Der NATO – Gipfel vom 11./12. Juli 2018 in Brüssel oder außer „Späßen“ nichts gewesen

von Karl Rehbaum

Zugegeben, es war durch das Agieren von US – Präsident Trump ein ungewöhnlicher Gipfel. Allerdings ist unter dem Strich nichts wesentlich Substanzielles entschieden worden. Ein Gipfel ohne nennenswertes Ergebnis. Dies ist schon an der Gipfelerklärung deutlich zu erkennen. Die langjährigen Erfahrungen mit solchen Erklärungen lassen den Schluss zu: je umfangreicher die Erklärung, desto geringer die inhaltlichen Ergebnisse des jeweiligen Gipfels. Die Brüsseler Erklärung umfasst 37 Seiten mit79 Punkte.

Trump hat in seiner unnachahmlichen „twittergestützten“ Art nicht nur den normalen Verlauf des Gipfels gestört, sondern auch erreicht, dass ein zusätzlicher Tagesordnungspunkt Finanzen diskutiert werden musste und deshalb eine intensivere Beschäftigung mit den Themen Georgien und Ukraine ausgefallen ist. Der NATO – Generalsekretär Stoltenberg hatte alle Hände voll zu tun, um ausgleichend Einfluss zu nehmen.

Schon im Vorfeld des Gipfels und unmittelbar vor Beginn der Tagung hat Trump in undiplomatischer Art die NATO – Mitgliedstaaten aufgefordert, die 2 % BIP für Militärausgaben schnell zu gewährleisten, eher noch illusorische 4 %.

Nun wird in den Qualitätsmedien und von Politikern dies so dargestellt, als seien die Forderungen der USA nicht realistisch. Aber zur Erinnerung – es ist ein gemeinsamer Beschluss beim Gipfel in Wales ( 2014 ) gefasst worden, also gemeinsame Wille. Trump griff in Sonderheit die BRD – Regierung, namentlich Kanzlerin Merkel, an, da Deutschland noch weit von den 2 % BIP entfernt ist und verknüpft diesen Vorwurf mit harscher Kritik an der beabsichtigten zweiten Gaspipeline ( Nordstream 2 ) durch die Ostsee. Mit dem höheren Energiebezug aus Russland, so Trump, würde Deutschland von Russland abhängig, wäre ökonomisch ein Gefangener Russlands. Dieser Ausfall gegen Deutschland und dessen wirtschaftlichen Interessen hat allerdings kaum einen militär-strategischen Hintergrund, ganz sicher aber einen ökonomischen. Die USA würden gern Westeuropa als wichtigen Markt für sein wesentliche teureres Fracking – Gas sehen wollen. Mit diesen Thema stieß Trump bei osteuropäischen Verbündeten, wie Polen und den Baltikum, auf offene Ohren und erhielt durch diese ungeteilte Zustimmung. Natürlich auch von der Ukraine. Demzufolge ist dieses Thema ein Beitrag zur Förderung der Widersprüche innerhalb der NATO.

Trumps Auftritt in der NATO – Tagung alarmierte sogar die Abgeordneten des US – Senats und des Kongresses, wie auch die Regierung in Washington. Sie alle bekannten sich zur NATO, dies zumal der Präsident indirekt mit dem Abzug der US – Truppen aus Deutschland oder deren Verlegung nach Polen gedroht hatte. Der Abzug oder die Verlegung der US – Streitkräfte aus Deutschland würde allerdings selbst den Plänen und derzeitigen militärischen Aktivitäten der USA widersprechen, denn die militärische Struktur der USA in Deutschland ist Grundlage für ihre Aktivitäten in Afrika und wird für die Kriege im Nahen- und Mittleren Osten benötigt.

Trump betonte während des Gipfels wiederholt, dass sich die europäischen NATO – Staaten zu sehr auf den Schutz durch die US – Streitkräfte verlassen und selbst nicht genügend tun.

