DDR-Solidarität im Anti-Apartheid-Kampf

Recht auf Anerkennung

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Die Gedenkstätte Liliesleaf in Johannesburg widmet sich der DDR-Solidarität für den Befreiungskampf in Südafrika. Ein Ortsbesuch

Von Christian Selz, Johannesburg

Die Straßen sind gesäumt von grünen Bäumen und gepflegten Rasenstreifen. Hinter den Mauern und Elektrozäunen liegen weitläufige Anwesen mit prächtigen Häusern, bewacht von privaten Sicherheitsdiensten. Rivonia, ganz im Norden der Metropole Johannesburg gelegen, wirkt heute wie ein beliebiges Oberschichtviertel im Speckgürtel einer südafrikanischen Großstadt. Der Stadtteil ist einer dieser Orte, an dem das ökonomische Erbe der Apartheid, die weltweit noch immer höchste Ungleichverteilung von Reichtum, deutlich spürbar ist. Zwischen den Villen mit Swimmingpool findet sich dort aber auch ein Museum, das an den bewaffneten Widerstand gegen die Apartheid erinnert – und in einer eigenen Dauerausstellung auch an die Unterstützung der Deutschen Demokratischen Republik für die Befreiungsbewegung.

Widersprüchlich wirkt dies nur auf den ersten Blick. Denn Rivonia ist untrennbar mit dem Kampf gegen das rassistische Regime verbunden, das in Südafrika bis 1994 herrschte. Anfang der 1960er Jahre – Johannesburg war noch wesentlich kleiner und der inzwischen von der wachsenden Stadt verschluckte Ort noch ländlich geprägt – hatte die längst verbotene South African Communist Party (SACP) dort über zwei ihrer Mitglieder die Farm Liliesleaf gekauft, die heute als nationale Gedenkstätte das gleichnamige Museum beherbergt. Der kleine Hof diente seinerzeit der im Untergrund agierenden Partei als Hauptquartier. Zugleich traf sich dort auch die Führung des Umkhonto we Sizwe (MK), des bewaffneten Arms des African National Congress (ANC), mit dem die SACP bis heute verbündet ist, um ihren Kampf gegen das Regime zu koordinieren. Die kleine Farm bot eine scheinbar ideale Tarnung, da weiße und schwarze Widerständler sich dort treffen konnten, ohne verdächtig zu wirken: Die Weißen posierten als Farmbesitzer, die Schwarzen als deren Arbeiter. Dennoch flog das Versteck auf. Bei einer Razzia der Geheimpolizei am 11. Juli 1963 wurden etliche führende Köpfe der Bewegung festgenommen. Der folgende Rivonia-Prozess, in dem den Männern um Nelson Mandela die Todesstrafe drohte und an dessen Ende lebenslange Freiheitsstrafen standen, lenkte die Aufmerksamkeit der Welt einmal mehr auf die Greuel der Apartheid. Die Befreiungsbewegung war durch die Verhaftung der Führung zwar deutlich geschwächt, schaffte es jedoch in der Folge, sich neu zu organisieren und suchte für ihren Kampf internationale Verbündete.

Im Westen waren keine zu finden. Der US-Geheimdienst CIA hatte dem Apartheidregime bereits den entscheidenden Hinweis zur Verhaftung Nelson Mandelas geliefert. Und in der Bundesrepublik Deutschland hielt Außenminister Willy Brandt 1968 in seinen »Leitlinien der deutschen Afrikapolitik« unumwunden fest: »Lassen Sie mich hier auch in aller Freimut ein Wort zu unseren Wirtschaftsbeziehungen zu Südafrika und den portugiesischen Gebieten sagen: Diese Wirtschaftsbeziehungen hatten eine lange Tradition. Wir hatten keinen Anlass, mit dieser Tradition plötzlich und einseitig zu brechen, zumal wir als ein auf Export angewiesener Industriestaat auch die Interessen unserer Wirtschaft wahren müssen.« Die Devise Bonns laut Brandt: »Handel und Politik nicht ohne Not koppeln«.

Tatkräftige Hilfe erhielten ANC, SACP und MK jedoch aus der DDR. Das sozialistische Land hatte sich 1974 die Unterstützung der »Staaten und Völker, die gegen den Imperialismus und sein Kolonialregime, für nationale Freiheit und Unabhängigkeit kämpfen«, in seine Verfassung geschrieben. Praktische Hilfe erwuchs daraus insbesondere nach dem Schüleraufstand in Soweto, bei dem das Apartheidregime Hunderte Kinder und Jugendliche erschossen hatte. Zwischen 1977 und 1989 bildete die DDR mehr als 1.000 Widerstandskämpfer militärisch aus, die meisten von ihnen auf einem eigenen Übungsgelände in Teterow bei Rostock. Auch die zivile Unterstützung war umfangreich und weitreichend. Der ANC unterhielt in Ostberlin ab 1978 ein offizielles Verbindungsbüro, das zwar nicht offiziell den Status einer Botschaft hatte, dessen Mitarbeiter aber Diplomatenpässe bekamen und über dem auch ganz offen die Flagge des ANC wehen durfte. Und in Neubrandenburg druckten ostdeutsche Arbeiter beispielsweise das ANC-Magazin Sechaba, das in den 1980er Jahren in einer Auflage von 20.000 Exemplaren aus der DDR in alle Welt verschickt wurde.

