Der Grosse Bruder

Bernd Fischer
Der Große Bruder,
Wie die Geheimdienste der DDR und der UdSSR zusammenarbeiteten,
(Band 7 der Geschichte der HV A),
ISBN 978-3-360-01839-7

Die Auslandsnachrichtendienste der DDR und der Sowjetunion kooperierten auf internationaler Bühne. Insbesondere mit ihrer Industriespionage stützte die HV A auch die Wirtschaft der UdSSR, indem sie Spitzentechnologien aus dem Westen besorgte, die auf der CoCom-Liste standen. Der Autor, Oberst a.D. Bernd Fischer, wickelte 1990 nicht nur die Auslandsaufklärung der DDR ab, sondern gewann zuvor auch tiefe Einblicke in die Zusammenarbeit mit dem sowjetischen Bruderorgan. Erstmals berichtet ein Insider über die Kooperation von HV A und KGB.

Rezension in „RotFuchs“ / Februar 2013 / Seite 9

Informationen für den „Großen Bruder“
Wie Aufklärer der HVA einen Atomkrieg verhindern halfen

Oberst a.D. Bernd Fischer gehört seit etlichen Jahren zum ständigen Autorenkreis des RF. Der einstige Resident der Hauptverwaltung Aufklärung (HV A) in Kairo wird von unseren Regionalgruppen als Gesprächspartner zu Nahostthemen sehr geschätzt. Jetzt hat der 1990 für die Abwicklung der HV A Verantwortliche ein höchst informatives neues Buch vorgelegt. „Der Große Bruder” behandelt das bis zum Verrat der Gorbatschow-Clique vor allem durch Freundschaft und Klassensolidarität geprägte, dann aber jäh beendete Zusammenwirken der Auslandsaufklärung von UdSSR und DDR aus der Sicht eines Insiders, der bislang unbekannte sowjetisch-russische Archivmaterialien zu Rate zieht. Im Vorwort eines 2010 in Washington und London erschienenen Readers wird die HV A durch Thomas Wegener Friis als „einer der erfolgreichsten, wenn nicht der erfolgreichste Spionagedienst des Kalten Krieges …” bezeichnet. Bernd Fischers solide und seriöse Arbeit ist die erste umfassende Darstellung des Zusammenwirkens der HV A mit der 1. Hauptverwaltung der Komitees für Staatssicherheit der UdSSR. Durchaus vielschichtig, zugleich aber keineswegs distanziert schildert der Autor die Geschichte dieses „Duetts” von bescheidenen Anfängen über glanzvolle Etappen bis zum tristen Finale.
Zu den Beziehungen zwischen der HVA und der 1. Hauptverwaltung des KGB bemerkt der Autor: „Die sowjetischen Partner waren wirkliche Verbündete und betrachteten die DDR-Vertreter zum einen als Klassenbrüder im Sinne der Arbeiterbewegung und ihres Internationalismus, zum anderen aus der Sicht von Repräsentanten der Großmacht UdSSR. In ihrer Position wirkten immer beide Aspekte. Diese waren keineswegs in jedem Fall auseinanderzuhalten.” Dabei hätten sowjetische Eigeninteressen, aber auch die Positionen des Bündnispartners DDR eine Rolle gespielt. In der Rückschau dominiere ausgeprägte, aufrichtige, solidarische Verbundenheit. Was den Informationsaustausch betreffe, meint Bernd Fischer, habe es sich oftmals eher um eine „Einbahnstraße” gehandelt. Doch: „Die Vorstellung, ausgenutzt worden zu sein, kam uns nie in den Sinn. Zu diesem Zusammenwirken mußte man uns nicht zwingen, es entsprach unserer internationalistischen kommunistischen Oberzeugung.”
Iwan Kusmin, einst ein leitender KGB-Verbindungsoffizier zum MfS der DDR, faßte seine Sicht in die Worte: „Die DDR war Hauptverbündeter der UdSSR und der hauptsächliche strategische Brückenkopf der Warschauer Vertragsorganisation.” Von gegnerischer Seite fand das Zusammenspiel sowjetischer Aufklärer mit der HV A neidvolle Anerkennung. So konstatierte der langjährige CIA-Chefhistoriker Benjamin Fisher, „von der Errichtung bis zum Fall der Berliner Mauer” habe die HV A seinem Dienst „die größte Niederlage in der Spionagegeschichte bereitet”, indem sie sämtliche CIA-Quellen in der DDR in Doppelagenturen zu verwandeln imstande gewesen sei. Während die HV A von bestimmter Seite als „bloßer Juniorpartner der sowjetischen Auslandsaufklärung dargestellt wird, stammten tatsächlich etwa 80% der in die UdSSR gelangten Informationen über die BRD von Mitarbeitern oder Quellen der HV A. Armeegeneral Krjutschkow, letzter Chef des KGB, würdigte den Beitrag der Aufklärer der DDR zur Stärkung der Sowjetunion sowie zur Entwicklung ihrer Wirtschaft, Wissenschaft und Verteidigungsfähigkeit und konstatierte: „Wir müssen erkennen, daß die DDR-Aufklärung weit mehr für uns getan hat…”