Unausgesprochen, aber deutlich spürbar in den Positionen der europäischen NATO – Mitglieder war auch deren Meinung, dass Deutschland mit seiner dominanten Politik und der stärksten Armee in Westeuropa, sich für die anderen zur Bedrohung entwickelt.

Wenn man die Gipfelerklärung im Detail zur Kenntnis nimmt, wird der fehlende Neuwert der Erklärungen und Begründungen deutlich, ist die Täuschung der Öffentlichkeit hinsichtlich der Bedeutung des Gipfels sichtbar. Die Gipfelerklärung war übrigens schon zu Beginn der Zusammenkunft im jetzigen Wortlaut im wesentlichen fertig. Seitens der USA hatten Außenminister Pompeo und Sicherheitsberater Bolton die Erklärung bereits „abgenickt“ und Trump dann ohne Einwände zugestimmt.

In den ersten Punkten der Erklärung wird die NATO als Verteidigungsbündnis gelobt, seine Verantwortung für Sicherheit, Frieden und Stabilität hervorgehoben. Das angeblich aggressive Vorgehen Russlands wird breit thematisiert. Natürlich wird die Zusage zu Investitionen im Verteidigungsbereich ( 2 % BIP ), wie beim Gipfel in Wales beschlossen, bekräftigt. Hier erhebt sich die Frage, weshalb ist dann der Streit um die bisher zu niedrigen Anstrengungen Deutschlands und andere NATO – Staaten aus dem Ruder gelaufen ? Weshalb dann eine spontan einberufene Krisensitzung ? Zweidrittel der NATO – Mitglieder verfügen über Pläne, bis 2024 die 2 % BIP zu erreichen.

Russland wird wiederholt unterstellt, dass es die Grundsätze und Verpflichtungen der NATO – Russland – Grundakte verletzt habe. Deshalb die Beschlüsse von Wales und Warschau ( Gipfeltreffen) zur Vornepräsenz im östlichen Teil des Bündnisses. Russland habe illegal und illegitim eine Annexion der Krim und eine Destabilisierung des Ostens der Ukraine realisiert. Abgesehen davon führe Russland auch provokatorische militärische Handlungen nahe der NATO – Grenzen, große Übungen mit nuklearer Dimension usw. usf. durch. Hier sei die Frage erlaubt: Wer hat sich an wen durch Erweiterung provokatorisch genähert ?

Unbewiesen wird Russland der Einsatz von Nervengift unterstellt.

In der Erklärung wird ausdrücklich betont, dass die NATO die Annexion der Krim weder anerkennen, noch anerkennen werden. Hier benötigen m. E. die Verfasser des Textes einen Nachhilfeunterricht im Völkerrecht. Um es komprimiert darzulegen: Obwohl die NATO permanent das Völkerrecht verletzt, ist an allem Russland Schuld, besser noch Putin.

Hier ein Zitat aus der Erklärung;
„Es kann nicht wieder zur Tagesordnung ( Nato – Russland – Grundakte ) zurückgekehrt werden, solange es keine deutliche, konstruktive Änderung des russischen Vorgehens gibt, bei dem Russland zeigt, dass es dem Völkerrecht und seinen internationalen Verpflichtungen und Verantwortlichkeiten nachkommt.“

Die Aufgaben und Absichten der NATO zur Terrorismus – Abwehr werden auch wiederholt, sind also ebenfalls nicht neu. Die NATO beabsichtigt die nachrichtendienstliche Gewinnung von Erkenntnissen zu verbessern, die Reaktionsfähigkeit zu erhöhen, so z.B. einen Streitkräftepool von 30 größeren Kampfschiffen, 30 Kampfflugzeugstaffeln und 30 Batallionen Landstreitkräfte ( wie bereits vor dem Gipfel beschlossen ) zur Verfügung zu halten. Die in der Erklärung enthaltene Bildung von zwei Logistik – Kommandos in Norfolk und Ulm ist ebenfalls ohne Neuwert und schon zum Teil realisiert.

