Rezension zu “Der Krieg der deutschen Geheimdienste gegen den Osten seit 1917” von Helmut Wagner

Die Welt der Geheimdienste – Ihre gestaltenden Aktivitäten in der Geschichte des 20. Jahrhunderts

Der Autor, Helmut Wagner, ein ehemaliger Mitarbeiter der Hauptabteilung II des MfS (Spionageabwehr) hat im Ergebnis umfangreicher Recherchen die Bedeutung, Aufgaben, Ziele, Erfolge und Niederlagen des Agierens verschiedener Geheimdienste im Verlaufe des 20. Jahrhunderts dargelegt.

Es ist eine gelungene und lesenswerte Zusammenfassung bereits bekannter, aber auch neu erarbeiteter Fakten, Erkenntnisse, Interpretationen über die Aktivitäten der Geheimdienste in Ost und West. Dem an Geschichte interessierten Leser sind sicher eine ganze Reihe der geschilderten geheimdienstlichen Vorgänge aus der Literatur bekannt. Dennoch erscheinen sie zum Teil in anderen Zusammenhängen, Bezügen, verschiedentlich auch in einem anderen Licht und erweitern somit die Erkenntnisse.

Der Autor spannt einen weiten Bogen vom „Spion des Kanzlers”- Stieber – bis zum vermeintlichen Ende des Kalten Krieges. Ein kompliziertes Unterfangen. Obwohl sich H. Wagner auf die deutschen Geheimdienste konzentriert, sind diese nicht isoliert von denen anderer imperialistischer Staaten darzustellen. Dies wird besonders deutlich bei der Behandlung der Angriffe gegen die Arbeiterbewegung und das konzertierte Vorgehen gegen Sowjet – Russland.

Durchgängig sind die politischen Entwicklungen in Europa seit Beginn des 20. Jahrhundert und die militärischen Auseinandersetzungen, nicht nur die beiden Weltkriege, die Grundlagen zur überzeugenden Beschreibung der Einflussnahme der Geheimdienste.

Die vom Chef des Nachrichtendienstes der deutschen Obersten Heeresleitung, Oberst Nicolai, erstmals formulierte und in der Praxis verlangte „totale Spionage”, ist Maxime imperialistischer Geheimdienste bis zum heutigen Tage. Dieselbe schließt Terror, Sabotage, Morde, Fälschungen. Destabilisierung anderer politischer Systeme, nationalistische Aktivitäten, Aufbau 5. Kolonnen etc. ein. Im Buch belegen dies viele Beispiele. Am deutschen faschistischen Machtapparat wird die enge Verbindung und Abstimmung, aber auch die Rivalität, der verschiedenen Geheimdienste besonders deutlich. Die Geheimdienste der Wehrmacht, des RSHA und des AA werden mit ihren spezifischen Aufgaben dargestellt. Beeindruckend die detaillierte Beschreibung der Vielzahl nachrichtendienstlich genutzter Organisationen, die über die NSDAP, dem politischen Nachrichtendienst des AA, zur Verfügung standen. Warum sollte dies in heutiger Zeit keine Nachahmung finden? Denn Geheimdiplomatie, Aufbau 5. Kolonnen, Destabilisierung anderer Länder, Unterstützung der Konterrevolution, alles natürlich im Interesse der „ Demokratie und Freiheit”, sind doch permanent an der Tagesordnung.

Einen breiten Raum nimmt die Schilderung der Gegenwehr, der Aktivitäten der Abwehr – und Aufklärungsdienste der jungen Sowjetunion und der M – Apparate der Kommunistischen Parteien – hier besonders der KPD – ein.

Nicht neu, aber im Kontext des Themas, die breite Schilderung der Tscheka – Aktionen „Trust” und „Syndikat” gegen Feinde der Revolution und damit des Sowjetstaates. Auch die nachrichtendienstlichen Aktionen während des II. Weltkrieges werden sehr ausführlich geschildert, besonders die mit den Bezeichnungen „Zeppelin”, „Zitadelle”, „Preuße”, „Heureka” und „Memel”.

Breiten Raum nimmt das Thema „Rote Kapelle” in Deutschland und Westeuropa ein. Die dem Kalten Krieg geschuldete und ideologisch begründeten widersprüchlichen Darstellungen werden entzaubert. Die Betrachtung ist weitgehend objektiv, mit vielen Fakten angereichert. Dabei werden auch die Probleme angesprochen, die ursächlich mit zur Enttarnung und den hohen Verlusten an wertvollen Menschen geführt haben. So u. a. die Verquickung von Kundschafter mit Widerstandstätigkeit, die Vielzahl unnötiger Querverbindungen, die hohe Zahl der inaktiven Mitwisser, die Steuerung der exzellenten Quellen aus legalen Vertretungen, die nicht hinreichende nachrichtendienstliche Ausrüstung usw..

Es ist ein Verdienst des Autors, bedeutsame militärische Operationen mit dem Thema Geheimdienste konkret zu verknüpfen, einschließlich der Partisanenbewegung, hier vor allem in der Sowjetunion.

Hervorgehoben werden soll auch die politische Bewertung der Versuche nach 1945, durch Fälschungen der Geschichte, Herabwürdigung der Leistungen der Roten Armee und Leugnung der Rechtmäßigkeit des Partisanenkampfes, eine Revision der Ergebnisse des II. Weltkrieges herbeizureden. Schon vor 1945 waren nachweislich die deutschen Geheimdienste nicht in der Lage, das politische System der Sowjetunion und deren Potentiale objektiv zu beurteilen. Unvermögen und Fehlurteile dominierten. Dies fand eine geradlinige Fortsetzung nach 1945.

Über die sowjetischen Dienste urteilt der damalige Resident des amerikanischen Geheimdienstes OSS, Allen Dulles, nüchtern, dass deren Quellen Material geliefert hätten, „von dem die Aufklärung eines beliebigen Landes nur träumen kann.”

Der nahtlose Übergang der deutschen faschistischen Geheimdienste in die Nachkriegszeit, in den Kalten Krieg, wird überzeugend, mit Fakten unterlegt, beschrieben. Wenngleich die Zeit nach 1945 bis zum Ende der Blockkonfrontation im Buch etwas zu kurz kommt. Richtig betont wird die nunmehrige Dominanz der USA -Geheimdienste, die weitere Verwendung wegen Kriegsverbrechen schwer belasteter Geheimdienstler, die Verhinderung von Strafprozessen gegen solche, die Gladio-Geheimarmee und die Kriegsvorbereitungen gegen das sozialistische Lager u.a.m.. Die Ziele der subversiven Aktivitäten und der Spionage zeigten Kontinuität. Das bewährte Personal war dafür der Garant.

Wagners Buch ist eine empfehlenswerte Lektüre für alle an der Zeitgeschichte Interessierten. Kleinere Ungenauigkeiten, wie auf Seite 252, dass Hans Voelkner für die HV A eine Quelle im NATO – Generalsekretariat geführt habe – was so nicht stimmt, oder auf Seite 472, dass die 1. Hauptverwaltung des KGB als Militäraufklärung (GRU ) bezeichnet wird, ändern nichts an der sehr guten Gesamtbeurteilung.

Kritisch anmerken möchte ich aber, dass es vorteilhaft wäre, zumal bei einem so umfangreichen Thema, die Ausgabe mit einem Personenverzeichnis, Glossar und vielleicht auch mehreren Karten bzgl. stattgefundener Kampfhandlungen und der Partisanengebiete auszustatten.

 

Karl Rehbaum