Ein Raum des alten Farmhauses von Liliesleaf ist diesem Kapitel der deutsch-südafrikanischen Geschichte nun permanent gewidmet. Das Museum hat dazu die größte Sammlung an Zeitzeugenberichten zur DDR-Solidarität mit Südafrika zusammengetragen, lässt die Protagonisten ihre Erlebnisse selbst ungefiltert erzählen – und liefert so auch eine völlig andere Betrachtung der DDR, weit weg von der in Deutschland gängigen Erzählung vom Unrechtsstaat, der seinen Bürgern angeblich alles vorschrieb und in dem Antifaschismus lediglich staatlich verordnet gewesen sein soll.

»Äußerst interessant an Neubrandenburg war, dass die Arbeiter dort ein Solidaritätskomitee gebildet haben. Die Arbeiter, die Sechaba gedruckt haben, waren aktive Anti-Apartheid-Arbeiter«, berichtet beispielsweise der 2016 verstorbene ANC-Aktivist Indres Naidoo. Eine zentrale Rolle in den Erinnerungen der einstigen MK-Kämpfer spielt auch die Art und Weise, wie sie in der DDR aufgenommen wurden. »Wir wurden mit menschlicher Würde behandelt«, sagt da beispielsweise Enoch Mashoala in einem Interview und fügt noch immer spürbar ergriffen hinzu: »In der DDR war jeden Tag Weihnachten.« Auch Ronnie Kasrils, damals Leiter der Geheimdienstabteilung des MK und nach dem Ende der Apartheid in mehreren Ministerämtern tätig, beschreibt im Interview, wie überwältigt die MK-Rekruten davon waren, von weißem Küchenpersonal am Tisch bedient zu werden: »Für schwarze Südafrikaner war das eine absolute Fantasiewelt, die wahr geworden war.« Für die Anti-Apartheid-Aktivisten war die DDR, so steht es in Liliesleaf auf einer großen Schautafel, »die Art von Gesellschaft, in der man leben wollte und für deren Aufbau in unserem eigenen Land man kämpfen wollte«.

Neben der militärischen Ausbildung wurden die meist jungen Widerstandskämpfer auch politisch geschult. »Es ging nicht darum, das Gewehr zu glorifizieren. Wir haben eine politische Frage beantwortet, keine Frage der Hautfarbe«, erinnert sich Mashoala. »Es gab einen Zweck, und dieser Zweck war kein rassistischer, sondern er lag darin, die Menschlichkeit und die Menschenrechte zu fördern – zu bekämpfen, was schlecht war, und zu fördern, was gut war«, ergänzt Mathews Phosa, der damals ebenfalls MK-Kämpfer war und heute Mitglied des Nationalen Exekutivkomitees des ANC ist. »Sie waren unsere Genossen, unsere Waffenbrüder in einem größeren Konflikt«, sagt die Historikerin Ilona Schleicher in einem Interview für die Ausstellung über die Südafrikaner. »Wir wollten das gleiche in der Welt: Frieden und Gerechtigkeit.«

Ronnie Kasrils, der als MK-Gründungsmitglied bereits 1964 zur militärischen Ausbildung in die Sowjetunion gegangen war, traf sich für die Dokumentation noch einmal mit Schleichers Ehemann Hans-Georg, der sich als DDR-Diplomat in Sambia, Simbabwe, Namibia und bei den Vereinten Nationen in New York stets auch für den ANC eingesetzt hatte. Gemeinsam gehen die beiden im Video über das ehemalige Übungsgelände. Kasrils springt lachend mit einem Stock in der Hand hinter einem Baum vor, um dann aber doch ernsthaft die Hintergründe der Partnerschaft zu erklären. Bereits in den 1960er Jahren hatte er gemeinsam mit dem späteren SACP-Generalsekretär Joe Slovo bei einer DDR-Reise mögliche Ausbildungsprogramme für MK-Kämpfer erörtert. »Die DDR war sehr engagiert, gewillt und konnte aufgrund ihres Hintergrunds des antifaschistischen Kampfes und der Methoden, die sie in bezug auf kommunistische Geheimaktivitäten perfektioniert hatte, ein herausragendes Ausbildungsniveau bieten«, konstatiert der inzwischen 80jährige, dessen Wort als Veteran des Befreiungskampfes in Südafrika bis heute Gewicht hat.

