„Gefährdung des Schulfriedens“ –verbietet das Tragen von Palästinenser-Tüchern an allen Berliner Schulen

Von Florian Warweg.

Am 13. Oktober erhielten alle Berliner Schulleiter, Schulämter und Schulaufsichtsbehörden ein vierseitiges Schreiben, gezeichnet von der Bildungssenatorin Katharina Günther-Wünsch, mit dem Titel: „Umgang mit Störungen des Schulfriedens im Zusammenhang mit dem Terrorangriff auf Israel“. Der Inhalt hat es in sich. Denn neben „strafrechtlich relevanten“ Aspekten wie offene Aufrufe zur Gewalt, die sowieso bereits verboten sind, wird in dem Schreiben verkündet, dass auch „Symbole, Gesten und Meinungsäußerungen“, die „die „Grenze zur Strafbarkeit noch nicht erreichen“, untersagt sind. Darunter fallen unter anderem das „sichtbare Tragen von einschlägigen Kleidungsstücken“ wie der Kufiya, der traditionellen arabischen Kopfbedeckung, oder auch Aufkleber mit „Free Palestine“. Lehrer werden zudem aufgerufen, „im Verdachtsfall“ ihre Schüler „unmittelbar“ bei der Polizei zu denunzieren.

„Angesichts der ethnischen und religiösen Vielfalt der Berliner Schülerschaft ist Toleranz und die Duldung einer Pluralität von Meinungen unerlässlicher Bestandteil des Bildungs- und Erziehungsauftrags der Berliner Schule. Die Toleranz findet jedoch dort eine Grenze, wo terroristische Gewalt und Brutalität propagandistisch unterstützt werden…“, heißt es zu Beginn des Schreibens. Weiter wird dann von der Bildungssenatorin ausgeführt:

„Jede demonstrative Handlungsweise oder Meinungsäußerung, die als Befürwortung oder Billigung der Angriffe gegen Israel oder Unterstützung der diese durchführenden Terrororganisationen wie Hamas oder Hisbollah verstanden werden kann, stellt in der gegenwärtigen Situation eine Gefährdung des Schulfriedens dar und ist untersagt.“

Soweit scheint auch alles noch vertretbar, außer dass die Formulierung „verstanden werden kann“ aufzeigt, wieviel Interpretations- und Willkürpotenzial diesem Schreiben innewohnt. Die Bestätigung dieser Befürchtung folgt auch gleich im nächsten Absatz. Dort erklärt die CDU-Bildungssenatorin, dass das Verbot auch „Symbole, Gesten und Meinungsäußerungen“ umfasse, „die die Grenze zur Strafbarkeit noch nicht erreichen“, und zählt dann exemplarisch auf, welche „Handlungsweisen und Symbole in der gegenwärtigen Situation den Schulfrieden gefährden“ würden und daher ab jetzt verboten seien:

  • „Das sichtbare Tragen von einschlägigen Kleidungsstücken (z.B. die als Palästinensertuch bekannte Kufiya).
  • Das Zeigen von Aufklebern und Stickern mit Aufschriften wie „free Palestine“ oder einer Landkarte Israels in den Farben Palästinas (weiß, rot, schwarz, grün).
  • Ausrufe wie „free Palestine!” und demonstrative verbale Unterstützung der Hamas und deren Terrorismus.“

Gerechtfertigt und begründet wird diese massive und zudem sehr einseitige Einschränkung der Meinungsfreiheit mit dem Satz:

„Die Vermeidung politischer und religiös-weltanschaulicher Konflikte in Schulen stellt ein gewichtiges Gemeinschaftsgut dar, welches eine Einschränkung der Meinungsfreiheit rechtfertigt.“

Doch schauen wir uns erstmal etwas genauer an, was für Symbole mit welchem historischen und politischen Hintergrund hier vom Berliner Senat verboten werden.

  1. „Das sichtbare Tragen von einschlägigen Kleidungsstücken (z.B. die als Palästinensertuch bekannte Kufiya)“

Die Kufiya, daher auch der Name, stammt ursprünglich aus der irakischen Stadt Kufa und hat sich über die Jahrhunderte im gesamten arabischen Raum zu einer traditionellen Kopfbedeckung gegen Sonneneinstrahlung und Wüstenstürme entwickelt. Als „Palästinensertuch“ und politisches Symbol wurde die Kufiya in Deutschland ab den 1970er Jahren bekannt durch den Anführer der säkularen Fatah-Organisation, Jassir Arafat. Die schwarz-weiße Kufiya wurde zu Arafats Markenzeichen und gilt noch heute als Symbol der Fatah. Also ein Symbol von dem Mann und der Organisation, die im Rahmen des Oslo-Friedensprozesses das Existenzrecht Israels anerkannten, sich zum Friedensprozess bekannten und öffentlich dem Terrorismus als politischem Mittel abschwörten. Die Kufiya gehörte übrigens auch zur Standardausrüstung von Bundeswehrsoldaten bei deren Einsatz in Afghanistan.

Der Berliner Senat verbietet hier also das Tragen eines traditionellen arabischen Kleidungsstückes, welches politisch gesehen, wenn überhaupt, ein Symbol der sozialdemokratisch ausgerichteten Fatah und eingeschränkt, in seiner rotgefärbten Variante, auch der marxistisch geprägten panarabischen PFLP ist. Verboten wurde hier von der Berliner Bildungssenatorin folglich ein Symbol von expliziten politischen Gegnern der islamistisch ausgerichteten Hamas.

