenten, von den 20 noch nicht offiziell enttarnten Quellen hatten zwei, maximal drei, die Qualität von Innenquellen mit entsprechendem Informationszugang.

Der britische Historiker P. Maddrell, der seit Jahren Forschungen zur westlichen Spionage von 1945 bis 1961 vom Boden der BRD aus gegen die SBZ/DDR betreibt, stellte fest, dass bei diesen massiven Spionage- und Subversionsangriffen die DDR zu umfassenden Abwehrmaßnahmen gezwungen war, ihre Abwehrarbeit also legitim war.

Besonders faszinierend war der Vortrag des langjährigen Leiters der Historical Division der CIA, Benjamin Fisher. Er bezeichnete es als den größten historischen Fehler der CIA, die HVA als „toten Nebenarm“ des KGB betrachtet und damit unterschätzt zu haben. Die Quittung war, dass alle CIA-Agenten in und gegen die DDR vom MfS gegengesteuert waren. In seinem Beitrag listete er eine Reihe eindrucksvoller Erfolge der HVA auf.

Abschließend berichtete der US-amerikanische Forscher und frühere Diplomat Robert Livingston ganz sachlich und unvoreingenommen über seine Forschungsergebnisse zum Problem der „Rosenholz“-Dateien. Dabei unterstrich er, dass die Arbeit der HVA in der BRD, wie auch anderswo, nicht auf Systemsturz, Unterwanderung usw. ausgerichtet war und gab eine hohe Wertung der HVA-Ergebnisse bei der Aufklärung in der Bundesrepublik und der NATO.

Noch einmal aus der Bilanz der „jungen Welt“:

In Dänemark ist machbar (Anm.: heute muss man sagen: schien kurze Zeit machbar), was in Deutschland zur Zeit offenbar noch nicht möglich ist: eine offene und auf Erkenntnisgewinn gerichtete Diskussion über die Rolle der Auslandsaufklärung des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) der DDR.

Die Konferenz war aus unserer Sicht unter den gegebenen Möglichkeiten ein wissenschaftlicher Erfolg, der eine Fortsetzung verdient. Sie bot Gelegenheit zu sachlichen Gesprächen und Dialogen.

Im Frühjahr 2008 sollte – wie mit der Tagungsleitung vorab abgesprochen – ein Konferenzband mit möglichst allen Beiträgen (das ist abhängig von der Zustimmung der Referenten zur Veröffentlichung ihrer Vorträge) erscheinen. Die Arbeitsgruppe Aufklärung der GRH begann sofort nach der Rückkehr aus Odense mit der Vorbereitung des Buches. U.a. wurden alle Referenten schriftlich angefragt, ob sie ihre Beiträge zur Veröffentlichung zur Verfügung stellen würden. Die Mehrheit der westlichen Referenten lehnte das ab, zum Teil mit dem Hinweis, dass man eine eigene Publikation plane. Daraufhin entschlossen sich die Herausgeber des Konferenzbandes, einige Teilnehmer um die Überlassung ihrer Aufzeichnungen zu bitten. Daraus konnten zwar keine wortgetreuen, aber an den Hauptinhalten orientierten Wiedergaben der Referate westlicher Historiker geschaffen werden. Im Konferenzband erschienen sie mit dem Vermerk: Aus Mitschriften von Teilnehmern. Damit konnte bereits im I. Halbjahr 2008 ein fast kompletter Konferenzband der Öffentlichkeit übergeben werden. (Hauptverwaltung A – Geschichte, Aufgaben, Einsichten; Alle Referate und Beiträge; edition ost 2008)

Erst im Februar 2012 erschien in englischer Sprache ein Band über die ostdeutsche Auslandsaufklärung (East German Foreign Intelligence – Myth, reality and controversy in der britischen Reihe „Studies in Intelligence Series“). Dieser Band enthält die Beiträge der westlichen Teilnehmer der Konferenz in Odense, ohne diese Konferenz zu erwähnen und ohne auch nur mit einem Wort darauf hinzuweisen, dass auch Vertreter der HVA ihre Sicht zu den behandelten Themen unterbreitet hatten. Das zeugt nicht gerade von einem seriösen Herangehen an ein brisantes zeitgeschichtliches Thema.

Die Medienreaktion nach der Konferenz trug groteske Züge und stand mit dem tatsächlichen Verlauf der Tagung im krassen Widerspruch. Hier nur wenige Schlagworte aus einigen Medien:

Ohne Unrechtsbewusstsein; keine Aufklärung, nur beharrliche Rechtfertigung; die verbreiten doch nur Geschichtsklitterung; Zeitzeugen oder Unbelehrbare; Verhöhnung der Stasi-Opfer. Diese Aussagen wurden ergänzt durch hasserfüllte persönliche Diskriminierungen. Da konnten wir lesen oder hören: Gespenstertreffen in Dänemark; Seniorentreffen der schauerlichen Art; Butterfahrt der Stasi-Offiziere: Eine Hundertschaft beleibter Senioren schleicht in den Hörsaal; Versammlung alter Männer auf Krücken und Gesundheitsschuhen.

Die noch während der Konferenz geäußerten Erwartungen, Odense könnte der Auftakt weiterer wissenschaftlich orientierter Begegnungen auf gleicher Augenhöhe sein, erfüllten sich nicht. Die Hardliner hatten wieder einmal ihren „Klassenauftrag“ erfüllt.

Klaus Eichner