Beirut war kein Unfall

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Ein Kommentar von Dirk Pohlmann

Am 4. August 2020 explodierte im Hafen von Beirut, der Hauptstadt Libanons, etwas, darunter auch 2750 Tonnen Ammoniumnitrat, mit unvorstellbarer Wucht. Die Explosion riss einen Krater von über 140 Meter Durchmesser und 43 Meter Tiefe. Der Boden bebte, was noch in 240 Kilometer Entfernung in Zypern zu spüren war. Große Teile der Stadt wurden zerstört, mehr als 220 Menschen starben, 6000 wurden verwundet, 300.000 sind obdachlos. Die Explosion vernichtete auch einen großen Getreidespeicher, die Versorgung mit Getreide, die bereits seit 2019 nicht mehr funktionierte, kollabierte, nachdem auch US Truppen Getreidespeicher in Syrien angriffen. Die Vorräte des Libanon reichten nur noch für etwa einen Monat. Eine Hungersnot zeichnete sich ab. Die Explosion und das folgende Chaos verschärfte die Krise, in der sich die Bevölkerungsmehrheit durch Korruption und Ausbeutung Libanons ohnehin befand; in einem Maße, die zu Massenprotesten führte. Sechs Tage nach der Explosion musste die Regierung Hassan Diab zurücktreten, die von der Bevölkerung für die Explosion und die Folgen verantwortlich gemacht wurde.

Es ist bis heute unklar, was geschah. In den Mainstreammedien wird über die durch unfassbare Schlamperei und Behördenunfähigkeit ausgelöste Explosion von 2750 Tonnen Ammoniumnitrat berichtet, die sich 2014 auf dem von den Hafenbehörden von Beirut stillgelegten und später gesunkenen moldawischen Frachter Rhosus befunden hatten. Das ist auch die offizielle libanesische Version, die allerdings von Anfang auf Widerspruch traf, sowohl im Libanon als auch weltweit. Was in den Mainstreammedien nur sporadisch erwähnt wurde, wenn überhaupt. Sicher ist: Der Kapitän des maroden Schiffes konnte die Fahrt durch den Suezkanal nicht bezahlen und hatte deshalb Beirut angelaufen. Das geladene Ammoniumnitrat war eigentlich für Mosambik bestimmt, wo es zu Sprengstoff weiterverarbeitet werden sollte. Das Schiff wurde von seinen Eigentümern aufgegeben und von den libanesischen Behörden beschlagnahmt. Die Fracht der Rhosus wurde von September 2014 bis Oktober 2015 in eine Lagerhalle im Hafen verbracht, bevor das Schiff 2018 an der Mole versank. In der Lagerhalle blieben die 2750 Tonnen Ammoniumnitrat bis es, angeblich durch Schweißarbeiten in der Lagerhalle, zu einem Brand kam, zu dessen Folgen mehrere der Megaexplosion vorausgehende Explosionen gehörten, bis der gesamte chemische Rohstoff explodierte.

In einer Welt, in der es nur Verschwörungstheorien gibt, aber angeblich keine Geheimdienstoperationen, ist es nicht nur sinnlos zu fragen, warum zum Beispiel die USA mehr Geld für ihre 17 Geheimdienste ausgeben, als Russland für sein gesamtes Militär. Es ist auch bei Strafe der öffentlichen Diskreditierung, Erniedrigung und Existenzvernichtung verboten, zu ermitteln und darüber nachzudenken, wem die Kette von Ereignissen vor allem nützt, die selbstverständlich allesamt keinerlei kausalen Bezug haben und an deren Ende plötzlich und unvorhersehbar eine riesige Explosion steht. Die Cui Bono Frage darf im Universum der westlichen Massenmedien nur gestellt werden, wenn Russland oder neuerdings China für Vorgänge verantwortlich gemacht werden soll.

Dann allerdings gilt es seit einigen Jahren als Qualitätsjournalismus, wenn faktenfrei auf Grund von Vermutungen über die angebliche Verruchtheit und Perfidie von Vladimir Putin oder Xi Yinping berichtet wird, zwei Personen, die, wie gute Mediennutzer mittlerweile wissen, Ursache fast allen Übels in der Welt sein sollen. Die personalisierte Anklage gegen Russland und China ist in Spiegel, Süddeutscher, in ARD und ZDF gleichzeitig bereits die Verurteilung. Der Spiegel brachte es sogar fertig, Putin als Cover-Schurken in das Cockpit eines russischen Kampfjets zu montieren, um die Vorstellungswelt seiner Chefredaktion zu bebildern und dem gebenedeiten Qualitätsjournalismus der Hamburger Schule eine weitere Sternstunde hinzuzufügen. Satireschalter wieder auf „Aus“.

