Russlands Intervention gegen den »Islamischen Staat« weist die USA in die Schranken. Moskau festigt Bündnis zwischen Iran, Syrien und Libanon
Von Rainer Rupp
Hat der russische Präsident Wladimir Putin mit seiner Rede am 28. September in New York anlässlich des 70. Jahrestags der Gründung der Vereinten Nationen den Anfang vom Ende der US-Hegemonie eingeleitet? Dieser Meinung ist zumindest Paul Craig Roberts, ehemaliger Staatssekretär unter US-Präsident Ronald Reagan (1981–1989). Und damit steht er nicht allein. Auf der ganzen Welt freuen sich Kommentatoren darüber, dass endlich jemand die scheinheiligen USA auf der Weltbühne in die Schranken gewiesen hat. In den vergangenen Jahrzehnten hatte Washington immer ungezügelter und willkürlicher seine Macht ausgenutzt, um anderen Ländern, die sich nicht fügen wollten, zu schaden oder sie einzuschüchtern. Widerstand gegen den US-Willen brachte rasche Vergeltung. Im Nahen Osten und in Afrika bedeutete das wirtschaftliche Sanktionen und militärische Invasionen, die ganze Länder zerstörten.
Schon wenige Tage nach seinem wegweisenden Appell zur Respektierung des Völkerrechts und der nationalen Souveränität der Staaten, des Rechts auf eigene Entwicklung und der klaren Ansage, dass Russland keine weiteren von westlichen Sponsoren angeleitete »Farbenrevolutionen« mehr dulden wird, hat Putin in Syrien seinen Worten Taten folgen lassen: in politischer und militärischer Zusammenarbeit mit der rechtmäßigen Regierung in Damaskus und deren regulärer Armee sowie deren verbündeten Milizen, wie z.B. der im Häuserkampf erfahrenen libanesischen Hisbollah und mit irakischen und iranischen Truppen. Die Präzision und Wirkung der russischen Luftangriffe auf schwer befestigte Positionen des »Islamischen Staats« (IS), den syrischen Al-Qaida-Ableger Al-Nusra-Front und andere, vom Westen offen unterstützte »moderate« Terrorgruppen, die Koordination von Luft- und Bodenangriffen und das reibungslose Zusammenspiel bei den gemeinsamen Operationen zur Befreiung der von Aufständischen unterschiedlichster Couleur besetzten und ausgeplünderten Gebiete hat alle verblüfft.
Noch bevor die eigentliche Bodenoffensive der syrischen Regierungsarmee und der verbündeten Kräfte begonnen hatte, erreichten drei Tage andauernde Angriffe der russischen Luftwaffe offensichtlich mehr gegen IS und Al-Qaida, als die mächtige U.S. Air Force in über einem Jahr geschafft hatte. Teilweise in chaotischer Auflösung flohen die IS- und Al-Qaida-Angehörigen zu Hunderten aus ihren Festungen.
Der »Kaiser in Washington« war mit einem Mal nackt vor den Augen der Welt. Schließlich hatten die USA dem »Islamischen Staat« zum Nimbus der Unbesiegbarkeit verholfen, weil es, so sah es aus, selbst der schier allmächtigen Luftwaffe im Laufe von 13 Monaten nicht gelungen war, dessen Vormarsch zu stoppen. Nicht nur im Irak wurde nach dem durchschlagenden Erfolg der Russen die Frage gestellt, ob die USA überhaupt ernsthaft gegen die Terrormiliz vorgehen wollten?
Bezeichnend ist die Reaktion im Westen. Wegen der überzeugenden Resultate der russischen Luftwaffe und der koordinierten Bodenoffensive der syrischen Armee und ihrer Verbündeten sehen die USA, Frankreich, Großbritannien, die Türkei, Saudi-Arabien und Katar den syrischen Präsidenten Baschar Al-Assad, mit dessen Ende sie schon fest gerechnet hatten, wieder gestärkt. Wütend heulen sie, Russland bombardiere ihre gemäßigten Terroristen und drohten Moskau alle möglichen Konsequenzen an. Zu deren Vollzug sind sie jedoch kaum in der Lage, wenn sie nicht noch größere Risiken eingehen wollen.
Durch die politisch-militärische Kooperation zwischen Iran und Russland, die übrigens auch von China politisch unterstützt wird, ist das Fundament für ein feste Verbindung von Teheran über Bagdad und Damaskus bis zu Beirut gelegt worden. Die geostrategischen Karten im Nahen Osten sind dadurch neu verteilt worden. Iran ist auf dem besten Weg, Saudi-Arabien als tonangebende Regionalmacht zu verdrängen. Zugleich ist Russlands Stern im Aufstieg begriffen, Nahen Osten und darüber hinaus, während das Ansehen der USA immer mehr schwindet. Washington bleibt entweder, sich noch stärker und offener an der Seite der Terroristen einzusetzen und damit einen Krieg mit Russland zu riskieren, den die Obama-Administration jedoch nicht will. Oder die USA retten ihr Gesicht zu retten und bekämpfen an der Seite Russlands, Irans und Syriens den IS und Co.
Erschienen in der Tageszeitung “junge Welt” am 20.10.2015