Grundrechte verteidigen: Frieden, kein Krieg!

Rede von Klaus Linder, Landesvorsitzender des Berliner Freidenker-Verbandes, auf der Kundgebung „Kündigt Ramstein jetzt“ am 30. Mai 2020 in Berlin

Guten Abend zusammen.

Ich wollte ursprünglich die Initiative „Kein Aufmarschgebiet gegen Russland“ vorstellen, die wir im November 2019 in Berlin gründeten. Sie begann gegen das sogenannte Manöver „Defender 2020“ und ist danach unter derselben Losung weiterzuführen.

Ich muss, nach den Vorrednern, nicht über Einzelheiten der US- und NATO Aggression gegen Russland und China sprechen. Ich möchte auf nationale Besonderheiten kommen, von denen wir in Deutschland ausgehen, wenn wir den Kriegstreibern in den Arm fallen wollen – insbesondere in der Immer-noch-Frontstadt Berlin. Diese Besonderheiten treten umso deutlicher hervor, da unter der Oberfläche einer Pandemie das darunter sich vollziehende Krisengeschehen einer unwiderstehlichen Internationalisierung unterliegt.

Sämtliche Widersprüche, mit denen wir jetzt zu tun haben, selbst im Umgang mit einem Virus, sind ohne den übergreifenden weltpolitischen Hauptgegensatz nicht erfassbar. Das ist der Widerspruch zwischen angreifenden, imperialistischen Ländern und solchen, die sich deren Diktat nicht unterwerfen. Wer der Meinung ist, eine Art „globaler Faschismus“ sei auf dem Vormarsch, hat diesen Hauptwiderspruch zwischen der imperialistischen Welt und den Gegenkräften noch nicht erkannt. Es gibt keine unbegrenzte globale Allmacht der Finanzbourgeoisie. Die Niederlage der USA und ihrer Gefolgschaft in Syrien ist ein Zeichen für die wachsenden Handlungsspielräume der antiimperialistischen Seite. Unter dem Katalysator Corona sahen wir Zusammenschlüsse der multipolaren Kräfte bis in nach Europa wirken. Denken wir nur an die solidarischen Interventionen der Friedensmächte China und Kuba, auch Vietnam, in Länder wie Italien innerhalb, oder Serbien außerhalb der EU.

Das Auseinanderbrechen der EU erscheint inzwischen als realistische Perspektive. Das ist gut so. Entsprechend wutschnaubend die Reaktion der deutschen Imperialisten. Schon ein untergeordneter, in Deutschland von kaum verständlichen Symbolkämpfen begleiteter Punkt wie die notwendige Versorgung mit Atemmasken und Schutzkleidung, hat die Überlegenheit der Planwirtschaft wahrnehmbar gemacht. Auch die WHO ist übrigens von der Dynamik dieser internationalen Kräfteverhältnisse nicht ausgenommen. Unterstützen wir also China und Russland darin.

Auch das Thema „Lockdown“ ist im internationalen Vergleich zu begreifen. Unter den Verhältnissen der BRD trat es mir persönlich im Zusammenhang mit der Initiative „Kein Aufmarschgebiet“ ins Bewusstsein. Am 13. März machten wir Berliner Freidenker mit dem Genossen Rainer Rupp eine Veranstaltung unter dem Titel: „Defender‘ und andere Kriegsspiele in der US-Konfrontationsstrategie gegen Russland“, bei der wir auch „Kein Aufmarschgebiet“ vorstellten. In die Veranstaltung drang die Nachricht, dass Teile des Kriegsmanövers „wegen Corona“ ausgesetzt würden. Will sagen: für mich tickten die Uhren des militärischen und des zivilen „Lockdowns“ in Deutschland fast parallel, aber doch leicht zeitversetzt: Die militärische Ebene war früher dran als die „zivile“. Ebenso, wiederum ablesbar an „Defender“, wird es sich in Bälde mit der sogenannten „Lockerung“ wohl verhalten.

Ich war dagegen, die Aussetzung von Defender „wegen Corona“ zu fordern. Der erste Grund liegt auf der Hand: Wenn man unter Merkel etwas fordert, was aus äußerlichen Gründen die Kriegspolitik einschränkt, kann man sicher sein, dass dieselben Gründe dazu herhalten, das zivile Leben erst recht, und noch mehr einzuschränken. Wir wurden 2019 gewarnt: Mit den sozialreaktionären Maßnahmen, die die Herrschenden durch das Bodenpersonal einer Klimabewegung auf der Straße fordern ließen – CO2 Steuern, Konsumverzicht für die Werktätigen, Preistreiberei, Vernichtung von Industriearbeitsplätzen – machten sie auch deutlich, wie sehr ihr Interesse auf die Errichtung eines Ausnahmezustands abzielt, damals als „Klimanotstand“ verbrämt. Deshalb besteht kein Grund, die richtigen Losungen zurückzunehmen: Deutschland darf kein Aufmarschgebiet ihrer Kriegstruppen sein, Punkt, egal ob mit oder ohne Corona, ob mit oder ohne CO2.

