Kriegslügen und Präsidentenangst (Teil 1)

Zwei ehemalige hochrangige CIA-Mitarbeiter stellten sich am 16. September 2015 in Berlin der Frage: „Wie werden heute Kriege gemacht?“

Die Antwort sei einfach, so Ray McGovern, früherer Chefanalytiker der CIA für die UdSSR und Russland, im übervollen „Sprechsaal“ in Berlin: „Mit Lügen, Lügen und Lügen.“ Angesichts der aktuellen Situation könne die Frage auch heißen: „Wie werden Flüchtlinge gemacht?“ McGovern war gemeinsam mit Elizabeth Murray, ehemalige CIA-Analytikerin u.a. für den Irak, von verschiedenen Organisationen nach Deutschland eingeladen worden. Berlin war eine von mehreren Stationen, auf denen die beiden Mitglieder der Veteran Intelligence Professionals for Sanity (VIPS) über die heutigen Ursachen und Gründe für Kriege aufklärten. Sie hätten sich vorgenommen, im Ruhestand weiter die Wahrheit zu sagen und für diese einzutreten, so McGovern. Auslöser sei dafür u.a. gewesen, dass sie miterlebten, wie der Beruf der Nachrichtendienstanalytiker und deren „ehrliche Arbeit“ zunehmend durch korrupte US-Präsidenten und Geheimdienstchefs in Verruf geriet. Sie seien bezahlt worden, um die Wahrheit zu sagen, nicht um Politikern nach dem Munde zu reden.

Die Abkehr von den hehren Ansprüchen hat dem ehemaligen CIA-Analytiker zufolge mit dem Krieg der USA in Vietnam begonnen. Damals hätten die Geheimdienste u.a. auf die hohe Zahl von rund 500.000 Kämpfern und Unterstützern der kommunistischen Kräfte in Südvietnam aufmerksam gemacht. Doch hohe US-Militärs hätten die Zahl öffentlich heruntergelogen, da sie den Krieg als Erfolg ausgeben wollten. „Das passiert heute auch“, betonte McGovern in Berlin. Der Beruf des Nachrichtendienstanalytikers sei korrumpiert worden, um die Volksvertreter zu belügen. Er habe noch in CIA-Diensten miterlebt, wie 1990 der Angriffskrieg gegen den Irak vorbereitet wurde. Ein Angriffskrieg gelte im Völkerrecht als eines der größten Verbrechen. Deshalb mussten die Kriegsvorbereitungen öffentlich anders begründet werden. Dabei sei Druck auf die Analytiker in den Nachrichten- und Geheimdiensten ausgeübt worden, erinnerte sich der ehemalige CIA-Mann, der Politik die gewünschten Ergebnisse zu liefern. Für ihn sei das Anlass gewesen, in den Ruhestand zu gehen und mit anderen aus dem Geheimdienst- und Sicherheitsapparat der USA die VIPS zu gründen.

Elizabeth Murray war nach eigenen Angaben in der CIA u.a. für die Analyse der irakischen Medien zuständig. Sie berichtete, daß sie vor dem Krieg gegen den Irak 2003 vom damaligen Staatssekretär im Kriegsministerium Pentagon Paul Wolfowitz, aufgefordert wurde, Belege über die Verbindung zwischen Irak und Al Qaida zu finden. „Ich habe aber nichts gefunden und Wolfowitz darüber informiert.“ Der aber immer wieder neu gefordert, solche Belege zu finden, bekam aber nie die gewünschte Antwort. Ihre Vorgesetzten hätten ihre Frage, woher die Informationen über die angebliche Verbindung des Irak mit Al Qaida stammten, nicht beantworten können, erzählte Murray.

Hat der US-Präsident Angst?

