Topspione im Westen

Topspione im Westen

Buchvorstellung in:“junge Welt” vom 18.09.2008
Kein Vergleich
Die HVA der DDR diente nicht nur dem Frieden, sondern war auch erfolgreicher als der BND.
Buch über »Topspione« jetzt in dritter Auflage
Von Klaus Eichner und Gotthold Schramm

In Berlins Mitte, wo einst das Stadion der Weltjugend lag, wächst die Zentrale des Bundesnachrichtendienstes aus dem Boden. Noch bevor die Fundamente gegossen wurden, errichtete man meterhohe Planken, die den Blick auf die Baustelle versperren. Und nachts werfen mehr Scheinwerfer Licht auf die videoüberwachten Sichtblenden, als die DDR-Grenzer jemals anknipsen konnten. Auch ohne das Wissen darum, wer hier was baut, bekommt jeder Spaziergänger mit: Das muß was ganz Geheimes sein.
Noch immer befindet sich die Höhle des Löwen in Pullach bei München und jenseits einer Grenze, die es seit 1990 nicht mehr gibt. Künftig also, man spricht von etwa 4000 BND-Bediensteten, die ab 2013 hier ihr üppiges Gehalt verdienen sollen, liegt die Höhle im Herzen des einstigen Gegners. Diese Vorstellung entbehrt nicht einer gewissen Pikanterie, weshalb man sich auch lange in München gegen sie sträubte. 720mal eine Million Euro sollen in den Ostberliner Sand gesetzt werden. Am Ende sind es gewiß mehr. Man kennt ja solche Baukalkulationen. 100000 Quadratmeter Nutzfläche, etwa 25 Fußballfelder voller Schlapphüte … Irre.
Wer spricht da gleich vom Überwachungsstaat und von dessen Ausbau? Ach so, natürlich, das ist der Auslandsnachrichtendienst, der hat überhaupt nichts mit der Innenpolitik zu tun. Und wenn, wie mal wieder im Frühjahr 2008 publik wurde, inländische Journalisten systematisch und ausdauernd bespitzelt und ausgeforscht werden, ist das eine ärgerliche Panne und läßliche Sünde. Wie es eben auch überhaupt nichts mit inneren Belangen zu tun hat, wenn beispielsweise Journalisten auf der Honorarliste des BND stehen.
Als es noch die DDR gab und deren Auslandsnachrichtendienst, die Hauptverwaltung Aufklärung (HVA), interessierte man sich in Berlin (Ost) auch für den Bundesnachrichtendienst in Pullach. Seit langem ist es kein Geheimnis mehr, daß man mit Dr. Gabriele Gast, seit 1973 Regierungsdirektorin in diesem Amte, und etlichen anderen überzeugten Sozialisten Spitzenquellen vor Ort besaß. Die Auslandsaufklärung der DDR, das räumen heute selbst ihre Gegner ein, war erfolgreich wie kaum ein anderer Dienst. Ein hinlänglicher Grund, weshalb an die 30 Top-Spione der DDR in einem Sammelband sich ihrer damaligen Tätigkeit erinnerten. Das Buch erschien 2003 unter dem Titel »Kundschafter im Westen«. Der Vorgang war in mehrfacher Hinsicht bemerkenswert. Ein vergleichbares Buch gab es vorher nicht und wird es vermutlich auch nie wieder geben. Unvorstellbar, daß sich etwa so viele ehemalige CIA-Agenten oder BNDler zusammenfänden, um ein kollektives Werk dieses Charakters vorzulegen.
Offenkundig muß es doch etwas Grundsätzliches geben, was östliche von westlichen Nachrichtendienstlern unterscheidet, selbst wenn sich das Handwerk gleicht? Die Frage ist natürlich rhetorischer Natur, weil jeder politisch Denkende die Antwort weiß. Es ist dieses hohe Maß an Idealismus und die daraus resultierende Selbstlosigkeit. Man machte nicht einen »Job«, sondern engagierte sich für eine bessere, eine geordnete, eine friedlichere Welt. Und da man in den sozialistischen Staaten, etwa der DDR, deren Anwalt und Vorkämpfer sah, verbündete man sich mit diesen. Wissenschaftler, Politiker, Journalisten, Diplomaten, Verfassungsschützer und andere integre Bundesbürger beiderlei Geschlechts handelten als Überzeugungstäter. Ihnen standen DDR-Bürger zur Seite, die eine Entscheidung für eine Tätigkeit im gegnerischen Operationsgebiet getroffen hatten.
Die Autoren sind Herausgeber des Buches »Topspione im Westen«, das am heutigen Donnerstag um 19.00 Uhr in Anwesenheit des letzten HVA-Chefs, Generaloberst a. D. Werner Grossmann, in der Ladengalerie der jungen Welt, Torstraße 6, 10119 Berlin, vorgestellt wird. Die beiden ersten Auflagen des Buches waren unter dem Titel »Kundschafter im Westen« erschienen.

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