Libyen-Kriegsverschwörung

Humanitäre Intervention? E-Mail-Korrespondenz der früheren US-Außenministerin Clinton verweist auf westliche Interessen am Sturz Ghaddafis

Von Rainer Rupp

Warum intervenierte der Westen im Jahr 2011 in Libyen? Wie Beobachter seinerzeit schon eingeschätzt hatten, wurde auch dieser imperialistische Krieg nicht zum Schutz der Menschenrechte oder der Demokratie geführt, sondern knallharter wirtschaftlicher und geostrategischer Interessen wegen. Das geht auch aus der kürzlich bekanntgewordenen E-Mail-Korrespondenz der früheren US-Außenministerin Hillary Clinton hervor, zu deren Herausgabe das State Departement gezwungen worden ist.

Clinton, derzeit favorisierte Kandidatin der Demokraten für die nächste US-Präsidentschaftswahl, war dabei erwischt worden, als Außenministerin von Präsident Barack Obama in den Jahren 2009 bis 2013 entgegen strikter Sicherheitsvorschriften keine dienstliche E-Mail-Adresse verwendet und die Daten auf einem privaten Server gespeichert zu haben. Kritiker vermuten, um den Schriftverkehr auf diese Weise der öffentlichen Kontrolle zu entziehen und sich persönlich vor eventuellen Konsequenzen zu schützen. Sie selbst führt öffentlich »Bequemlichkeit« ins Feld, so habe sie schließlich nur ein Smartphone nutzen müssen.

Das jüngste Paket von rund 5.500 Clinton-Dokumenten wurde am Silvesterabend ins Netz gestellt, offensichtlich in der Absicht, möglichst wenig Aufmerksamkeit zu erregen. Das scheint teilweise gelungen. Hierzulande wurde lediglich Harmloses daraus zitiert, etwa, dass Bundeskanzlerin Angela Merkel das »Obama-Phänomen« nicht möge. Das Auftreten des US-Präsidenten entspreche dem Gegenteil von Merkels »Vorstellung von Politik«, hat es in einer privaten Mail geheißen, aus der unter anderem die New York Times und der britische Guardian Teile wiedergaben, worüber wiederum Springers Welt berichtete. Andere suchten nach dem »Vollidioten« im Außenministerium, über den sich der frühere US-Botschafter John Kornblum laut E-Mail mokierte. Der Diplomat a.D. hatte mit diesem Wortlaut einen der möglichen Nachfolger für den damaligen Staatssekretär für politische Angelegenheiten im US-Außenministerium, William Burns, bezeichnet. Der politisch explosive Inhalt einer elektronischen Information zum Libyen-Krieg, datiert auf den 2. April 2011, wird in den Mainstreammedien dagegen ignoriert.

Die besagte E-Mail stammt von Sidney Blumenthal, einem langjährigen engen Vertrauten Clintons, der sich als Lobbyist und »Informationsvermittler« zwischen Politikern, Geheimdienstlern und Konzernchefs weltweit einen Namen gemacht hat. In seinem Schreiben führt Blumenthal aus, dass »Ghaddafis Regierung über 143 Tonnen an Goldreserven und eine ähnliche Menge an Silber im eigenen Land verfügt«. Das Gold sei schon lange vor der aktuellen Rebellion angehäuft worden »mit dem Zweck, eine gesamtafrikanische Währung aufzubauen, und zwar auf der Grundlage eines mit Gold gedeckten libyschen Dinar«. Dieser Plan sei entwickelt worden, »um den frankophonen afrikanischen Ländern eine Alternative zum französischen Franc (CFA) zu bieten«. Um eben dies zu verhindern, hätten die Franzosen den Krieg gegen Libyen begonnen.

Tatsächlich kursierten zu jener Zeit entsprechende Gerüchte über Ghaddafis Absichten, die Hegemonie Frankreichs über dessen ehemalige afrikanische Kolonien zu brechen. Zur Erreichung dieses Ziels schien er fest entschlossen, den Ölreichtum seines Landes einzusetzen. Offensichtlich war das unerträglich für Paris. Dort musste man u. a. befürchten, die »Hoheitsrechte« über die Uranminen in Nordwestafrika zu verlieren, von denen das zivile und militärische Atomprogramm Frankreichs abhängig ist.