Gibt es hingegen eine Verbindung zu sicherheitspolitischen, militärischen und geheimdienstlichen Interessen des Staates Israel gilt sofort die Bibi-Grundregel, dass es irgendwie strukturell antisemitisch und verkürzte Kapitalismuskritik ist, solche Erwägungen als etwas anderes als irgendwie strukturell antisemitisch und verkürzt kapitalismuskritisch zu bezeichnen. Egal wie die Faktenlage ist. Der Mossad hat zwar nachweisbar die Rekordzahl von 3000 gezielten Tötungen auf dem Kerbholz, wie die Folgen staatsterroristischer Anschläge und illegaler Hinrichtungen mit großem Verständnis genannt werden, wenn sie von den Guten verübt werden. Aber das sind Fakten, die von der wirklich wahren westlichen Wahrheit ablenken. Denn für das Recht gilt ja die „Große Georginische Triumvirats-Regel“, benannt nach George Orwell und 2 mal George Bush, die besagt, dass auch vor dem internationalen Recht alle gleich sind, aber einige eben gleicher. Recht ist sowieso nur etwas für Loser ohne Nuklearwaffen.

Aus diesem Grund werden ihnen die folgenden Informationen in ARD, ZDF, FAZ, Süddeutscher und den Medien des Springerverlages Welt, Bild und taz vorenthalten. Zu ihrem eigenen Schutz. Denn sie wollen doch nicht wegen strukturell antisemitischer, verkürzter Kapitalismuskritik Schwierigkeiten bekommen, zum Beispiel mit ARD, ZDF, FAZ, Süddeutscher, Welt, Bild und taz? Zum Beispiel, weil sie der Meinung sind, dass die Machtpolitik eines militaristischen Staates nicht mit der Kultur einer jahrtausendealten religiösen Gruppe identisch sein kann oder identisch sein sollte, wenn man diese Kultur für wertvoll hält.

Was werfen sie da ein? Die taz gehöre gar nicht zum Springer-Verlag? Das muss man aber dazu sagen, weil merken tut man es nicht mehr!

An verschwiegenen Fakten wäre zum Beispiel folgendes im Angebot:

Israels Premierminister Benjamin Netanjahu hatte bereits am 27. September 2018 bei einer Generalversammlung der UNO eine Fototafel des Hafens von Beirut mit angeblichen Waffenlagern der Hisbollah gezeigt, und dabei genau den Teil des Hafens gezeigt, der jetzt vernichtet wurde. Netanjahu sagte mit Bezug auf die seit vielen Jahren angeblich unmittelbar bevorstehende Fertigstellung einer iranischen Atombombe: „Wir werden weiter gegen den Iran vorgehen, wann immer und wo immer wir es müssen, um unseren Staat und unser Volk zu verteidigen.“ Womit Netanjahu nicht nur den Iran selbst, sondern den schiitischen Bereich des Nahen Ostens meinte, also Iran, Irak, Syrien, Aserbaidschan und eben die schiitische Hisbollah Miliz, die größte nicht-staatliche Armee überhaupt.

Vor der Explosion in Beirut wurden mindestens zwei tieffliegende Jets über dem Stadtgebiet gehört und gesehen. In dem eben bereits zitierten Artikel der angesehenen Asia Times steht außerdem: „Hochstehende westliche Quellen teilten der Asia Times mit, dass westliche Aufklärungsflugzeuge über der libanesischen Küste im Einsatz waren, im Moment der Explosion. Sie hätten aber keine Angriffe ausgeführt.“ Das klingt nach Vorwissen, dass nicht zu einem Unfall passt.

Boaz Hayoun, ein israelische Experte für Sprengstoff und Seismographie, der unter anderem für die Einhaltung von Regularien für Sprengstoffe in Israel zuständig ist, stellte fest, dass es 43 Sekunden vor der gigantischen Explosion in Beirut eine Sequenz von 6 unterirdischen Explosionen im Abstand von jeweils 11 Sekunden gab. Die Zeitschrift „Israel Defense“ bezeichnete sie als Explosionen von Waffensystemen, die absichtlich oder unabsichtlich im Hafen von Beirut gezündet worden seien.

In einem Luftangriff am 21. Juli 2020 hatte die israelische Luftwaffe den wichtigen Hisbollah-Kommandeur Ali Kamel Mohsen Jawad bei einem Luftangriff auf den Flughafen von Damaskus getötet. Die Hisbollah hatte dafür Rache angekündigt und unmittelbar danach hatte der israelische Verteidigungsminister Benny Gantz gedroht, dass „der Libanon die schmerzhafte Verantwortung für jeden Anschlag tragen wird, der von seinem Territorium ausgeht“. Der christliche libanesische Präsident und der sunnitische Premierminister hatten beide mit der Hisbollah zusammengearbeitet.