Außerdem: Der militärische „Lockdown“ war keiner. Was „Defender“ betrifft: der Bruch des 2+4 Vertrags wurde fortgesetzt, kein Soldat, geschweige die eingeschleppten Waffen, wurde zurückgeschickt, sie „üben“ fleißig weiter. So ist es auch mit dem gesellschaftlichen Lockdown: In Deutschland wird er so durchgeführt, dass im Ausnahmezustand so viel „Lockerung“ enthalten ist, dass die verschärfte Ausplünderungs- und Ausbeutungsoffensive gegen Lohnabhängige, Kleingewerbetreibende und mittlere Betriebe weitergeht. Das führt zu der Situation, dass in der Konsumsphäre und Freizeit Schutzvorschriften gelten, die an den Ausbeutungsstätten, in Werkhallen ignoriert werden.

In der Lockerung wird wiederum soviel Ausnahmezustand enthalten sein, wie sie brauchen, um dasselbe Spiel, jetzt unter der vollen Wucht der Wirtschaftskrise fortzuführen. Es sei denn Werktätige und Gewerbetreibende wehren sich gemeinsam. Abwehrkämpfe sind aber nicht zu führen, wenn wir uns jetzt in den äußeren Gegensatz „Lockdown“ oder „Lockerung“ festbeißen. Beide geschehen in Deutschland nicht nacheinander sondern ineinander verschränkt, weil in beiden ein gigantischer Angriff der Konzernherren und Banken geführt wird. Unsere Abwehrkämpfe sind aber auch nicht erfolgreich zu führen, wenn wir den Kampf um soziale Rechte, Demokratie und Frieden von den Gutachten der Virologen, Mediziner oder Rechtsanwälte abhängig machen. Corona ist nicht die Ursache der Krise und Kriegspolitik und es ist auch nicht die Ursache unserer Proteste. Das wird jede Woche deutlicher: Die Krisenabwälzung auf UNS ist mit friedlichen und demokratischen Mitteln nicht mehr durchzuführen.

Es wird dargestellt, als sei die Unterbrechung von „Defender“ der Ausnahmezustand. Nein! Ausnahmezustand ist: dass „Defender“ stattfindet. Dass Deutschland Aufmarschgebiet ist, und insbesondere auf dem Territorium des gewesenen Friedensstaates DDR, trotz 2+4-Vertrag. Normalzustand wäre: Dass die Grenzen für diese Truppen gar nicht geöffnet werden. Wir haben also nicht nur einen Ausnahmezustand zu BEkämpfen, sondern wir haben einen Normalzustand  zu ERkämpfen. Dahin kommen wir nicht, indem wir Corona für inexistent oder zur virologischen Normalität erklären, wie es anfänglich versucht worden ist.

Der spezifische Ausnahmezustand des Merkelregimes kam scheibchenweise und wäre auch steigerbar. Seine Vorbereitungen reichen zurück wie die Krise selbst. Ich werde nicht die Rechtsbrüche und Beschädigungen des Verhältnisses von Legislative und Exekutive aufzählen, die vorausgingen. Gleichwohl ist der 25. März 2020, Stichwort „Infektionsschutzgesetz“, eine Zäsur in der Selbstentmächtigung des Parlaments.

Die DDR hatte ein Infektionsschutzgesetz, das das Zusammenspiel aller staatlichen Stellen und Gesundheitseinrichtungen regelte. Kam eine Infektion, kam es zur Anwendung. Was macht die Spahnmerkel-BRD, wenn eine Epidemie vor den Toren steht? Nichts, obwohl vom chinesischen Beispiel zu lernen war, dass man Grenzen und Flughäfen schließen muss; das hätte Folgen gemildert; und dann: Vorsorge, gesundheitsrelevante Vorräte anlegen, zu denen das privatisierte Gesundheitswesen nicht in der Lage ist, entsprechend auch nicht zur Aufstockung und Bezahlung des Personals. Produktionsumstellungen auf Schutzbedarf werden nicht staatlich angeordnet. Geforscht wird hierzulande offenbar nur privat. Von flächendeckenden Tests, Obduktionen wollen wir gar nicht erst reden. Was tat die Merkelregierung dann? Sie ändert das vorhandene Infektionsschutzgesetz – und zwar so, dass die Legislative sich weitgehend aufhebt.

Wir sind keine „Verschwörungstheoretiker“, wenn wir sagen: In der BRD gibt es eine lange Geschichte des Rechtsbruchs als Normalzustand.