Der Nachricht über Libyens Vorhaben zur Befreiung Afrikas vom neokolonialen Joch folgt Blumenthals Einschätzung an Clinton: »Französische Geheimdienstler entdeckten diesen Plan, kurz nachdem die Rebellion begonnen hatte. Laut gut informierten Personen wird Ghaddafis Gold und Silber auf mehr als sieben Milliarden Dollar geschätzt. Dies war einer der Faktoren, die Präsident Nicolas Sarkozy zum Angriff auf Libyen veranlassten. Gemäß dieser Personen seien Sarkozys Pläne auch von folgenden Punkten getrieben: 1. dem Wunsch, einen größeren Anteil an der Ölproduktion Libyens zu gewinnen; 2. den Einfluss Frankreichs in Nordafrika zu stärken; 3. die innenpolitische Situation in Frankreich zu verbessern; 4. um dem französischen Militär die Möglichkeit zu geben, seine Position in der Welt zu behaupten; 5. um auf die Sorgen seiner Berater über Ghaddafis langfristige Pläne einzugehen, nämlich Frankreich als die dominierende Macht aus dem frankophonen Afrika zu verdrängen.«

Die eigentliche Verschwörungstheorie, die mit Blick auf Libyen bis heute mit Erfolg verbreitet wird, ist die, dass der Krieg gegen Muammar Al-Ghaddafi aus Sorge um Demokratie, Menschen- und Freiheitsrechte geführt wurde.

Hintergrundinformationen:

»Zivilisierte Weltordnung«

Am Nachmittag des 19. März 2011 begann mit der französischen »Opération Harmattan« der westliche Angriffskrieg gegen Libyen. Er dauerte bis zum 31. Oktober 2011 und umfasste mehr als 7.500 Bomben- und Raketenangriffe. Die Zahl der Kriegstoten wird auf 10.000 bis 50.000 geschätzt. Nachdem sich nach knapp zwei Wochen Intervention gezeigt hatte, dass die französischen und britischen Bomber »unfähig« waren, die libysche Luftverteidigung auszuschalten, übernahmen die USA die Führungsrolle. Die NATO-Länder gaben vor, die »demokratische Oppositionsbewegung« gegen Staatschef Muammar Al-Ghaddafi zu unterstützen. Die hatte sich nach Protesten in Tunesien, Algerien und Ägypten auch im ölreichen Libyen im Rahmen des »arabischen Frühlings« zu Wort gemeldet – mit einem bewaffneten Aufstand. Nach der Einnahme von Sirte am 20. Oktober wurde Oberst Ghaddafi von Aufständischen gefangengenommen und zu Tode gefoltert. Die damalige US-Außenministerin Hillary Clinton amüsierte sich über den brutalen Lynchmord. Mit freudig strahlendem Gesicht sagte sie unter Anlehnung an den triumphalen Spruch von Julius Cäsar in die laufende Kamera: »Wir kamen, wir sahen, er war tot.« Libyen galt fortan als »befreit«, faktisch ist es zerstört und gespalten. Es herrscht Chaos.

Ungeachtet Tausender Tote setzten sich auch in Deutschland »humanitäre« Kriegstreiber in den sogenannten Qualitätsmedien für die islamistischen »Revolutionäre« ein. Der blutige Umsturz in Libyen wurde als Paradigmenwechsel gefeiert, als Fanal für eine angeblich »neue, menschlichere Weltordnung«, als Blaupause dafür, wie man in Zukunft mit allen widerspenstigen Ländern umzugehen habe. »Diktatoren werden sich nach Ghaddafis Ende etwas weniger sicher fühlen, … in Damaskus auf jeden Fall, wahrscheinlich auch in Teheran, vielleicht sogar in Havanna und Peking«, jubelte etwa Jan Roß in der Wochenzeitung Die Zeit unter dem Titel »Der Weg ist frei« am 25.8.2011. Da die NATO »faktisch als Luftstreitkraft der Rebellenbewegung agiert« habe, müssten jetzt die Despoten rund um die Welt »immer damit rechnen, dass die Bomber kommen«. Das allein, so Roß, sei »ein wichtiger Schritt in Richtung einer zivilisierten Weltordnung«. Scharf kritisierte der Hamburger »Humanist« die Bundesregierung, weil es »im Angesicht von Ghaddafis Verbrechen nötig gewesen wäre, die Bürger von einer Intervention zu überzeugen«. Der unsägliche Artikel steht immer noch auf der Webseite der Zeit, mittlerweile allerdings ohne Autorennamen. Sind das angesichts der realen Entwicklung in Libyen und dem Nahen Osten erste Anzeichen für Scham? (rwr)

Erschienen in der Tageszeitung “junge Welt” vom 15.01.2016