In der 1993 gegründeten „Gesellschaft für Humanitäre und Rechtliche Unterstützung e.V.“ (GRH) haben sich Angehörige früherer Staatsorgane der DDR zusammengeschlossen, um Verfolgten durch Rat und Tat Hilfe und Unterstützung zu gewähren. Die GRH wendet sich gegen politische und soziale Diskriminierung ehemaliger DDR-Bürger und leistet aktiven Widerstand bei Verletzung humanistischer, demokratischer und rechtsstaatlicher Grundsätze. Die Aktivitäten der GRH gehen von den im Vorstand bestehenden Arbeitsgruppen (AG) und den Territorialen Arbeitsgruppen (TAG) aus. Die AG Aufklärer ist eine dieser Arbeitsgruppen.
Die Kundschafter der Hauptverwaltung A des MfS und des Bereiches Aufklärung der NVA gehören zu jener Gruppe von Opfern, die vor und nach der Einverleibung der DDR durch die Bundesrepublik der Rache und Vergeltung der Bonner Politik in besonderem Maße ausgesetzt waren und sind. Das ist nicht verwunderlich, denn neben der Tatsache, dass sie sich in der überwiegenden Mehrzahl mit der DDR und ihrer Gesellschaft politisch und moralisch verbunden fühlten, kommt ein weiterer Umstand hinzu: Die Kundschafter trugen entsprechend ihrer Aufgabenstellung in hohem Maße dazu bei, Wesen und Struktur des Bonner Staates, seine Durchdringung mit Faschisten und Kriegsverbrechern, seine militärischen und aggressiven Ambitionen und seine volksfeindliche Politik aufzuklären und zu entlarven. Das ist an den Herrschern des Westens nicht vorübergegangen und nicht vergessen worden.
Bei aller Notwendigkeit einer differenzierten Betrachtung ist die damalige Position des früheren Bundesministers des Inneren, Wolfgang Schäuble, die Agenten beider Seiten straffrei zu stellen, eher als verlogen und als Täuschungsmanöver anzusehen. Jedoch war es der Fraktionsvorsitzende der SPD, Hans-Joachim Vogel, der mit seinem Veto im Bundestag Straffreiheit für die Kundschafter der DDR zu Fall brachte. Die CDU-Regierung hätte Kraft und Möglichkeiten zu einer anderen Entscheidung gehabt, wenn sie denn gewollt hätte.
Die besondere Rache und Vergeltung der Bonner Machthaber gegenüber den Kundschaftern fand in verschiedensten Facetten ihren Ausdruck. Es gab etwa 3.000 Ermittlungsverfahren, auch solche gegen DDR-Bürger, die als Werber oder im Verbindungswesen als Instrukteure oder Kuriere eingesetzt waren, davon ca. 400 Verfahren mit Anklagen und 250 Strafurteilen, davon wiederum ca. 50 Freiheitsstrafen. Registriert sind 3 Freiheitsstrafen mit 12 Jahren, 6 mit 8 bis 10 Jahren und 17 mit 5 bis 8 Jahren.
In diesem Zusammenhang muss auch an die hohen Strafen gegenüber den USA-Bürgern Theresa Squillacote, Kurt Stand und Jim Clark erinnert werden, die mit 21, 17 und 12 Jahren Freiheitsentzug bestraft wurden.
Es ist bemerkenswert, dass die Kundschafter in den SPD-regierten Ländern in der Regel 2/3 der Strafe, dagegen in CDU-regierten Ländern in der Regel eine Halbstrafe absitzen mussten.
Neben hohen Gerichtskosten, in einzelnen Vorgängen 100.000 DM und mehr, hatten sich die Staatsanwaltschaften und Gerichte eine weitere Grausamkeit ausgedacht, nämlich die Rückzahlung der ehemals vom MfS bzw. der Militäraufklärung erhaltenen Gelder. Es handelt sich dabei um persönliche Zuwendungen, aber auch um notwendige Auslagen, wie Reisekosten, Kosten für den Kauf notwendiger technischer Geräte und andere arbeitsbedingte Auslagen. Summen wie 820.000 DM, 692.000 DM, 300.000 DM, 160.000 DM usw. sind bekannt. Immobilien wurden enteignet, Zwangsversteigerungen von Wohnhäusern erfolgten.