Eindeutig beabsichtigt die NATO ihre Voraussetzungen für eine Kriegsfähigkeit zu verbessern. So sollen militär – strategische Bewertungen der Ostsee, des Schwarzen Meeres, des Atlantiks und des Mittelmeeres erfolgen, eine Überprüfung der Weltraumpolitik stattfinden und den angeblichen Cyber – Bedrohungen mehr Aufmerksamkeit geschenkt werden.

Nicht neu, der Aufbau einer Vornepräsenz im östlichen Teil des Bündnisses und im Schwarzmeerraum, richtigerweise auch als militärische Einkreisung Russlands zu bezeichnen. In der Erklärung ist dazu zu lesen:

„Solange es Kernwaffen gibt, wird die NATO ein nukleares Bündnis bleiben, … Das nukleare Abschreckungsdispositiv der NATO beruht auch auf vorwärtsdislozierten Kernwaffen der USA in Europa und auf Fähigkeiten und Infrastruktur, die von den betreffenden Verbündeten bereitgestellt werden. Die nationalen Beiträge an Flugzeugen mit dualer Einsatzfähigkeit für den NATO – Auftrag der nuklearen Abschreckung bleiben bei dieser Anstrengung von zentraler Bedeutung,“

Diese Praxis ist eine Verletzung des Atomwaffensperrvertrages, den u.a. auch die Regierung der BRD unterzeichnet hat.
Natürlich wird auch die sogenannte Raketenabwehr entsprechend gewürdigt. Bekräftigt wird die Erklärung des Nordatlantikrates vom 20.09.2017, gemäß der die NATO den Vertrag über das Verbot von Kernwaffen nicht unterstützt. Die Begründung dafür ist eher abenteuerlich.

Es würde hier zu weit führen auf Einzelheiten der Gipfel – Erklärung zu Iran, Syrien, die KVDR, Afghanistan, Irak usw. einzugehen.
Der hinlänglich bekannte „Mittelmeerdialog“ und die „Istanbuler Kooperationsinitiative“ ( ICI ) werden zwar erwähnt, sind aber nicht das, was sie sein sollten. Sie funktionieren auf Grund einer falschen bzw. unzureichenden Nahost – Politik der NATO nur selektiv. Eine Verbesserung wird mit der Bildung eines Koordinierungszentrums der NATO in Neapel angestrebt.

Dem westlichen Balkan wird von NATO und EU eine besondere strategische Bedeutung beigemessen. Deshalb steht die Aufnahme Mazedoniens in die NATO an und gleiches ist auf längere Sicht mit Kosovo, Bosnien-Herzegowina und Serbien geplant.
Bei der beabsichtigten Aufnahme Georgiens und der Ukraine gibt es selbst aus Sicht der NATO noch Probleme. Dagegen buhlt man regelrecht um eine Beitritt Finnlands und Schwedens. In der Praxis, bei Übungen u.a.m. funktioniert hier schon eine Zusammenarbeit.

Zur EU wiederholen sich mehr oder weniger zurückliegende Erklärungen zur strategischen Bedeutung der Zusammenarbeit.

Trotz Trumps besonderem Stil im Umgang mit seinen Verbündeten ist die NATO ohne Unterlass dabei, ihre aggressiven Pläne und Ziele zu verwirklichen. Sich auftuende Widersprüche haben noch nicht die Qualität einer Schwächung des Bündnisses und sollten deshalb auch nicht überbewertet werden.

Die Verhinderung der Aktivitäten der NATO stellt die Friedensbewegung vor komplizierte Aufgaben. Diese erfordern ein einheitliches Vorgehen, keine Rechthaberei und / oder Spaltung.

Übrigens wurde bei Umfragen festgestellt, dass 42 % der Deutschen den Abzug der US – Streitkräfte aus Deutschland wollen und 75 % die Erhöhung des Militärbudgets auf 2 % BIP ablehnen.

Der Gipfel in Brüssel provoziert regelrecht die Notwendigkeit gegen die Kriegspolitik, die ständigen Provokationen der NATO und den sinnlosen Verbrauch von Steuergeldern aktiver zu werden.

Karl Rehbaum
18.07.2018