Ankara schickt Truppenkontingent in den Nordirak. Angeblich zur Ausbildung von Kurden, tatsächlich wohl für Sicherung von Ölschmuggel
Von Rainer Rupp
Der türkische Präsident Recep »Sultan« Tayyip Erdogan weiß die NATO fest an seiner Seite. Deutschland und die EU enthalten sich jeglicher Kritik an ihm und betteln, er möge ihre drei Milliarden Euro annehmen und dafür bitte, bitte keine weiteren Flüchtlinge mehr Richtung Westeuropa durchlassen. Das ermuntert offenbar den Machthaber in Ankara, trotz der hochexplosiven Situation im Grenzgebiet zum Irak und zu Syrien weiter zu zündeln. In der Nacht von Freitag zu Samstag schickte er laut türkischer Nachrichtenagentur Anadolu 20 bis 25 Kampfpanzer und etwa 150 Soldaten in den Nordirak. Angeblich soll mit dieser Nacht- und Nebelaktion die Ausbildung von kurdisch-irakischen Peschmerga-Kämpfern besser gewährleistet werden. Bislang waren dort lediglich 50 türkische Instrukteure tätig. Allerdings passen Panzer und Artillerie nicht zur behaupteten Erweiterung des Trainingsauftrags, zu dem keine Einladung der irakischen Regierung in Bagdad vorlag.
Die Herrscherclique der Türkei lernte längst von den mit ihr verbündeten Gewaltregimen in der NATO, insbesondere von den USA, nationale Souveränität und Völkerrecht als lächerliche Überbleibsel einer barbarischen Zeit anzusehen. So marschierte denn auch die moderne Türkei in den letzten zwei Jahrzehnten immer wieder mit Truppen in den Nordirak ein – stets mit stillschweigender Zustimmung der nordatlantischen Terroroganisation. Etwa während der »Operation Sonne« im Jahr 2008, der »Operation Hammer« 1997 und der »Operation Stahl« 1995, um nur die größten zu nennen.
Bei so viel Erfahrung im Völkerrechtsbruch stört es das Regime in Ankara nicht, dass der irakische Ministerpräsident Haider Al-Abadi sofort nach Bekanntwerden den aktuellen militärischen Einfall der Türkei als »Verletzung der Souveränität« verurteilte. Er forderte Ankara auf, »unverzüglich« alle Truppen abzuziehen. Zugleich unterstrich Al-Abadi, die Türkei habe keine Erlaubnis, irakische Gruppen auf dem Territorium des Landes auszubilden.
Allerdings scheint es Erdogan und Co. darum auch nicht zu gehen. Er schickte Artillerie und Panzer in die Nähe der nordirakischen Stadt Zacho. Sie liegt nur 118 Straßenkilometer von Mossul entfernt. Die Gebietshauptstadt ist fest in der Hand des »Islamischen Staats« (IS). Die Grenze zwischen dem vom IS und dem von Peschmerga kontrollierten Gebiet verläuft auf halbem Weg zwischen beiden Städten. Zacho wiederum ist zentraler Umschlagplatz für den Schmuggel von IS-Öl in die Türkei. Das enthüllte die in London sitzende Internetzeitung Al-Araby Al-Jadeed am 26. November. Sie hatte früher den monatlichen Gewinn des IS aus dem Ölverkauf auf 19 Millionen US-Dollar geschätzt. Nun berief sich die Zeitung auf Aussagen eines kurdischen Sicherheitsoffiziers, auf Zöllner des Ibrahim-Khalil-Grenzübergangs zwischen der Türkei und Irak und auf einen leitenden Mitarbeiter eines der drei Unternehmen, die IS-Öl illegal über die Grenze bringen. Das wirft ein anderes Licht auf den türkischen Vorstoß. Die Frage ist: Will Erdogan das lukrative IS-Ölschmuggelgeschäft seiner Familie, das Russlands Präsident Wladimir Putin jüngst öffentlich machte, auch im Irak mit türkischen Truppen schützen? Er hätte es dann mit der rechtmäßigen Eigentümerin, der Regierung in Bagdad, zu tun. Sie hat, unterstützt von schiitischen Milizen, in den letzten Tagen begonnen, den IS zurückzudrängen.
Nachzulesen in der Tageszeitung “junge Welt” vom 07.12.2015