Der Widerstand gegen Hetze und Verleumdung unserer Kundschafter begann unmittelbar nach der Zeitenwende. Im Mai 1992 wurde das „Insider-Komitee“ gegründet, das bis zu seiner Auflösung eine erfolgreiche Arbeit leistete. Thematische Diskussionsabende, Gesprächskreise, insgesamt 60 an der Zahl, fanden statt.
Ein erster Höhepunkt des Widerstands und der Gegenrede war die auf Initiative der „Alternativen Enquete-Kommission Deutsche Zeitgeschichte“ unter Leitung von Dr. Wolfgang Harich im Mai 1994 im Berliner Ensemble durchgeführte Veranstaltung mit dem Titel „Duell im Dunkeln – Spionage und Gegenspionage im geteilten Deutschland“. Markus Wolf, Werner Großmann, Heribert Hellenbroich (BND/BfV) und Elmar Schmähling (MAD) nahmen daran teil.
Noch während sich einige Kundschafter in Haft befanden, entwickelte sich in den Jahren 1994 bis 1996 die Initiative, den Verein „Kundschafter für den Frieden“ zu gründen, der heute noch in Bonn besteht und ein enger Partner der GRH und unserer Arbeitsgruppe ist.
Der 20. Jahrestag der GRH im Mai 2013 war Anlass, auf weitere Höhepunkte der Arbeit hinzuweisen:
– Der 2003 bei edition ost erschienene Sammelband „Kundschafter im Westen“, in dem 33 Kundschafter über Zielsetzung und Motivation ihrer Kundschaftertätigkeit berichteten, war am Himmel der Geheimdienstliteratur eine kleine Sensation. So etwas gab es bis dato noch nicht und wird es wahrscheinlich auch künftig nicht geben.
– Am 7. Mai 2004 fand in Berlin-Kreuzberg die internationale Konferenz „Spionage für den Frieden“ mit hochrangigen Teilnehmern und Akteuren auch von CIA und der sowjetischen Aufklärung, in Moderation von Prof. Dr. Gerhard Fischer vom Berliner Alternativen Geschichtsforum der GBM statt.
– Im November 2007 beteiligten wir uns mit fast 100 Teilnehmern an der Konferenz an der Süddänischen Universität in Odense zum Thema „Hauptverwaltung A, Geschichte, Aufgaben, Einsichten“ und bestritten dort 12 grundsätzliche Referate.
– Die Mitglieder der Arbeitsgruppe Kundschafter der GRH waren aktiv als Autoren, Mitautoren und Herausgeber an der Edition von bisher sieben Bänden zur Geschichte der HV A beteiligt, die auf über 80 Buchbesprechungen vorgestellt wurden.
– Im Frühjahr dieses Jahres ist der erste Band, „Deckname Topas“ (Der Spion Rainer Rupp in Selbstzeugnissen), einer neu aufgelegten Porträtserie über bekannte Kundschafter erschienen. Im September 2013 folgte der Band „Die Topagentin“ (Johanna Olbrich alias Sonja Lüneburg), und im Frühjahr nächsten Jahres erscheint ein Porträt über Jochen Bamler. Weitere Editionen sind geplant.
Wichtige Ereignisse im Leben unserer Kundschafter stellen die im zweijährigen Abstand durchgeführten Kundschaftertreffen dar. In der Regel nehmen 40 bis 50 Kundschafter und ihre Führungsoffiziere aus der Hauptverwaltung A und des Bereiches Aufklärung der NVA daran teil. Diese Treffen haben eine wichtige Funktion für die Übermittlung neuester Erkenntnisse, vor allem jedoch für die Freundschaft und Solidarität unter und mit den Kundschaftern.