Die israelische Führung hatte in verschiedenen Stellungnahmen klargestellt, dass sowohl Hisbollah als auch der Libanon als Staat für schiitische Angriffe auf israelische Truppen bestraft werden würden. Die Zeitung „Israel Hayom“ zitierte den israelischen Verteidigungsminister Gantz, dass er die israelischen Streitkräfte instruiert habe, libanesische Infrastruktur zu bombardieren, falls die Hezbollah israelische Soldaten oder Zivilisten verletze“. Der israelische Generalstabschef Aviv Kochavi fügte hinzu: „Falls die Hisbollah einen weiteren Angriff unternimmt, werden wir eine ungewöhliche Antwort der israelischen Streitkräfte auf die Hisbollah im Libanon beobachten.“

Die höchst merkwürdige Explosion in Beirut hat es in dieser Form, also mit einer Druckwelle, die man nur von Atomwaffen kennt, bisher nur zwei mal gegeben. Nicht bei der Explosion von Ammoniumnitrat, dass ohne Zusatz von weiteren Stoffen wie Öl oder Benzin eine stabile und nicht besonders explosive Substanz ist. Sondern bei den Einsätzen einer neuen Waffe durch Israel in Syrien und gegen die iranische Marine in diesem Jahr.

Die derzeitige Situation im Nahem Osten mit dem Schulterschluss der Vereinigten arabischen Emirate mit Israel und die bereits bestehende Zusammenarbeit Israels mit Saudi Arabien, das heißt die Allianz wesentlicher sunnitischer Kräfte mit den Israelis und den USA ermöglicht also ein Vorgehen gegen die schiitische Allianz Iran, Irak, Syrien und Aserbaidschan. Der Libanon ist jetzt ausgeschaltet. Die Strategie (Sieben Länder in fünf Jahren), den Nahen Osten ins Chaos zu stürzen, damit die USA, Israel und Saudi Arabien dort durchregieren können, ist weiter umgesetzt worden.

Gleichzeitig ermöglicht die Strategie neoliberalen Wirtschaftskräften den Libanon im Ausverkauf als Ramschware zu übernehmen. Zu den Nutznießern dieser Entwicklung gehört auch Frankreichs Präsident Macron, der sich in alter Kolonialmachtmanier für die Rettung des Libanon mit-zuständig erklärt hat. Aber auch libanesische Oligarchen in Brasilien, die dort mit transferiertem Kapital großen Einfluss erlangt haben und die es jetzt in die alten Heimat zurückzieht, gehören dazu. Das Kapital ist eben international aufgestellt. Und so ist klar: Jegliche Aufbauhilfe wird an die Umwandlung des korrupten Libanon in einen ebenso korrupten neoliberalen Modellstaat geknüpft.

Nicht zuletzt unterstützt der israelische Militärschlag die neue Strategie der USA unter Trump, in der er sich mit Sleepy Joe Biden einig ist, nämlich die Neue Seidenstraße wo immer möglich zu behindern oder zu zerstören und den Neuen Kalten Krieg und das totale Abkoppeln von China durchzuführen. Der Libanon war der Asiatischen Entwicklungsbank bereits beigetreten, die zur Finanzierung der Neue Seidenstraße gegründet wurde. Beirut war einer der wichtigsten Seehäfen der maritimen Seidenstraße. Insofern ist die Anwesenheit von westlichen Aufklärungsflugzeugen bei der Aktion, die gleichzeitig Frühwarn-, Überwachungs und Auswertungsfunktionen übernommen haben dürften, nicht überraschend. Und der Einsatz der neuen israelischen Waffe trifft sicher auf das (Kauf) Interesse der US Militärs.

Aber wie ist das dröhnende Schweigen in den Öffentlich-Rechtlichen zu all diesen Fakten, Strategien und Entwicklungsrichtungen, wie ist ihr kompletten Schweigen zur Rolle Israels bei gleichzeitigem flächendeckenden Neo-McCarthyismus (identisch in den NATO affinen Printmedien) angesichts jeder nicht dezidiert positiven Äußerung zur Kriegspolitik des israelischen Sicherheitsstaates mit ihrem verfassungsmäßigen Auftrag zur umfassenden Aufklärung der Bevölkerung in Einklang zu bringen?

Richtig, gar nicht. Sie sind, ähnlich wie die US Konzernmedien, im wesentlichen das Propagandainstrument eines zunehmend gewalttätigen Westens, der Demokratie für veraltet hält und an der Umgestaltung der Welt in neofeudale, überwachungskapitalistische „Governance“ Gebiete arbeitet.

Zuerst erschienen bei KenFM Tagesdosis 18. August 2020