Als Adenauer und dessen Kriegsminister Strauß in der zweiten Hälfte der 50er Jahre die Ausrüstung der Bundeswehr mit Atomwaffen verlangten, entstand eine ebenso brisante Situation wie während der sogenannten Berlin-Krise, deren Hintergründe in beiden Fällen auch mit geheimdienstlichen Mitteln aufzuklären waren. Später ging es darum, die tatsächlichen Zielsetzungen der „neuen Ostpolitik” Willy Brandts auf gleiche Weise zu erkunden. In dessen näherem Umfeld platzierte DDR-Aufklärer ermöglichten durch ihre Informationen auch der UdSSR eine nüchtern-realistische Bewertung dieses neuen Abschnitts bundesdeutscher Politik.
In den 60er und 70er Jahren stellte die DDR-Auslandsaufklärung ihre spezifischen Stärken bei der Beschaffung wichtiger Materialien aus ökonomischen und wissenschaftlich-technischen Bereichen unter Beweis, was für die UdSSR von großem Nutzen war.
Zur wohl brisantesten Zuspitzung der Konfrontation beider Weltsysteme und
Militärblöcke kam es im März 1983 nach Verkündung des SDI-Programms zur Stationierung atomarer Raketen im Weltraum durch US-Präsident Reagan. Die sowjetische Führung rechnete mit einem unmittelbar bevorstehenden nuklearen Erstschlag des Gegners und entwickelte einen eigenen Plan (RJAN), um dem gegebenenfalls selbst zuvorkommen zu können. In dieser extrem zugespitzten Situation sorgte die HV A für verläßliche Aufklärung der Washingtoner Absichten. Ihr in die Politische Abteilung des Brüsseler NATO-Hauptquartiers vorgedrungener Kundschafter Rainer Rupp („Topas”) brachte zweifelsfrei in Erfahrung, daß ein US-Atomraketenschlag nicht zu erwarten sei. Statt für diese Großtat den Friedensnobelpreis zu erhalten, den sich der Mann der HV A verdient hätte, verurteilte ihn die BRD-Rachejustiz später zu einer Gefängnisstrafe von zwölf Jahren.
Das Verhältnis zwischen der Großmacht UdSSR und ihren Verbündeten war indes nicht immer spannungsfrei. Das zeigte sich im Vorgehen Moskaus bei der Stationierung von Atomwaffen auf dem Boden der DDR, deren Partei- und Staatsführung dabei weitgehend in Unkenntnis gehalten wurde. Dennoch beruhten die Beziehungen zwischen der Sowjetunion und der Deutschen Demokratischen Republik bis zu Gorbatschows Frontenwechsel insgesamt auf gegenseitiger Achtung. Nachdem es 1990 im Zuge der Konterrevolution über Etappen zur Auflösung der HV A kam, ließ die verräterische Clique, die sich der Führung der KPdSU und der UdSSR bemächtigt hatte, die langjährigen Kampf- und Waffengefährten aus der DDR im Kalten stehen. Sie rührte keinen Finger, als der Repressionsapparat der BRD und anderer imperialistischer Staaten Jagd auf Mitarbeiter der HVA und deren Kundschafter machten. Diese wurden zum Abschuß freigegeben.
„Ihr habt alles Recht zu fragen, warum wir Euch so im Stich lassen konnten. Aber irgendwie haben wir uns selbst im Stich gelassen”, sagte Generalleutnant Kirpitschenko, langjähriger 1. Stellvertreter des Chefs der sowjetischen Auslandsaufklärung, zu Bernd Fischer, als sich beide Männer nach 15 Jahren das erste Mal wiedersahen.
Dem Autor des eindringlichen Reports „Der Große Bruder” ist für sein faktenreiches Buch und seine ehrliche und engagierte Zeitzeugenschaft von Herzen zu danken.

Klaus Steiniger

Bernd Fischer, Der Große Bruder. Wie die Geheimdienste der DDR und der UdSSR zusammenarbeiteten, Edition Ost, Berlin 2012, 224 Seiten, 14,95 €, ISBN 978-3-360-01839-7

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