Uns holt wieder ein, was 1949 Max Reimann zum Grundgesetz sagte: „Wir Kommunisten versagen aus grundsätzlichen Erwägungen heraus dem Gesetz unsere Stimme. Die Gesetzgeber aber werden im Verlauf ihrer volksfeindlichen Politik ihr eigenes Gesetz brechen. Wir Kommunisten aber werden die im Grundgesetz verankerten wenigen demokratischen Rechte gegen die Verfasser des Grundgesetzes verteidigen.“

Wohlgemerkt: Im Original spricht Reimann von der Verteidigung der „wenigen demokratischen Rechte“, nicht von der Verteidigung des Grundgesetzes als solchem unter allen Umständen.

Die fortgesetzte deutsche Spaltung stellt unseren Abwehrkampf unter ein doppeltes Zeichen. Alles, was wir heute hier bekämpfen, müssen wir bekämpfen, weil der deutsche Friedensstaat eine Niederlage durch den kriegführenden Teil Deutschlands erlitt. Den Kriegstreibern in den Arm zu fallen verlangt, den Kampf um Demokratie mit dem Kampf um Frieden als Einheit zu führen, hier und jetzt. Das geht aber nur, gerade unter der Krise, wenn der konsequente Kampf um soziale, wirtschaftliche Rechte aufgenommen wird, die man im GG allerdings mit der Lupe suchen muss.

In der DDR waren diese Rechte einklagbare Verfassungswirklichkeit.
Warum also ist Deutschland heute Aufmarschgebiet, historisch gesehen?
Aufgrund des einseitigen Bruchs des Potsdamer Abkommens durch die westlichen Besatzungsmächte und den Separatstaat BRD!

Für die Staatlichkeit der BRD gab es keine andere Grundlage „als die strategische Entscheidung imperialistischer Mächte, die an ihrer Ostgrenze eine Bastion gegen die Sowjetunion aufbauen wollten“ (1). Das wurde ökonomisch mit der Währungsreform, politisch mit dem Grundgesetz besiegelt. „Der Bruch des Potsdamer Abkommens durch die us-amerikanischen Kriegstreiber ist die Rechtsgrundlage der BRD“ (2). Dadurch wurde ein neutraler, antimonopoistischer deutscher Staat verhindert. Der Aufbau einer gesamtdeutschen antifaschistischen Ordnung wurde verhindert.

Wir flüchten nicht in rechtslogische Rückwärts-Utopien. Aber für die Frage: Warum ist Deutschland Aufmarschgebiet?, wird die Geschichte seit dem 8. Mai 1945 wieder aktuell wie nie.

Das GG kam nicht durch souveräne Volksentscheidung, sondern auf Befehl der West-Mächte zustande. Das Verfassungsprovisorium hätte ab 1990, gemäß seiner eigenen Präambel, abgelöst werden müssen durch eine vom Volk erlassene gesamtdeutsche Verfassung. Das geschah nicht. Eine vom Volk durch das Volk für das Volk eingesetzte Verfassung gab es in der DDR.

Selbstverständlich sind jetzt elementare Rechte, die in diesem Grundgesetz niedergelegt wurden, zu verteidigen! Keine Frage!! Aber mit Rückkehr zum Zustand vor dem März 2020 ist es nicht getan. Nehmen wir uns ein Beispiel, lassen wir uns inspirieren von den französischen Gelbwesten, die sich trotz extremer Brutalität den Kampf für den Sturz Macrons, für eine verfassunggebende Versammlung und gegen die EU nicht nehmen ließen! Ausgehend vom Kampf um ihre sozialen Lebensbedingungen.

Wer heute für das Grundgesetz kämpft, muss sagen, ob er auch für die Zerstörungen kämpft, die die Abrissbirne der herrschenden Klasse darin hinterließ. Ich nenne einige der schlimmsten Zerstörungen in Form von Grundgesetzänderungen:

1954: Wiederbewaffnung, also die verfassungsrechtliche Befugnis eine Armee aufzustellen.

1968: ermöglichen die Notstandsgesetze die Aushebelung wesentlicher Bestandteile der Gewaltenteilung. Das war übrigens bereits die 17. GG-Änderung.

1990: Volksabstimmung als Voraussetzung einer gemeinsamen deutschen Verfassung, in der Präambel des GG vorgesehen, gestrichen.

1992: Die Unabhängigkeit der EZB erhält in Artikel 88 GG Verfassungsrang.

1994: Privatisierung von Bahn und Post

1998: der Große Lauschangriff

2009: die sogenannte Schuldenbremse wird im GG verankert.

Das alles wäre – mit Ausnahme der generellen Möglichkeit von Landesverteidigung – heute, wenn man es mit dem Kampf um Demokratie ernst meint, rückgängig zu machen.