  • „Das Zeigen von Aufklebern und Stickern mit Aufschriften wie „free Palestine“.

Der Slogan „Free Palestine“ bezieht sich auf die Befreiung der palästinensischen Gebiete von der israelischen Besatzungsmacht. Dass Ostjerusalem, der Gazastreifen und die Westbank völkerrechtlich bis heute als „von Israel besetzte Gebiete“ gelten, zweifelt noch nicht einmal die Bundesregierung an. Meine Frage letzte Woche bei der Bundespressekonferenz an die Vize-Regierungssprecherin Christiane Hoffmann und den Sprecher des Auswärtigen Amtes, Christian Wagner, ob die Bundesregierung Gazastreifen und Westbank nach wie vor als von Israel besetzt betrachtet, bejahten beide eindeutig:

Auszug aus dem offiziellen BPK-Protokoll vom 11. Oktober 2023:

Frage Warweg:

Eine generelle Verständnisfrage: Sowohl die Vereinten Nationen als auch das US State Department bewerten nach wie vor sowohl den Gazastreifen als auch die Westbank als von Israel besetzte Gebiete. Da würde mich interessieren: Hält die Bundesregierung an dieser Einschätzung auch weiterhin fest? Bewertet sie den Gazastreifen sowie die Westbank also auch als von Israel besetzte Gebiete?

Stellvertretende Regierungssprecherin Hoffmann:

Ich wüsste nicht, dass sich an einer deutschen Einschätzung etwas geändert hat.

Zusatzfrage Warweg:

Wie lautet die? Können Sie das noch formulieren? Werden die als besetzte Gebiete bewertet oder nicht?

Wagner (AA):

Wir sprechen von den besetzten palästinensischen Gebieten.

Das heißt, hier verbietet der Berliner Senat, namentlich die CDU-Bildungssenatorin, eine Forderung, einen Slogan, der im Grunde nichts anderes tut, als die Umsetzung von geltendem Völkerrecht und entsprechenden UN-Resolutionen einzufordern. Noch perfider ist es, dass „free Palestine“ in dem Schreiben gleichgesetzt wird mit „demonstrative verbale Unterstützung der Hamas und deren Terrorismus.“

Doch damit nicht genug. Im weiteren Verlauf fordert die Senatsverwaltung für Bildung die Lehrer auf, entsprechende „Verdachtsfälle“ umgehend bei der Polizei anzuzeigen:

„Darüber hinaus sollten Sie und das schulische Personal Verdachtsfälle strafbarer Handlungen unmittelbar der Polizei melden.“

Hier will der Senat Lehrer mindestens mittelbar als Denunzianten und eine Art Hilfspolizei instrumentalisieren, und das alles ausgerechnet unter der Prämisse „Sicherung des Schulfriedens“.

Dass diese Verbote nicht nur kurzfristig angelegt sind, zeigen die nachfolgenden Ausführungen in dem Schreiben, aus denen hervorgeht, dass auf die Verstetigung des Verbotes hingearbeitet wird. Es wird den Schulleitern ausdrücklich empfohlen, die aufgeführten Verbote in die Hausordnung aufzunehmen. Ein entsprechender Formulierungsvorschlag wird in dem Schreiben gleich mitgeliefert:

„Zudem ist es möglich, ein entsprechendes Verbot in die Hausordnung nach § 76 Absatz 2 Nummer 9 SchulG aufzunehmen. Hierbei empfiehlt sich die folgende Formulierung:

Jede demonstrative Handlungsweise oder Meinungsäußerung, die als Befürwortung oder Billigung der Angriffe gegen Israel oder Unterstützung der diese durchführenden Terrororganisationen wie Hamas oder Hisbollah verstanden werden kann, stellt eine Gefährdung des Schulfriedens dar und ist untersagt.

Dazu zählen sowohl Meinungsäußerungen als auch das Mitführen von Symbolen und das Ausführen von Gesten, die eine Befürwortung oder Billigung der Angriffe oder Unterstützung der diese durchführenden Terrororganisationen beinhalten. Dies geht über Symbole, Gesten oder Meinungsäußerungen hinaus, die strafrechtlich relevant sind.“

Fassen wir den Wahnsinn zusammen: Die Berliner Bildungssenatorin behauptet allen Ernstes, dass sie mit dem Verbot von traditionellen arabischen Kleidungsstücken, die im Zweifel, falls sie überhaupt politische Symbolik haben, für die innerpalästinensischen Gegner der Hamas stehen sowie dem Untersagen der Nutzung der völkerrechtlich gedeckten Forderung nach palästinensischen Gebieten ohne israelische Besatzung („Free Palestine“ ) und der Aufforderung an die Lehrer, ihre eigenen Schüler zu kriminalisieren („…Handlungen unmittelbar der Polizei melden“), einen Beitrag zur Beibehaltung des Schulfriedens leistet. Es ist nicht schwer vorauszusehen, dass sie damit genau das Gegenteil erreichen wird…

Werte Leser, wie bewerten Sie dieses Schreiben? Schreiben Sie uns gerne an: leserbriefe@nachdenkseiten.de

Falls Sie Informationen haben, dass es ähnliche Schreiben auch in anderen Bundesländern gibt, schreiben Sie gerne an: recherche@nachdenkseiten.de

Das gesamte Schreiben der Berliner Senatsverwaltung für Bildung finden Sie hier:

Zuerst erschienen auf den NachDenkSeiten am 17. Oktober 2023