Die Eltern von Karl und Rosa

Am 18.11.2014 erschien in der “jungen Welt”:

Die Eltern von Karl und Rosa

Keine Fernsehserie, sondern die Geschichte einer kommunistischen Familie: »Honeckers letzte Spione« heute im RBB

Christof Meueler

Das wäre eine Fernsehsendung zum Mauerfalljubiläum gewesen: »Honeckers letzte Spione«. Läuft aber erst heute abend auf RBB, versteckt und doch entdeckt um 22.45 Uhr. Der Titel klingt etwas reißerisch, der Untertitel aber poetisch: »Junior und der Schwan«. Dieser Film von Konrad Ege, Daniel Ast und Jürgen Ast bildet einsam und allein das Gegenprogramm zum Kitschkrempel der DDR-Verdammungsindustrie, der bundesdeutschen Staatsräson seit ca. 1492.

»Es gab Tränen und ein schlimmes Gefühl, man fühlt sich allein in dieser Welt« fasst in dem Film Maximilian Stand rückblickend seine Empfindungen beim Ende der DDR zusammen. Er ist über 80 und sitzt im Halbschatten seines Esszimmers, aber nicht irgendwo in deutschen Landen, sondern in New York City. Maximilian »Mille« Stand war ein Spion der DDR in den USA, ein »Kundschafter an der unsichtbaren Front des Kalten Krieges«, wie man in der DDR sagte. Und sein Sohn wurde auch einer. Und dessen Ehefrau, sowie ein Studienfreund des Sohnes. Der Filmtitel trügt nicht: Die US-Bürger Kurt Stand, Theresa Squillacote und James Clark waren »Honeckers letzte Spione«. Die Decknamen von Kurt und Theresa lauteten »Junior« und »Schwan«. Verhaftet und verurteilt alle drei erst Jahre nach dem Mauerfall, aufgrund der berühmten »Rosenholz-Dateien«, die nach dem Ende der DDR in den Besitz der CIA geraten waren, weil »wir nicht damit rechneten, dass die Russen sie verraten würden«, wie Lothar Ziemer, ihr früherer Führungsoffizier von der Hauptverwaltung Aufklärung, erzählt.

Maximilian Stand wurde nie entdeckt. Was er tatsächlich gemacht hat, wird in »Honeckers letzte Spione« nicht genau gesagt. Er selbst bemerkt beiläufig, dass er der NASA geholfen habe, als das erste Mondlandefahrzeug nicht richtig fahren konnte. Das könnte auch ein lakonisches Zitat aus einer angesagten Fernsehserie sein. Gegenwärtig läuft im US-TV »The Americans«, eine Serie über ein fiktives Ehepaar, das im Washington der 80er Jahre für den KGB arbeitet. »Honeckers letzte Spione« dagegen ist the real stuff. Der Dokumentarfilm erzählt auf sehr intelligente Weise die Geschichte einer kommunistischen Familie in den USA, die derart interessant ist, dass sich aus ihr problemlos mehrere Serien-Staffeln entwickeln ließen. Doch die Filmemacher von »Honeckers letzte Spione« schöpften lieber aus der kommerziell-fiktional kaum zu steigernden Wirklichkeit. Es geht auch in ihrem Film um Idealismus, Verzweiflung, Neurosen, politische Zerwürfnisse, Gefängnis, und Verrat. Die Kinder von »Junior« und »Schwan« heißen beispielsweise Karl und Rosa. Dass sie nach den KPD-Gründern benannt sind, kapierten sie erst, als sie feststellen mussten, daß sie mit ihren Eltern nicht Weihnachten feiern können, weil die im Gefängnis sind. Und zwar für den gesamten Rest ihrer Jugend. Pete Seeger singt dazu als 94jähriger die alten Lieder. Er sagt aber auch, was ihn an den Kommunisten nervte: »Sie reden immer von Disziplin, Disziplin, Disziplin«.

Als linker Jude flüchtete Maximilian Stand in den 30er Jahren aus Leipzig vor den Nazis erst nach Prag, dann nach New York. Dort lernte er seine Frau Hannelore kennen und wurde in den 50er Jahren Agent für die DDR. Ziemer wurde sein Führungsoffizier. Anfang der 70er stellte ihm Maximilian seinen Sohn vor und der wiederum stellte Ziemer zehn Jahre später seine Frau Theresa Squillacote vor. Anders als er machte sie die Karriere als Perspektivagent, auf die er keine Lust gehabt hatte. Squillacote schaffte es als Anwältin bis ins Pentagon, Kurt Stand arbeitete lieber für die Gewerkschaft. Ziemer sagt, Kurt habe immer sehr frei darüber entschieden, was er machen wollte und was nicht. Seine Berichte als Agent seien eigentlich kaum zu gebrauchen gewesen. Im Pentagon landete irgendwann auch Stands Freund James Clark als eine Art Freelancer. Wie in einer TV-Serie begann Ziemer eine Affäre mit Squillacote.

Doch alle drei waren keine Topagenten, eher »das Kleingeld des Kalten Kriegens«, wie ein Mitarbeiter von CNN im Film John Le Carré zitiert. Trotzdem bekamen sie hohe Haftstrafen: 21 Jahre für Squillacote, 16 für Stand und nur zwölf für Clark, weil er als Einziger mit den US-Behörden kooperieren wollte. Stand rutschte in die Verhaftung seiner Ex-Frau mit rein. Seine Eltern erlebten seine Haftentlassung 2013 nicht mehr. Squillacote sitzt immer noch ein. Zum Schluss zitiert Kurt Stand, der auch lange aus dem Gefängnis für diese Zeitung schrieb, aus Heiner Müllers Stück »Mauser«. Dann runzelt er die Stirn. Im Abspann singt Pete Seeger.