Die besondere Beziehung der Südafrikaner zur DDR stellt auch Nicholas Wolpe heraus. »Diejenigen, die in Norwegen und Schweden gelebt und studiert haben, reden darüber mit Zuneigung, aber bei der DDR geht es darüber hinaus. Da ist ein tiefes Gefühl der Zugehörigkeit«, erklärt er. Der Leiter der Gedenkstätte Liliesleaf, ein stämmiger Mann mit festem Händedruck, hat sich für ein Gespräch über die Ausstellung Zeit genommen – und lässt sich schließlich auch nicht davon abbringen, als er in eine eigentlich anberaumte Sitzung gerufen werden soll. Wolpe hat eine Mission, aus seinen Worten klingen Engagement und Überzeugung. Liliesleaf wolle an die Rolle der internationalen Gemeinschaft bei der Befreiung Südafrikas erinnern, erklärt er und gibt freimütig zu, dass ihm anfangs gar nicht bewusst war, welch große Bedeutung die DDR dabei hatte.

Die ersten beiden Teile der Ausstellung zur internationalen Solidarität befassten sich mit Norwegen und Schweden – und in beiden Fällen erhielt das Museum die Unterstützung des jeweiligen Landes. In der Bundesrepublik hielt sich die Begeisterung über die in Zusammenarbeit mit der Rosa-Luxemburg-Stiftung entstandene DDR-Ausstellung dagegen in äußerst engen Grenzen. »Die deutsche Botschaft war dem Projekt gegenüber ablehnend, sogar feindselig«, berichtet Wolpe. Für ihn aber war klar: »Man kann sich nicht mit der internationalen Solidarität befassen, ohne die Rolle der Ostblockländer zu berücksichtigen.« Er sei erstaunt gewesen über die Feindseligkeit gegenüber dem Projekt, erzählt der Liliesleaf-Leiter und verweist darauf, dass Südafrika durch die DDR eine »sehr enge emotionale Verbindung mit Deutschland« habe.

Einen Erklärungsansatz hat er bei Reisen nach Deutschland gefunden. »Das Gefühl von zwei Deutschlands ist noch immer fest verankert«, konstatiert Wolpe. »Ich habe den Eindruck, dass wir Deutschland zwingen, sich seiner Realität zu stellen, dass Deutschland kein geeintes Land ist, dass es auch kein geeintes Volk ist«, erklärt er. Statt dessen werde die Geschichte der Ostdeutschen ausradiert. »Eines der Nebenprodukte der Ausstellung ist, dass wir hervorheben, dass Ostdeutschland existiert hat und dass es auf der richtigen Seite der Geschichte stand.« Dabei würde Wolpe gern auch die Geschichte der westdeutschen Anti-Apartheid-Bewegung thematisieren. Die deutsche Botschaft hatte dem Vernehmen nach kritisiert, dass diese in Liliesleaf nicht berücksichtigt wurde. »Wenn die Regierung möchte, dass die westdeutsche Geschichte erzählt wird, dann muss sie das auch finanziell fördern«, sagt der Museumsleiter aber auch klipp und klar. »Die wollen Kuchen essen, aber nicht bezahlen.« Es gehe gar nicht darum, »ein Land zu verurteilen«, stellt Wolpe ob der Unterstützung Bonns für den Apartheidstaat fast beschwichtigend klar. »Wir wollen nicht die schlechte Rolle des westdeutschen Staats beleuchten, sondern die der Zivilgesellschaft, die sich gegen die Apartheid gestellt hat«, erklärt er. »Warum es da solche Abneigung gibt, weiß ich nicht.«

Aufhalten konnte ihn die ablehnende Haltung der Bundesrepublik jedenfalls nicht. »Ich würde dieses Projekt morgen früh wieder machen, ich würde das jeden Tag machen, denn die DDR hat ein Recht darauf, für ihre Rolle anerkannt zu werden«, sagt er überzeugt. Der im britischen Exil aufgewachsene Südafrikaner nimmt kein Blatt vor den Mund. Sein Vater Harold Wolpe war SACP-Mitglied und spielte Anfang der 1960er Jahre eine wesentliche Rolle beim Kauf von Liliesleaf. Kurz nach der Razzia war er ebenfalls festgenommen wurde, konnte aber noch vor dem Rivonia-Prozess aus dem Gefängnis entkommen, sich nach Botswana absetzen und schließlich nach England fliehen. Erst 1991, kurz nach der Aufhebung des Verbots von ANC und SACP, kehrte die Familie nach Südafrika zurück. Der britische Akzent des Sohnes zeugt noch heute von dieser Episode – ebenso wie der unbeirrbare Drang, die Geschichte des Befreiungskampfes unverfälscht zu erzählen. Auf die Frage, ob ihm denn angesichts des Drucks aus der deutschen Botschaft jemals Zweifel gekommen seien, platzt es förmlich aus Nicholas Wolpe heraus: »Ich habe mich einen Dreck darum geschert, es hat mich nicht interessiert, weder Tod noch Teufel konnten mich davon abhalten. Mein Vater stand auf einer Todesliste, also tue ich, was ich tun muss.« Auf der historischen Farm Liliesleaf hat er die Mission verwirklicht – und damit auch der DDR im fernen Johannesburg ein rares Denkmal gesetzt, das an den historischen Orten in Teterow oder anderswo in Ostdeutschland heute nicht zu finden ist.

Erschienen in junge Welt am 14.09.2019