Rohrkrepierer: Wie der Krieg um die Ölpreise begann

Beim Versuch, Russland durch einen Ölpreiskrieg zu destabilisieren, hat sich Saudi-Arabien ins eigene Knie geschossen. Rainer Rupp beschreibt den Verlauf der Fronten im Preiskrieg um die Ölförderung. Russland, so seine Einschätzung, verkraftet den niedrigen Ölpreis besser, als es viele im Westen erwartet haben. Teil 1

Ein Beitrag von Rainer Rupp

Das Treffen, bei dem die beiden mächtigen Männer, der US-Außenminister und König Abdullah, den vernichtenden Angriff gegen Russland ausheckten, fand – von der Öffentlichkeit kaum beachtet – im September 2014 anlässlich von John Kerrys Besuch in Saudi Arabien statt. Angeblich hatte man sich über den Krieg in Syrien und die Lage in der Region beraten. Tatsächlich aber ging es darum, wie man Russland und Iran, in denen die beiden Verschwörer ihre Hauptfeinde sehen, mit einem Streich vernichtend schlagen könnte. Für den Angriff sollten jedoch keine Kampfflugzeuge, Panzer und Bodentruppen ins Feld geführt werden sondern eine viel mächtigere Waffe, nämlich Öl, genauer: spottbilliges Öl.

Laut durchgesickerten Insiderberichten, unter anderem beim Finanzportal Zero Hedge, vereinbarten Kerry und Abdullah, den Ölmarkt zu überfluten, um den Ölpreis drastisch zu senken. Dies sollte die Wirtschaft Russlands und die des Iran, die beide stark vom Ölverkauf ins Ausland abhängen, empfindlich und nachhaltig schwächen. So sollten Teheran und Moskau für die Unterstützung bestraft werden, die sie dem syrische Präsidenten Bashar al-Assad gegen die von Saudi-Arabien und den USA bezahlten, ausgebildeten und mit Waffen versorgten islamistischen Kopfabschneidern gewährten. Zugleich wollte damit das wahabitische, saudische Königshaus, das in den salafistischen Gewaltextremisten in Syrien Brüder im Geiste sieht, mit diesem Schritt seinem Anspruch auf die religiöse und politische Hegemonie in der Region unterstreichen, insbesondere gegen seinen Todfeind, den schiitischen Iran.

Anfangs schien die Strategie der beiden Verschwörer aufzugehen. Erdöl ist der am meisten gehandelte Rohstoff der Welt und Saudi-Arabien ist der weltgrößte Ölexporteur. Es hat somit mehr Kontrolle über den Weltmarktpreis als jedes andere Land. Trotz stagnierender Weltnachfrage und eines bereits bestehenden Überangebots an den Ölmärkten, hoben die Saudis ihre Produktion auf immer neue Rekordhöhen. Die Folge: Der Ölpreis fiel immer weiter, zuletzt um über 70 Prozent, obwohl im Mittleren Osten Krieg und Instabilität herrschten, was bisher immer zu Preissteigerungen geführt hatte.

Trotz offensichtlicher Überproduktion sind alle Appelle für eine kontrollierte Drosselung der weltweiten Produktion – zwecks Stabilisierung des Ölpreises – an der hartnäckigen Verweigerung jeglichen Kompromisses durch Saudi-Arabien gescheitert. Allerdings scheint Riad in jüngster Zeit mehr Flexibilität zu signalisieren. Denn den saudischen Feudalherrschern dürfte inzwischen klar geworden sein, dass sie sich mit dem Ölpreis-Abnutzungskrieg ins eigene Knie geschossen haben. Ihr kolossaler Fehler war, nicht bedacht zu haben, dass sie viel schneller als Russland im Mahlwerk zwischen sinkenden Öleinnahmen und der Aufrechterhaltung der staatlichen Haushaltsausgaben zerrieben werden würden. Denn Öleinahmen decken 90 Prozent der saudischen Staatseinnahmen, in Russland sind es 50 Prozent!

Vor diesem Hintergrund hat sich der Ölpreissturz als besonders schmerzhaft für den saudischen Haushalt erwiesen. Dessen Aufgabe, mit großzügigen Geschenken die soziale Stabilität im Land zu erhalten, wird zusätzlich durch die beiden kostspieligen und irrwitzigen Kriege belastet, die die saudischen Feudalherren seit 2011 in Syrien und seit 2014 im Jemen vom Zaun gebrochen haben.

Erschwerend kommt hinzu, dass Saudi-Arabien seit mehr als 30 Jahren seine Währung beim Kurs von 3,75 Rial fest an den US-Dollar gekoppelt hat. Damit das so blieb, musste die Regierung ständig gegen den Abwertungsdruck kämpfen und auf den Devisenmärkten viel Geld ausgeben, um den Rial-Kurs zu stützen. Nur so konnte im Inneren des Landes die Preisstabilität erhalten werden, denn die Saudis müssen fast alles importieren. Mit hohen monatlichen Erlösen aus dem Ölverkauf und einem großen Vorrat an Devisenreserven war die Kurskopplung an den Dollar in der Vergangenheit kein Problem gewesen. Das aber hat sich jetzt radikal geändert.

Auf den internationalen Finanzmärkten hat sich bereits seit einem halben Jahr der Spekulationsdruck der Hedgefonds enorm erhöht und die Dollarkopplung des saudischen Rial in Frage gestellt. Zugleich hat sich bei der Deckung des saudischen Staatsbudgets eine katastrophale Lücke aufgetan. Der Rückgang des Ölpreises um zwei Drittel bedeutet nämlich für die Saudis ein Haushaltsdefizit von 60 Prozent. Deshalb kann die Regierung nur funktionsfähig bleiben, wenn sie auf ihre Devisenreserven zurückgreift. Aber diese sind bereits durch die Stützung der Währungskoppelung an den Dollar und durch die Kriegsausgaben hinlänglich strapaziert.

Derzeit verbrennt Saudi-Arabien in atemberaubendem Tempo seine Reserven. Wenn es aber seine Fähigkeit verliert, die Währungsbindung an den Dollar zu halten, dann werden die Lebenshaltungskosten für die Bevölkerung auf der ganzen Linie drastisch steigen, und damit auch das Risiko sozialer Unruhen. Das würde insbesondere die Region des Landes treffen, in der die unterprivilegierte schiitische Minderheit die regionale Bevölkerungsmehrheit bildet. Und das ist ausgerechnet die Region, in der fast die Gesamtheit des saudischen Öls gefördert wird. Inzwischen gibt es kaum Zweifel, dass die Kerry-Abdullah-Verschwörung ein Rohrkrepierer war. Statt Russland, das destabilisiert werden sollte, wackelt jetzt der saudische Thron. Und die US-Fracking-Industrie ist auch nicht ausgeschaltet.

In Kürze erscheint Teil 2: “Rohrkrepierer: Wie Russlands Wirtschaft die Ölpreiskrise übersteht”

Erschienen bei https://deutsch.rt.com/wirtschaft/37486-rohrkrepierer-wie-krieg-um-olpreise/