Kommunist und Kundschafter

SorgeRichard-lterIch habe am ersten Weltkrieg teilgenommen,

habe den Krieg an beiden Fronten –

im Osten und im Westen – mitgemacht,

bin mehrmals verwundet worden,

habe das Unglück des Krieges

am eigenen Leib erfahren.

Kriege werden letztlich nur von einer

kapitalistischen Gesellschaft inspiriert.

Um die Menschheit von diesem Unglück zu

befreien, muß man den Kapitalismus ablehnen!

Dr. Richard Sorge

 

Am Morgen des 7. November 1944 öffnete der Wärter die schwere Eisentür zu einer der Todeszellen im Tokioter Sugamo-Zuchthaus. Der Mann in der Zelle erhob sich. Nicht zum ersten Mal besuchte ihn der Direktor der Anstalt. Diesmal jedoch – der Verurteilte erkannte es sofort an den feierlichen Gebärden – sollte es sein letzter Besuch sein.

Das also war der Tag, an dem er sterben sollte, ein Feiertag, zwar nicht für die Henker, aber für ihn, den Kommunisten Dr. Richard Sorge. Der 27. Jahrestag der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution war angebrochen.( zitiert aus: Julius Mader et al. Dr. Sorge funkt aus Tokio; Deutscher Militärverlag). Richard Sorge, 1895 bei Baku als Sohn des deutschen Ingenieurs Wilhelm Sorge und dessen russischer Frau geboren, ging im Auftrag der Hauptverwaltung Aufklärung der Roten Armee (GRU) Anfang 1930 nach Shanghai und war ab 1933 offiziell als deutscher Journalist in Japan akkreditiert.

Leiter der GRU war zu diesem Zeitpunkt Jan Karlowitsch Bersin (genannt „der Alte“), der 1937 als angeblicher Volksfeind vom NKWD verhaftet und 1938 erschossen wurde. Erst im Juli 1956 wurde Bersin rehabilitiert.Sorge hatte zuvor in Deutschland mit ausgezeichneten Ergebnissen studiert und in verschiedenen Parteifunktionen der KPD gearbeitet. Sein Buch „Der deutsche Imperialismus“ gilt als eine der besten marxistischen Analysen aus der Zeit vor 1933.

Seine dialektische Denkweise und der scharfe Sinn für Genauigkeit in seinen Analysen prägten seinen Arbeitsstil auch später als Kundschafter.

Über seine Entwicklung als Kommunist und Internationalist schrieb er später während der Haft:

„Die russische Revolution wies mir den Weg zur internationalen Arbeiterbewegung. Ich beschloss, sie nicht nur theoretisch und ideologisch zu unterstützen, sondern auch selbst ein aktiver Teilnehmer dieser Bewegung zu werden. Von nun an ging ich, selbst wenn es Beschlüsse zu persönlichen Fragen waren, die ich zu fassen hatte, nur von dieser Zielsetzung aus. Und heute, wo ich Zeuge des zweiten Weltkrieges geworden bin, der nun schon das dritte Jahr andauert, besonders aber des deutsch-sowjetischen Krieges, bin ich noch mehr davon überzeugt, daß die Wahl, die ich vor fünfundzwanzig Jahren getroffen habe, richtig war. Ich sage das angesichts all dessen, was mir in diesen fünfundzwanzig Jahren zugestoßen ist.“

Gegen das Klischee vom „ Meisterspion“

Sorge war alles andere als der in vielen Publikationen so bezeichnete heldenhafte Meisterspion mit strenger, konspirativer und asketischer Lebensführung. Er handelte vielfach unkonventionell, gegen alle Dienstvorschriften der GRU und gegen Weisungen aus Moskau und äußerte oft recht offen, auch im Kreise der Mitarbeiter der deutschen Botschaft, seine Sympathien für die Sowjetunion.

Er genoss das Leben in vollen Zügen und war nie ein Freund von Traurigkeit.

Sorges Tätigkeit als Kundschafter stützte sich u.a. auf einen Kreis von rund 40 Internationalisten aus mehreren Ländern. In seine Gruppe RAMSAY (nach seinem Decknamen bei der GRU) waren u.a. 32 Japaner, vier Deutsche, zwei Jugoslawen und ein Brite tätig.

Sorges schärfste Waffe als Kundschafter war seine an der marxistischen Dialektik geschulte und meisterhaft gehandhabte analytische Fähigkeit. Ihm gelang es, selbst aus widersprüchlichen Einzelinformationen den rationalen Kern herauszufiltern und diesen prägnant nach Moskau zu übermitteln.

In mindestens zehn Funksprüchen verwies die Gruppe Ramsay auf den bevorstehenden Überfall der deutschen Wehrmacht auf die Sowjetunion – zuletzt mehrfach mit dem konkreten Termin der Aggression. Es gehört zu den tragischen Momenten der sozialistischen Aufklärungsarbeit, dass Stalin diese und andere zuverlässige Informationen ignorierte und ihre Quellen diffamierte.

