Nachlese zum Warschauer NATO – Gipfel

Am 8. und 9. 7.2016 fand in Warschau der mit großem Propagandaaufwand vorbereitete NATO – Gipfel statt. An Substanziellem ist im Ergebnis eher wenig zu berichten. Die Mehrzahl der Beschlüsse waren schon beim vorhergehenden Gipfel in Wales bzw. in der Vorbereitung mehr oder weniger übereinstimmend beschlossen worden.

Zwischen den Zeilen der Beschlussdokumente kann man politische Differenzen herauslesen. Ausdruck dieser Differenzen ist auch das 139 Punkte umfassende Kommunique. Die Länge des Kommuniques steht für Kompromisse.

Die NATO wurde während der Tagung überschwänglich ob ihrer „Friedensstiftung“ gelobt. Die Ukraine stand wider Erwarten nicht im Mittelpunkt der Gespräche. Der Begriff „russische Aggression“ ist im Kommunique nicht enthalten, dafür die abgeschwächte Formulierung „aggressive Aktion“.

Getagt haben nebenher die NATO – Ukraine und die NATO – Georgien – Kommissionen, ohne nennenswerte neue Beschlüsse.

Die angereiste EU – Spitze hat zeitweilig mit dem NATO – Rat Beratungen zur Verbesserung der Zusammenarbeit geführt. Im Ergebnis entstand eine Erklärung zu gemeinsamen Aktivitäten. Diese hat zum Inhalt:

– Bewältigung von hybriden Bedrohungen

Operative Zusammenarbeit auf See und zur Migration

– Koordinierung der Cyber – Sicherheit

– Entwicklung interoperabler Verteidigungsfähigkeiten

– Koordinierung von Übungen

– Förderung einer stärkeren Verteidigungsindustrie und -forschung

– Ausbau der Fähigkeiten im Bereich Verteidigung und Sicherheit der Partner im Osten und Süden.

Ein ehrgeiziges Programm zur Verzahnung der Zusammenarbeit

Der Gipfel war geprägt von dem Bemühen, eine Spaltung zu verhindern, einen Interessensausgleich zwischen Osten und Süden zu erreichen. Darin eingeschlossen waren die Themen Reform der Partnerschaftspolitik, die weitere Osterweiterung und die Gestaltung der Nuklearstrategie.

Die von der NATO konstatierte sogenannte Artikel 5 – Situation ( Artikel 5 des NATO – Vertrages – Verteidigungsbeistand ) wurde diskutiert und bekräftigt, dass die Abschreckung und Verteidigung verbessert werden muss ( Beschluss von Wales ), für Südeuropa eine schnelle Eingreiftruppe geschaffen werden soll. Dabei fordern die USA größere Anstrengungen und die europäischen NATO – Staaten verlangen mehr Ausgleich.

Schon in Wales wurde ein „Readiness Actions Plan“ ( RAP ) beschlossen.

Von den USA wurde insofern erneut Druck ausgeübt, dass alle NATO – Staaten die vereinbarten 2 % des BIP für Verteidigung aufwenden sollen ( bisher erreichen nur 4 von 28 Ländern dieses Ziel ). Sollte dieses Ziel erreicht werden, gäbe es eine gewaltige Hochrüstung. Die Militär – und Rüstungsausgaben der NATO würden um ca. 100 Mrd. Dollar erhöht ( 2015 betrug die Gesamtsumme 905 Mrd. Dollar ).

Bei der Partnerschaftspolitik will man einen Neuanfang wagen, da die bisherigen Strukturen uneffektiv sind. Dies betrifft vor allem

– die Partnerschaft für den Frieden ( PAP )

– den Mittelmeerdialog ( MD ) und

– die Istanbuler Kooperationsinitiative ( ICI )

Es ist beabsichtigt, diese Partnerschaft mehr auf individueller Basis zu gestalten, also nicht 28 + 8 oder 10, sondern 28+ 1 oder 2.

Auf dem Gipfel hat sich auf Grund der Situation in der Ukraine und auch in Georgien die Meinung verfestigt, dass derzeit an eine Aufnahme dieser Länder in die NATO nicht zu denken ist.

Über Angebote an Mazedonien, Schweden und Finnland wird nachgedacht. Da Schweden und Finnland ohnehin sich einer neutralen Politik nicht mehr verpflichtet fühlen, ergäbe sich eine günstige Gelegenheit durch die Aufnahme in die NATO, die Einkreisung Russlands weiter voranzutreiben.