Die Analytiker der Nachrichtendienste hätten lange dem politischen Druck widerstanden, sagte McGovern. Doch die Strategen in den Diensten hätten nachgegeben, so auch als im Herbst 2002 gefordert worden sei, die Behauptungen von US-Vizepräsident Richard Cheney von August 2002 über angebliche irakische Massenvernichtungswaffen zu bestätigen. „Das hätte früher einen Aufstand unter den Analytikern gegeben“, meinte der ehemalige hochrangige CIA-Mitarbeiter. Das Argument sei nun aber gewesen: „Nine Eleven hat alles verändert.“ Seitdem gebe es keine ehrliche Nachrichtendienstarbeit mehr. McGovern erinnerte daran, dass der damalige Chef der US-Satellitenaufklärung, General James Clapper, behauptet habe, der Irak habe Massenvernichtsungswaffen. Zugleich konnte er das aber nicht mit entsprechenden Satellitenaufnahmen belegen. Darüber habe sich auch der damalige Direktor der der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEO), Dr. Hans Blix, gewundert. Ex-CIA-Mann McGovern erinnerte das Publikum im vollen Saal daran, was der Lügner Clapper heute mache: Er sei nun als Nationaler Geheimdienstdirektor Chef aller US-Geheimdienste. „Ihr BND und ihre Regierung werden von einer Gruppe von Ganoven belogen“, so der ehemalige Analytiker ganz offen. „Warum US-Präsident Obama sie im Amt lässt, ist eine andere Frage.“

Die parlamentarische Kontrolle der Geheimdienste durch den zuständigen Ausschuss des US-Kongresses sei „ein makabrer Witz“. Er spreche immer von dem „Nicht hinschauen“-Ausschuss. McGovern fügte dem einen interessanten Aspekt hinzu: Der US-Präsident sei kein freier Mensch, was die Geheimdienste angehe. „Er hat vor ihnen Angst.“ Obama habe auf Kritik aus progressiven US-Kreisen an seiner wenig progressiven Politik 2012 gesagt: „Könnt Ihr Euch nicht erinnern, was Martin Luther King passiert ist?“ Er hätte auch an John F. Kennedy erinnern können, meinte McGovern und fügte hinzu: „Es ist verständlich, daß er Angst hat.“

Der frühere CIA-Mitarbeiter erzählte, dass er dennoch auch stolz ist auf die Arbeit seines Berufsstandes in den letzten Jahren. Unter anderem weil die 16 US-Nachrichtendienste und deren Analytiker immerhin einen Angriff der USA auf den Iran verhindert hätten. Dieser Krieg sei von US-Präsident George W. Bush und seinem Stellvertreter Cheney geplant gewesen. Den Strich durch ihre Rechnung hätte eine Analyse der Geheimdienste von November 2007 gemacht, der zufolge der Iran 2003 sein Atomwaffenprogramm beendet und nicht wieder aufgenommen habe. Ex-Präsident Bush jr. habe in seinen Memoiren bestätigt, dass ihm so die Möglichkeit genommen worden sei, den vorbereiteten Angriff auf den Iran zu befehlen. Die Aussage über das nicht vorhandene iranische Atomwaffenprogramm sei seitdem bis heute jährlich wiederholt worden, so McGovern. Daher sei die Behauptung, das jüngste Abkommen mit dem Iran habe dessen Atomwaffenpläne gestoppt, falsch.

Kriegslügen und Präsidentenangst (Teil 2)

Die beiden Ex-Nachrichtendienstler nannten Syrien als weiteres Beispiel. Der mutmaßliche Chemiewaffeneinsatz bei Damaskus im August 2013 sollte als Anlass für die vorbereitete US-Intervention dienen, nachdem US-Präsident Obama einen solchen Fall als „rote Linie“ bezeichnet hatte. Doch eine Analyse der Geheimdienste habe ergeben, dass das verwendete Sarin nicht aus den Beständen der syrischen Armee stammte, sondern gewissermaßen selbstproduziert war. Obama sei daraufhin gewarnt worden, dass er zum Angriffsbefehl provoziert werden sollte und dafür belogen wurde. Die entsprechenden Lügen habe auch US-Außenminister John Kerry mehrfach wiederholt, erinnerte McGovern. Das habe Obama auch der russische Präsident Wladimir Putin erklärt, der dann seinem US-Kollegen geholfen habe, einen Ausweg zu finden. Geheimdienstanalysen würden von den Politikern und den Militärs „umgedreht“, meinten McGovern und Murray in Berlin. Die ehemalige CIA-Analytikerin berichtete, dass sie in ihrer aktiven Dienstzeit erlebte, wie 2010 Warnungen, dass die Gewalt im Irak wieder zunehme, von hohen US-Militärs abgewiesen wurden. Diese hätten nur ihre vorgefertigte Meinung über einen vermeintlichen Erfolg der USA im Irak bestätigt haben wollen. „Der US-Präsident erhielt so falsche Information“, sagte Murray und fragte: „Welche Informationen bekommt der deutsche BND von uns?“

