»Waren wir überhaupt auf derselben Konferenz?«

“junge Welt” vom 30.11.2007 / Ausland / Seite 8 /

Aufklärung in Odense trug zu kritischer Analyse bei. Verfälschendes Bild in deutschen Medien.

Ein Gespräch mit Birgitta Almgren

Interview: Peter Steiniger

Prof. Dr. Birgitta Almgren leitet ein Forschungsprojekt über die Beziehungen Schweden-DDR an der Hochschule Södertörn, University College in South Stockholm, Schweden.

Sie haben am 17./18. November an der Konferenz des »Zentrums für Studien des Kalten Krieges« der Süddänischen Universität über die Hauptverwaltung Aufklärung (HVA) der DDR-Staatssicherheit teilgenommen …

Ich stehe mit dem Organisator der Tagung, Thomas Wegener Friis, über ein Netzwerk von DDR-Forschern in Kontakt. Ich nahm gemeinsam mit meinem Mann teil, für den als Schulbuchautor das Thema ebenfalls sehr interessant ist. Es war wirklich eine einmalige Gelegenheit, die damaligen Akteure selbst sprechen zu hören.

Die Birthler-Behörde hält es nicht für legitim, ehemalige DDR-Geheimdienstler als Zeitzeugen anzuhören. Ist das mit seriöser Forschung vereinbar?

Ein Ziel der Konferenz war es zu beleuchten, wie ein Nachrichtendienst arbeitet, dies bleibt ja sonst geheim – in diesem Fall in einem parteigesteuerten System. Jetzt konnten die HVA-Leute frei reden, da ihr Staat nicht mehr existiert. Ich finde, es ist wichtig, alle Perspektiven zu hören. Und dann ist es ja unsere Aufgabe als Wissenschaftler, die verschiedenen Argumente kritisch zu analysieren.

Es geht für die Wissenschaft nicht um Schuldbekenntnisse. Es geht gerade darum, daß die Aussagen der Referenten aus der früheren HVA Aufschlüsse geben über die Funktion und die Rolle der Ideologie für ihre Mitwirkung bei diesem Dienst. Ihre Vorträge zeigten auch, wie die Sprache als Ideologieträger funktioniert – und immer noch präsent ist.

Die großen deutschen Medien wetteifern darum, die Konferenz als eine Showveranstaltung unverbesserlicher Stasileute darzustellen. Wie war ihr Eindruck?

Ich habe einige dieser Artikel gelesen und kann das überhaupt nicht nachvollziehen. Mit Blick auf die Verfasser frage ich mich: Waren wir auf derselben Konferenz? Die Zeitungen stürzen sich auf irgendwelche provozierenden Äußerungen von Zugereisten in den Pausen, die nichts mit den Vortragenden zu tun haben.

Was hat die Tagung für die DDR-Forschung gebracht?

Ich fand die Kombination von jüngeren Forschern und damaligen Insidern sehr fruchtbar. Auch Opfer sind zu Wort gekommen. Die ehemaligen HVA-Leute haben die Rolle der Ideologie, die Funktion der Feindbilder des Kalten Krieges sichtbar gemacht, die Angst vor einem Atomkrieg und wie sie ihre Arbeit als Beitrag zur Erhaltung des Friedens betrachteten. Darüber erfahren wir nichts von diesen Journalisten. Es ist wichtig, nicht nur die politischen Machtstrukturen zu analysieren, sondern auch die Denkweisen, das Weltbild der damaligen Akteure.

Konnte die Konferenz den Wissensstand über die HVA voranbringen?

Ja, das finde ich. Im übrigen war es nicht so, daß die Stasi-Offiziere die Konferenz dominiert haben. Im Gegenteil – das waren die jüngeren Forscher aus der Bundesrepublik, aus den Niederlanden oder den USA. Professor Michael Scholz von der schwedischen Universität Visby, spezialisiert auf den Propagandakrieg, hat eine überwältigende Forschungsperspektive beigesteuert.

Haben die HVA-Zeitzeugen Einblicke in ihre damalige Arbeitsweise ermöglicht?

Gabriele Gast zum Beispiel hat konkret berichtet, wie sie damals in den Bundesnachrichtendienst eingeschleust wurde. So etwas kann man so direkt in keinen Akten nachlesen.

Dem Historiker Helmut Müller-Enbergs von der Birthler-Behörde, der privat teilnehmen wollte, wurden Konsequenzen angedroht. Ihr Urteil dazu?

Aus schwedischer Sicht sage ich, solche Konferenzen mit verschiedenen Perspektiven müssen möglich sein. Auch auf dieser ist deutlich geworden, daß die DDR eine Parteidiktatur war. Das haben die Stasi-Referenten sogar bestätigt.

Wegener Friis wirft im nachhinein den Referenten Propaganda »für ihre alten Glaubenssätze« vor. Können Sie das nachvollziehen?

Nein, das Verdienst der Konferenz war doch gerade, daß die Geschichte der DDR multiperspektivisch von Forschern und Zeitzeugen beleuchtet wurde. Die Stasi-Referenten haben dargelegt, wie es damals war und wie sie es heute sehen. Irgendwelche Schuldbekenntnisse waren überhaupt nicht Sinn der Sache.

 
Link zum Originalartikel in “junge Welt”