Reden wir über den ersten Todesstoß, den das Grundgesetz erhielt: Es war das verfassungswidrige Verbot der KPD, 1956. Es gilt noch heute.

Es ist auch deshalb verfassungswidrig, weil das Grundgesetz gegenüber der anzustrebenden Wirtschaftsordnung neutral war. Die Wirtschaftsneutralität ist inzwischen kassiert, nämlich über den Umweg der EU-Verträge. Die EU verpflichtet ihre Mitgliedsstaaten zum Kapitalismus. Die rein unternehmerisch definierten Grund-Freiheiten der Besitzenden auf ungehemmten Kapital-, Dienstleistungs-, Warenverkehr sind hier so gesetzt, dass ihre Beschränkung den Mitgliedstaaten und ihrer Rechtsprechung verboten ist.

Kämpfen wir also für unsere demokratischen und sozialen Rechte, indem wir auch die EU bekämpfen. Auch das ist Friedenskampf! Und wenn der Kampf mit dem GG in der Hand geführt wird, dann bitte nicht nur mit den ersten 20 Artikeln, sondern insbesondere mit Artikel 26, dem Friedensgebot!

Und unter den ersten 20 Artikeln mit besonderem Nachdruck auf dem Enteignungs-Artikel, Nr.15. Verweigern wir uns jeder Propaganda gegen den antifaschistischen Friedensstaat DDR, und hören endlich auf mit dem unreifen und abschreckenden „Stasi-Stasi“-Gerufe und dergleichen bei Protesten, wo wir doch einzig und allein gegen das Merkel-Regime kämpfen müssen.

Wer die antikommunistische Dauer-Manipulation der Regierenden und ihrer Medien gegen die DDR weiterreicht, in vermeintlicher Fundamentalopposition, der muss seinen Mitbürgern auch nicht erzählen, sie seien manipuliert, weil sie eine andere Meinung oder auch nur höhere Risikoeinschätzung in Sachen Covid-19 haben.

Die sogenannten Bürgerrechtler gegen die DDR waren, welche subjektiven Wünsche oder Illusionen auch immer sie antrieben, objektiv die Fußtruppen, um den weltpolitischen Zustand herbeizuführen, gegen den wir heute hier stehen: zuerst Bomben auf Belgrad, anknüpfend an die faschistischen Bomben ab 1941, dann die NATO-Ostfront an den Grenzen Russlands, die DDR-Gebiete als Aufmarschgebiet, die USA mit erneuerten Atombomben immer noch im eigenen Land und unzählige Kriegsoperationen über Ramstein.

Was 1990 passierte war der größtmögliche Rückschritt in der deutschen Friedenspolitik und der größte Rechtsruck, den Deutschland seit der Befreiung erlebte, wenn nicht der einzige. Schmeißen wir die Anti-DDR-Parolen über Bord! Wer sich auf diesen Rückschritt beruft, steht letztlich nicht für Demokratie sondern gegen sie!

Und kämpfen wir für den Schulterschluss der deutschen Werktätigen mit den Ländern, die sich der imperialistischen Offensive erwehren: Mit China, mit Russland, mit Kuba, mit Syrien, mit Vietnam, mit Venezuela – mit den europäischen Völkern, die die Nase voll haben vom Joch der Berlin-dominierten EU und der NATO.

Begrüßen wir die wachsende Kooperation zwischen Russland und China! Wenn wir jetzt wieder mit „Kein Aufmarschgebiet gegen Russland“ auf die Straße müssen – und das müssen wir! – dann ist sehr deutlich hinzuzufügen: „Und Hände weg von China“!

Hören wir auf, das Märchen vom angeblichen „chinesischen Totalitarismus“ zu verbreiten, der uns bedrohe – und ganz konkret, wenn das unter dem Vorwand „Corona“ geschieht!

Vergessen wir nicht: Wenn Defender demnächst wieder losgeht, wird die Aggression gegen China dabei noch einen ungleich höheren Stellenwert erlangen. Verweigern wir uns jeder noch so subtilen Rhetorik, die im Hinterland das Geschäft der Kriegstreiber gegen China unterstützt!

In diesem Sinne: „Raus aus der NATO – NATO raus aus Deutschland!“

„Kein Aufmarschgebiet gegen Russland – und Hände weg von China!“

Und: Hoch die internationale Solidarität!

Klaus Linder ist Landesvorsitzender des Deutschen Freidenker-Verbandes Berlin

Quellen

  • Hans Heinz Holz: Potsdamer Abkommen; in: Topos Nr. 32, S. 12
  • Holz, a.a.O., S.13

Zuerst erschienen bei FreiDenker 2. Juni 2020