McGovern warnte wie bereits bei seinem Besuch am 15. September 2014 am gleichen Ort vor der antirussischen Hetze in Folge des Ukraine-Konfliktes. „Die russische Bedrohung ist erfunden“, stellte er klar und verwies darauf, dass Russlands Reaktionen eine Folge des von den USA und der EU geförderten Putsches in Kiew im Februar 2014 seien. Mit Blick auf die gegenwärtigen Debatten zu Syrien sagte der ehemalige CIA-Chefanalytiker für die UdSSR und Russland, das die russischen Reaktionen vernünftig seien angesichts der Versuche, den syrischen Präsidenten Bashar al-Assad zu stürzen. „Wollen wir denn, dass der IS regiert?“ Er habe nie gedacht, dass er eines Tages feststellen werde: „Was uns lange fehlte, war die russische Abschreckung.“ Hätte es sie damals gegeben, hätten die USA den Irak nicht angegriffen. „Die Russen erstarken wieder. Und in seinen besten Momenten weiß Obama das.“ McGovern zeigte sich sicher: „Die Russen halten uns auf – und das ist gut für uns.“

Die Analytiker in den militärischen Nachrichtendiensten der USA hätten derzeit große Probleme mit ihren Vorgesetzten, wußte McGovern zu berichten. Die Generäle wollten Erfolge und den kommenden Sieg im Drohnenkrieg gegen den Islamischen Staat melden. Doch die Analytiker hätten festgestellt, dass der Krieg mit Hilfe der Drohnen den islamistischen Extremisten zunehmend Zulauf verschaffe. Weil das verfälscht werde, hätten sich unlängst 50 Analytiker mit einer Beschwerde an das Pentagon gewandt. McGovern, der sich mehrfach kritisch über die Rolle der Medien äußerte, wies daraufhin, dass auch in dem Fall die US-Mainstream-Medien die Sache verschweigen bzw. nur bringen würden, was das Pentagon dazu sagt. Doch wenn der Krieg gegen den IS nicht gut laufe, aber fortgesetzt werde, bekämen die US-Generäle so ihren eigenen 30jährigen Krieg, von dem sie bereits reden würden, ohne jedes Gefühl für Geschichte. Der kontraproduktive Drohnenkrieg führe zu immer mehr Islamisten, was wiederum den Krieg verlängere. Der ehemalige CIA-Analytiker verwies auf die zentrale Rolle der US-Basis im deutschen Ramstein für den Drohnenkrieg, ohne die er nicht durchführbar sei: „Ramstein ist zentral dafür.“ McGovern forderte die deutsche Friedensbewegung auf, Widerstand dagegen zu leisten: „Sie haben hier die Mittel, sich zu wehren.“ Es gehe nicht nur darum, dass die Bundesrepublik 70 Jahre nach Kriegsende sich unabhängiger von den USA machen müsse und aus deren Vormundschaft befreien. Der frühere CIA-Analytiker warnte: „Wenn im Nahen Osten bekannt wird, wie zentral Ramstein für den verhassten Drohnenkrieg ist, gibt es hier eine tatsächliche Terrorgefahr.“ „Stoppt das!“, forderte McGovern seine Zuhörer auf.