Der Gipfel hat die vermeintliche Annexion der Krim und die Destabilisierung der Ostukraine durch Russland erneut verurteilt, um auf dieser Grundlage die NATO – Aktivitäten in den und für die osteuropäischen NATO – Staaten und gegen Russland zu legitimieren.

Beschlossen wurden:

– das europäische NATO – Kommando in ein Gefechtskommandozentrum zu entwickeln ( was immer das sein soll )

– die Stationierung von 1000 Mann starken, multinationalen Bataillonen im Baltikum und in Polen

( je ein Bataillon unter Führung der USA, Großbritanniens, Deutschlands und Kanadas ).

– „Resolut Support“ ( RS ) wird in Afghanistan über 2016 hinaus fortgesetzt.

– AWACS – Flugzeuge sollen im östlichen Südeuropa gegen den IS eingesetzt werden.

– die Ausbildung der irakischen Armee im IRAK

– die EU – Operation „Sophia“ – vor Libyen gegen Migranten – wird von der NATO unterstützt

– das Internet wurde mehr oder weniger zum militärischen Operationsgebiet erklärt

– der sogenannte Raketenschild wurde formal als teilweise einsatzbereit bezeichnet. Als wichtige Komponente fehlt noch die Raketenstellung in Nordpolen. Von den Raketenstellungen können auch Cruise Missiles abgeschossen werden. Schon jetzt ist eindeutig belegt, mit dem sogenannten Raketenabwehrschild ( angeblich gegen Iran und Nordkorea gerichtet ) unterläuft die NATO den INF – Vertrag und macht diesen damit hinfällig

– die Übungen im Krisengebiet Osteuropa und in der Ostsee werden erweitert. Während 2014 162 kleine und größere Übungen stattfanden, sind es 2016 240 ( geplant ).

Unter den neuen Bedingungen werden alte Strategien und Handlungen durch die NATO neu aufgelegt. Die Vorstationierung schwerer Waffen und Gerät und die Übung zu deren Aktivierung kann als Neuauflage der „Reforger“ – Übungen gesehen werden. Die gesamten militärischen Aktivitäten können ihren Verlauf nach als „Vorwärtsstrategie“ bezeichnet werden. All diese Handlungen sind eine Verletzung der Vereinbarungen in der NATO – Russland – Grundakte.

Die Rolle der Atomwaffen soll aufgewertet werden. Die USA betreiben die Modernisierung der taktischen Atomwaffen ( Bomben ), entwickeln diese zu strategischen Waffen und betreiben eine Nachrüstung in Europa. Dabei wird durch die Teilhabe der Stationierungsländer der Atomwaffensperrvertrag unterlaufen. Die USA und die NATO streben die nukleare Vorherrschaft in Europa an und fordern damit die Sicherheitsinteressen Russlands heraus.

Die angebliche rotierende Stationierung von 4000 Soldaten verletzt auch zweifelsfrei die Festlegungen der NATO – Russland – Akte, die Rotation ist eine ungeeignete Ausrede.

Ein Beispiel wie die Praxis aussieht:

Im Sommer 2010 war in Morag ( Mohrungen ) in den westlichen Masuren eine US – Patriot – Raketen – Batterie stationiert, natürlich mit US – Besatzung. Sie wurde später nach Torun verlegt. Die Stationierung dauerte ca. 2 Jahre. Angeblich zur Ausbildung polnischer Bedienungen, da Polen sich Patriot – Raketen zulegen wollte. Auch hier wurde schon Völkerrecht gebrochen.

Zweifelsfrei hat der NATO – Gipfel zur Verschärfung der Beziehungen zwischen NATO und Russland beigetragen. Die gefassten Beschlüsse sind ein Beitrag zu Kriegsvorbereitungen, zur Verschärfung der gefährlichen Krise in Osteuropa. Dabei tun sich die baltischen Staaten und Polen, als treueste und lernfähigste Partner der USA, besonders hervor. Notwendig ist und bleibt eine Politik der Reduzierung der Spannungen, der friedlichen Lösung der Probleme. Längerfristig ist eine neue Sicherheitsstruktur in Europa zu entwickeln. Aber dazu bedarf es eines anderen Umgangs mit Russland. Ohne Russland, als bedeutenden europäischen Staat, ist die entstandene gefährliche Situation nicht friedlich zu bewältigen.

Karl Rehbaum

06.08.2016