“junge Welt” vom 12.06.2007 / Inland / Seite 8 /
Konferenz über HVA soll trotz Birthler-Boykott nachgeholt werden. Ein Gespräch mit Thomas Wegener Friis
Interview: Peter Steiniger
Thomas Wegener Friis ist Netzwerkkoordinator am Zentrum für Kalte-Kriegs-Studien der Süddänischen Universität, Odense
Sie sind Organisator einer wissenschaftlichen Konferenz zur MfS-Hauptverwaltung Aufklärung, die am 16./17. Juni in Berlin stattfinden sollte. Als Referenten waren auch Mitarbeiter der DDR-Auslandsaufklärung vorgesehen. Die Birthler-Behörde ließ die Veranstaltung kurzfristig platzen. Ziel der Tagung war, »die Geschichte der DDR-Spionage auf eine wissenschaftliche Grundlage zu stellen«. Fehlt eine solche?
Es ging darum, Zeitzeugenberichte, also Oral History, in die wissenschaftliche Arbeit einzubeziehen. Es ist von zentraler Bedeutung für die Forschung, solche Zeitzeugen zu befragen. Hinzu kommt eine Besonderheit in bezug auf die DDR-Auslandsspionage. Während die Akten aus den anderen Abteilungen der Stasi im großen und ganzen erhalten sind, ist dies für die HVA nicht der Fall.
Kann man überhaupt eine seriöse Forschung zur Zeitgeschichte nur auf Akten stützen?
Das machen ja viele (lacht). Was unser Institut betrifft, legen wir größten Wert darauf, wichtige Zeitzeugen nicht auszulassen. Das gilt nicht nur für die HVA-Leute, sondern generell.
Die Max-Planck-Gesellschaft hat Ihnen die Verträge für den Veranstaltungsort, das Harnack-Haus in Berlin, gekündigt. Zuvor untersagte die Beauftragte »für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes«, Marianne Birthler, BStU-Experten die Mitwirkung. Hat die deutsche Politik Angst vor der Wissenschaft?
Was im Hintergrund gelaufen ist, weiß ich nicht. Uns gegenüber verweist das Harnack-Haus auf die BStU. Man teilte uns mit, daß durch den Rückzieher der Birthler-Behörde ein ausgewogener Verlauf der Konferenz nicht mehr gewährleistet sei. Da bin ich zwar nicht ganz einer Meinung, freue mich aber, daß die Max-Planck-Gesellschaft damit auch sagt, daß bis dahin die Ausgewogenheit der Veranstaltung gegeben war.
Haben BStU-Vertreter bereits früher Bedenken geäußert?
Nein, Frau Birthlers plötzliche Kritik hat uns sehr überrascht. Für eine solche Konferenz geht man vielfältige Verpflichtungen ein. Es sollten Wissenschaftler aus Dänemark, Schweden, Holland, Rußland und Deutschland teilnehmen. Einer der Haupt-Referenten war der führende Geheimdienstexperte Helmut Müller-Enbergs von der BStU. Der Abteilungsleiter ihrer Forschungsabteilung hatte alles begutachtet. Als im Februar 2007 die Zusage kam, gab es keinerlei Kritik.
Als Referenten waren u. a. der letzte Leiter der HVA, Werner Großmann, sowie die Top-Spione Rainer Rupp und Gabriele Gast vorgesehen. Zieht Frau Birthler die Kompetenz dieser Zeitzeugen in Zweifel oder kommen diese einfach nur von der falschen Seite?
Es geht hier nicht um wissenschaftliche Bedenken, auch wenn Frau Birthler das vorschiebt. Die BStU hat klipp und klar erklärt, mit solchen Leuten könne man nicht reden. Sie seien aufgrund ihrer Vergangenheit als Zeitzeugen disqualifiziert.
War die HVA ein Instrument politischer Unterdrückung, sind ihre Mitarbeiter als Täter zu verdammen?
In der Bundesrepublik, in Dänemark und wohl allen Ländern ist Spionage natürlich verboten. Entsprechend sind Agenten immer Täter. Spionage gehört aber untrennbar zur Geschichte des Kalten Krieges. Das ist das, was für die Wissenschaft zählt. Es muß möglich sein, die Geschichte der Spionage aufzuarbeiten, ohne den Vorwurf, man lenke dadurch von der Unterdrückung in den kommunistischen Staaten ab.
Beschäftigt sich Ihr Institut auch mit der Rolle der anderen Seite im Agentenkrimi?
Ja, das tun wir. Zur Zeit laufen Untersuchungen zur US-Spionage gegen Dänemark im Kalten Krieg.
Wäre so ein Eingriff in die Wissenschaft in Dänemark möglich?
Nein, so etwas wäre hier undenkbar. Es handelt sich um einen Eingriff in die Freiheit der Wissenschaft. Auch die Art und Weise von Frau Birthler ist beschämend: Daß sie ihrem Referenten quasi Redeverbot erteilt, gehört sich nicht, besonders bei einem Thema, wo es auch um Diktatur geht.
Soll die Konferenz nachgeholt werden?
Ja, und wir haben dafür die volle Unterstützung unserer Universität. Sie soll zu einem späteren Zeitpunkt mit Wissenschaftseinrichtungen durchgeführt werden, die sich der Freiheit der Wissenschaft verpflichtet fühlen.