Psychopathische Mentalität der Kriegstreiber

Er sprach auch davon, dass den sogenannten Drohnen-Piloten, die per Joystick töten, die menschliche Dimension ihre Tuns bewusst gemacht werden müsse. Über diese werde fast nie von jenen nachgedacht und gesprochen, die Kriege anzetteln und befehlen. Die ehemalige CIA-Analytikerin Murray bestätigte das mit einem Beispiel aus dem November 2002. Damals habe sie an einer mehrtätigen Kriegsplanungsübung des US-Militärs teilgenommen, bei dem es um die Folgen einer möglichen Invasion im Irak gegangen sei, sowohl militärische, politische und wirtschaftliche. Am letzten Tag habe sie am Rand neben einem Mann gesessen, der seine Frau, eine Wissenschaftlerin, begleitet hatte. Er sei US-Bürger gewesen, aber irakischer Herkunft. Murray habe bemerkt, dass er Tränen in den Augen hatte, während die Kriegssimulation weiterlief. Als sie ihn besorgt ansprach, habe er ihr erklärt, dass bei dieser Veranstaltung über alle möglichen Folgen eines Krieges diskutiert werde, aber über eine nicht: Die Folgen für die Millionen Menschen im Irak, von denen viele sterben werden. „Da habe ich mich geschämt, dass ich an diesem Kriegsspiel beteiligt bin“, berichtete die ehemalige CIA-Mitarbeiterin. Sie sprach von einer psychopathischen Mentalität, mit der die Verantwortlichen Kriege planen und dabei nur an wirtschaftliche, politische und militärischen Interessen sowie an die Profite für die Rüstungskonzerne denken.

Vor dieser Herzlosigkeit, der fehlenden Empathie warnte auch McGovern in Berlin. Er erinnerte an Albrecht Haushofer, der kurz vor Kriegsende 1945 von den deutschen Faschisten wegen seiner Verbindung zu den Attentätern vom 20. Juli hingerichtet wurde. Dieser hat im Gefängnis Moabit Sonette geschrieben, von denen eines den Titel „Schuld“ trägt, an dessen Ende es heißt: „…ich kannte früh des Jammers ganze Bahn – ich hab gewarnt – nicht hart genug und klar! Und heute weiß ich, was ich schuldig war .

McGovern trug es frei auf Deutsch vor und erinnerte an die Warnung von Martin Luther King, dass es oft zu spät sein kann, etwas zu tun. „Wenn der Drohnenkrieg mehr Terrorangriffe erzeugt, kommt es auch hier zu einer solchen Unterdrückung, wie wir sie in den USA erleben.“ Murray ergänzte später in der Diskussion mit dem Publikum, dass sie, nachdem sie den Film „Das Leben der anderen“ gesehen hatte, wisse: „Wir haben heute einen Stasi-Staat in den USA.“ Auf die Frage nach möglichen Repressalien und Überwachung, wenn sie nach ihren Vorträgen zurückkommen, sagte sie: „Jeder von uns wird überwacht.“ Murray hofft auf Whistleblower auch aus Deutschland. Um die Wahrheit zu sagen wie Edward Snowden, Chelsea Manning oder Ray McGovern müssten jene ihre „Comfort-Zone“ verlassen. Ihr Kollege wiederholte, was er bereits vor einem Jahr sagte: Wer Widerstand leiste, sollte nicht zuerst fragen, ob er Erfolg haben werde. Es sei wichtiger zu handeln, etwas zu tun, gemeinsam mit anderen. Ob es erfolgreich sei, sei zweitrangig und werde sich dann zeigen. Die deutsche Kampagne gegen den Drohnenkrieg von der US-Basis Ramstein sei wichtig und ein gutes Beispiel dafür, was möglich ist, betonten die beiden ehemaligen CIA-Mitarbeiter. Moderatorin Elsa Rassbach, selber von der Kampagne “Stoppt den US-Drohnen-Krieg via Ramstein”, hatte diese zu Beginn des Abends kurz vorgestellt.

Erschienen bei: http://springstein.blogspot.de/2015/09/kriegslugen-und-prasidentenangst-teil-1.html und http://springstein.blogspot.de/2015/09/kriegslugen-und-prasidentenangst-teil-2.html
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Hier zu Videomitschnitten der Veranstaltung mit Ray McGovern u. E. Murray: https://youtu.be/v47Z5xhJ8xU und https://youtu.be/E3K_HpLg2Ho