»Die Leipziger Richter müssen jetzt nachsitzen«

„junge Welt“ vom 10.10.2013 / Inland / Seite 2


Richterspruch aus Karlsruhe: Thüringens Oppositionsführer darf nicht vom Verfassungsschutz überwacht werden. Gespräch mit Bodo Ramelow

Interview: Peter Wolter
Bodo Ramelow ist Fraktionsvorsitzender der Partei Die Linke im thüringischen Landtag
Seit Jahren haben Sie darum gekämpft, daß die Verfassungsschutzämter Ihre Überwachung einstellen. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) in Karlsruhe hat Ihnen gestern recht gegeben. Hat es Sie überrascht?

Es hat mich in der Tat überrascht, ich war darauf nicht vorbereitet. Ich war mir allerdings seit langem sicher, daß mir dieser Sieg irgendwann zuteil wird. Ich wurde 30 Jahre lang vom Verfassungsschutz beschnüffelt, habe 15 Prozesse geführt und zehn Jahre lang dagegen gekämpft. Immerhin habe ich jetzt die Genugtuung, daß alle Maßnahmen verfassungswidrig waren, die der Geheimdienst gegen mich ergriffen hat.

Welche Konsequenzen hat das Urteil jetzt?

Zunächst einmal die, daß der Fall zum Bundesverwaltungsgericht nach Leipzig zurückverwiesen wurde. Die Herren in den roten Roben haben eine schallende Ohrfeige bekommen, sie haben jetzt die Chance, noch einmal über ihr früheres Urteil nachdenken zu können. Sie müssen nachsitzen. Ich werde also im Leipziger Gerichtsgebäude noch einmal in die Nähe des Dimitroff-Saals kommen. Damit werde ich für die dunklen Stunden entlohnt, die ich dort im Flur sitzen mußte, um auf das damalige Scheißurteil zu warten. Ich gehe davon aus, daß ich in Leipzig dieses Mal obsiegen werde, denn die von Karlsruhe aufgestellten Kriterien sind sehr eng gefaßt. Außerdem gibt es mindestens sechs weitere Klagen, die entscheidungsreif sind – unter anderem von den Bundestagsabgeordneten Petra Pau, Gesine Lötzsch und Dietmar Bartsch. Das Karlsruher Urteil muß auch für diese Fälle Entscheidungsgrundlage sein.

Und politische Konsequenzen?

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) muß dafür sorgen, daß jede Observation der Linkspartei und ihrer Fraktionen eingestellt wird. Sie muß die deutliche Ansage machen, daß es nach diesem Richterspruch keine Rechtfertigung mehr dafür gibt, in irgendeiner Form Daten, Fakten oder sonstige Informationen über Abgeordnete der Linken zu sammeln. Ich gehe noch ein Stück weiter: Die Bespitzelung aller Mitglieder meiner Partei ist einzustellen. Am skandalösesten verhält sich Bayern: Dort müssen Menschen, die in den öffentlichen Dienst wollen oder öffentliche Gelder beziehen, per Unterschrift bestätigen, daß sie nicht Mitglied der Linken sind. Für den Fall, daß Merkel nicht eingreift, wünsche ich mir, daß die neue Bundestagsfraktion meiner Partei alle juristischen Mittel prüft.

Es ist immer wieder zu beobachten, daß oberste Gerichte mit verfassungsrechtlichen Argumenten Urteile von Vorinstanzen kassieren. Haben Sie eine Erklärung, warum diese immer wieder in Sachen Grundrechte belehrt werden müssen?

Das ist Kalter Krieg – für viele Juristen steht der Feind nicht nur links, er muß auch mit allen Mitteln bekämpft werden. Rechts steht die pucklige Verwandtschaft, da geht eben hin und wieder etwas schief. Diese Haltung hat uns all das beschert, was im Moment unter der Überschrift »NSU« zu besichtigen ist. Als Linke müssen wir immer wieder betonen, daß die Wirtschaftsordnung der Bundesrepublik keinen Verfassungsrang hat, daß es völlig legitim ist, über Alternativen nachzudenken. Wie schon der Politikwissenschaftler Wolfgang Abendroth herausgearbeitet hat, werden linke Denkstrukturen in dieser Republik immer gleich unter Generalverdacht gestellt.

Wie ist das mit den Anwaltskosten? Die 15 Prozesse müssen Sie doch ein Heidengeld gekostet haben. Muß das alles vom Staat übernommen werden?

Einen Teil davon hat er schon bezahlt. Die Kosten der Prozesse, die ich in Thüringen geführt habe, wurden mit einer gemeinsamen Erklärung von der Landesregierung und mir aus der Welt geschafft – das Land bezahlt. Großen Dank schulde ich der Solidarität der Bundestagsfraktion und meiner eigenen Landtagsfraktion, anders hätte ich nicht so lange durchhalten können. Selbst wenn man so zäh ist wie ich, man muß auch den finanziellen Spielraum haben. Und deswegen sage ich, daß dieses Urteil nicht nur für mich selbst, sondern für uns alle wichtig ist.

 

Siehe auch: Pressestimme in “junge Welt”