Sorges treuer Freund und Kampfgefährte, Hozumi Ozaki, war einer der engsten Berater des Ministerpräsidenten Fürst Kanoe und hatte Einblick in fast alle Entscheidungsprozesse auf höchster staatlicher Ebene, so z.B. in der Geheimkanzlei des japanischen Kaisers – ja mehr noch, er konnte diese Entscheidungen auch nicht unwesentlich mit beeinflussen.

Am 6. September 1941 beschloss die kaiserliche Konferenz in Tokio im engsten Kreis, den Krieg gegen die USA, England und die Niederlande zu beginnen. Sorges Analyse ergab, dass die japanische Armee nicht in der Lage sei, an zwei Fronten zu kämpfen, und die geostrategischen Interessen Japans – zumindest in dieser Phase – auf den Südpazifik gerichtet waren. So konnte er am 14. September nach Moskau funken, dass die japanische Regierung die UdSSR nicht angreifen wird, der Ferne Osten der UdSSR damit erst einmal sicher sei. Deshalb konnte die sowjetische Militärführung gut ausgeruhte und ausgerüstete Divisionen des Fernöstlichen Militärbezirkes nach Moskau entsenden, die dazu beitrugen, die Schlacht vor Moskau zu entscheiden. Das war auch das Ende der Blitzkriegsstrategie der faschistischen Wehrmacht.

Der britische Geheimdiensthistoriker Phillip Knightley schrieb dazu:

„Das war der größte Dienst, den Sorges Ring der Sowjetunion leistete, aber er lag in der Grauzone zwischen politischem Einfluss (Ozakis Rolle im Kabinett des Ministerpräsidenten) und Spionage. Man kann argumentieren, Sorges Funkspruch sei nur eine Zusammenfassung dessen, was er und Ozaki bereits geschafft hatten – sie hatten die japanischen Entscheidungen gegen einen Angriff auf die Sowjetunion beeinflusst. Sorge selbst glaubte ohne Zweifel, dass der politische Einfluss seines Ringes wichtiger sei als seine Spionagetätigkeit.“ (Phillip Knightley: Die Geschichte der Spionage im 20. Jahrhundert, Verlag Volk und Welt, Berlin, 1990, S. 188))

Das Beispiel der Gruppe Ramsay und der Kundschaftertätigkeit von Richard Sorge zeigt: Eine genaue und zeitnahe Einsicht in die Absichten und Entscheidungsgründe potentieller Gegner erhalte ich nur, wenn ich zuverlässige menschliche Quellen im Umkreis der Entscheidungsträger nutzen kann. Diese Quellen sind dann in der Regel so platziert, dass sie nicht nur schlechthin Informationen beschaffen, sondern durch geschicktes Agieren die politischen Entscheidungen auch im Sinne ihrer Auftraggeber beeinflussen können.

Zu den führenden Kräften der Gruppe Ramsay gehörte auch der jugoslawische Kommunist Branco Vukelic, stellvertretender Leiter der französischen Presseagentur Havas in Tokio. Vukelic beherrschte zehn Fremdsprachen und unterhielt Kontakte bis in höchste Kreise Japans sowie zu ausländischen Vertretern in Japan.

Sorge selbst hatte durch seine enge Anbindung an die deutsche Botschaft in Tokio hervorragende Informationszugänge und Einflussmöglichkeiten.

Seine Lebensgefährtin, Hanako Ishii, fand 1949 nach längerer Suche den Ort, an dem die japanischen Henker Richard Sorge verscharrt hatten. Sie ließ die sterblichen Überreste verbrennen und sorgte für ein würdiges Grab auf dem Tama-Friedhof in Tokio.

Auf der Rückseite des Grabsteines steht:

„Hier ruht ein Held, der sein Leben hingab im Kampf gegen den Krieg, für den Frieden auf der ganzen Welt. Geboren 1895 in Baku, 1933 nach Japan gekommen, 1941 verhaftet, hingerichtet am 7. 11. 1944.“

Im Jahre 1997 haben zehn Rechtsanwälte in Japan nach jahrelangen Recherchen erreicht, dass die Anwaltskammer von Yokohama Richard Sorge vom Vorwurf der Spionage freigesprochen hatte. Damit entsprachen die japanischen Juristen der Position, die Sorge schon im Verfahren gegenüber dem japanischen Ankläger vertreten hatte, dass man ihn nicht als Feind Japans betrachten dürfe, weil er kein Spion im herkömmlichen Sinne sei.

Zitat:

„Die Sowjetunion wollte keine politischen Konflikte oder militärische Zusammenstöße mit anderen Ländern, besonders nicht mit Japan, und wollte Japan nicht überfallen. Folglich kamen ich und meine Gruppe ganz sicher nicht als Feinde Japans hierher. Wir unterschieden uns völlig von dem, was man normalerweise unter <<Spion>> versteht. Der Spion Englands oder Amerikas ist jemand, der die schwachen Punkte in Japans Politik, Wirtschaft und Militär als Angriffsziele auskundschaftet. Dies war nicht unsere Absicht, als wir Informationen über Japan sammelten.“ (zitiert in Robert Whymant: „Der Mann mit den drei Gesichtern“, S. 416)

Klaus Eichner