Ehemaliger KGB-Offizier: Die geheimste Aktion in der DDR-Geschichte

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Natalia Pawlowa

Im Fachjargon „Der Deutsche“ genannt, unternahm der sowjetische Geheimdienstler Georgi Sannikow zweimal langfristige Dienstreisen nach Deutschland. Im Gespräch mit Sputnik berichtete er über Ereignisse, die er während des Baus der Berliner Mauer und des Mauerfalls miterlebt hat.

Als Veteran des Auslandsnachrichtendienstes beteiligte er sich als Jugendlicher nach dem Zweiten Weltkrieg an der Zerschlagung des Bandera-Untergrunds in der Westukraine und gewann dann als Mitarbeiter des sowjetischen Geheimdienstes wichtige Informationen über Westdeutschland. In Berlin war Sannikow bereits während der Errichtung der Mauer, die die Stadt teilte. So denkt er an jenen Tag zurück:

 „Am Morgen des 12. August 1961 rief uns der Botschafter zusammen und sagte, dass heute Nacht die Sektorengrenze gesperrt werde. Er warnte, dass wir weder unseren Ehefrauen noch unseren deutschen Freunden etwas sagen dürften. Im Falle eines Informationsverlustes würden Maßnahmen getroffen bis hin zum Abzug in die Heimat. Das war für uns keine Überraschung, Gerüchte über die Grenzsperrung waren schon seit mehreren Jahren im Umlauf. Man befahl uns, alle Verabredungen für den Abend abzusagen und nicht nach Westberlin zu gehen.“

Sannikow hatte an jenem Abend eine Verabredung mit der lebenden Legende Moritz Mebel. Sie wollten schon seit langem mit ihren Ehefrauen in ein Lokal gehen, das fast immer voll ausgebucht war, und hatten schon Tickets für eine Nachtshow besorgt; deshalb beschlossen sie, das Treffen nicht abzusagen. Obwohl beide sehr gute Freunde und absolut aufrichtig miteinander waren, erzählte Sannikow damals nichts über die bevorstehende Aktion. Sie war um 24 Uhr geplant, und eine Stunde vor Mitternacht verließ er mit seiner Ehefrau unter irgendeinem Vorwand das Lokal.

Die Gruppe der sowjetischen Streitkräfte in Deutschland war unterdessen voll einsatzbereit für den Fall, dass sich die Situation zuspitzt, aber die Grenzsperrung verlief ungestört.

„Um 12 Uhr nachts kamen zur Trennungslinie Militärlastwagen der Nationalen Volksarmee der DDR mit Mitgliedern der Kampfgruppen, mit Vertretern der ostdeutschen Arbeiterklasse. Polizeiwagen standen entlang der Trennungslinie, es kamen Streitkräfte der DDR. Ohne Trubel und Hektik begannen sie, entlang der westlichen Sektorengrenze Berlins den Stacheldraht, die sogenannte Bruno-Spirale, zu verlegen. Es wurden auch Betonpfeiler montiert. Diese Spirale wurde übrigens in Westdeutschland gekauft. Der Westen hat sich also indirekt an der Aktion beteiligt.“

Laut Sannikow war das die geheimste Operation in der DDR-Geschichte. West-Berlin war ein Dorn im Herzen der DDR und fügte der jungen Republik und dem ganzen sozialistischen Lager einen enormen wirtschaftlichen und politischen Schaden zu.

„Der Flüchtlingsstrom in den Westen war ungeheuer. Vom Oktober 1949 bis August 1961 hatte die DDR drei Millionen Bürger verloren, die weniger aus politischen, als vielmehr aus wirtschaftlichen Gründen nicht in dem sozialistischen Land bleiben wollten. 1953 sind über Berlin etwa 300.000 Menschen in den Westen geflohen, darunter Ingenieure, Lehrer, Ärzte und Wissenschaftler. Die Verluste für den Staatshaushalt der DDR betrugen jährlich über fünf Milliarden Mark. Die Offene Grenze mit West-Berlin führte zu Sabotageakten und Spionage.”

Sannikow denkt an eine Episode zurück, die damals in aller Munde war. Als die Grenze gesperrt wurde, weckte der Regierende Bürgermeister von West-Berlin, Willy Brandt, den US-Präsidenten John F. Kennedy und erzählte ihm über die Ereignisse. Letzterer fragte, ob auch russische Panzer an der Grenze stehen würden. Nein, antwortete Brandt. Darauf sagte Kennedy: Na, dann können Sie ruhig schlafen. Eine Mauer ist besser als ein Krieg.“

Zu jener Zeit war Sannikow in der Westberliner Pressegruppe tätig. Zehn Jahre danach beteiligte er sich 1970-1971 als Presseattaché der Delegation des Außenministeriums der UdSSR an den vierseitigen Verhandlungen über West-Berlin – den ersten Verhandlungen zwischen der Sowjetunion und den Anti-Hitler-Koalitionspartnern USA, Großbritannien und Frankreich.

In seinem letzten Buch: „Durch den Krieg gehärtet. Die Illegalen“, das 2018 den ersten Preis des Auslandsgeheimdienstes erhielt, geht es unter anderem um die Wiedervereinigung Deutschlands. Die sowjetische Staatsführung hatte sich faktisch von den Ereignissen zurückgezogen. Die Wiedervereinigung der DDR und der BRD sei im Fahrwasser der westlichen Politik verlaufen, und Gorbatschow habe seine DDR-Verbündeten verraten, sagte Sannikow.

„Während der Wiedervereinigung Deutschlands (bei uns wurde das Übernahme genannt) hatte DDR-Staatschef Erich Honecker Gorbatschow persönlich darum gebeten, dass die verstaatlichten Betriebe auf dem ostdeutschen Territorium bleiben und weiter funktionieren, dass das Offizierskorps des DDR-Nachrichtendienstes und der DDR-Streitkräfte nicht verfolgt wird. Es wurde weder das eine noch das andere erfüllt. Honecker bat Gorbatschow, dieses Thema mit Helmut Kohl zu besprechen, aber Gorbatschow hat es nicht einmal in den Raum gestellt. Mehr noch. Auf die Frage von Kohl, was er mit den ostdeutschen Kommunisten tun soll, antwortete Gorbatschow: ,Ich überlasse es Ihnen.’ Dann begann die Hexenjagd.“

Der Oberst des Geheimdienstes a.D., Georgi Sannikow, wurde im März 90 Jahre alt. 1977 hatte er sich ins Zivilleben zurückgezogen und widmete sich dem literarischen Schaffen.

Erschienen in Sputnik 19.07.2019