“RotFuchs” / Oktober 2013 Seite 9
Zum Paradigmen-Wechsel in der MfS-„Forschung“
Im Juni-RF hat Karl-Wilhelm Wolf auf den Paradigmenwechsel in der MfS-„Forschung“ aufmerksam gemacht. Offenbar setzen nicht alle mit dieser Materie Befaßten weiterhin auf „Schaum vorm Maul“. So hat der 1967 geborene Historiker Ilko-Sascha Kowalczuk, seit mehreren Jahren „Projektleiter in der Forschungsabteilung“ der Gauck-Birthler-Jahn-Behörde, seine zahlreichen Mitschnüffler, die inzwischen weit über 5000 Monographien, 2000 andere Veröffentlichungen sowie Millionen Aktenblätter zum Thema fabriziert haben, in seinem neuen Buch „Stasi konkret“ dazu aufgefordert, ihre diesbezügliche Sicht zu modifizieren.
Kowalczuk schreibt: „Ich könnte an mir selbst aufzeigen, wie ich seit 1990 im politischen Engagement, bei der Aufarbeitung und in der wissenschaftlichen Publikationstätigkeit Wandlungen vollzog, sich meine Wahrnehmungen veränderten, wie ich empirisches Material nach 5, 10 oder 20 Jahren in anderen Fragekontexten neu bewertete, wie ich meine eigenen Thesen hinterfragte und zuweilen verwarf.“ Offensichtlich hat der MfS-„Forscher“ erkannt, daß die pauschale Verteufelung der DDR-Sicherheitsorgane so nicht länger aufrechtzuerhalten ist. Da er aber darauf angesetzt wurde, mit seiner „wissenschaftlichen Arbeit“ einen Beitrag zur Delegitimierung der DDR zu leisten und auch, weil er seinen gutbezahlten Job nicht aufs Spiel setzen will, sucht Kowalczuk nach einem „dritten Weg“.
So sieht er die „Schuld am Terror in der DDR“ nicht mehr nur bei den hauptamtlichen und inoffiziellen Mitarbeitern des MfS, sondern vor allem bei der Zwei-Millionen-Partei SED. Schließlich werde die DDR – von den professionellen Antikommunisten, versteht sich – nicht als „Stasi“-, sondern als „SED-Diktatur“ bezeichnet. Unser „Forscher“ schreibt dazu: „Das MfS ist nur im gesamten Gefüge des Macht- und Herrschaftsapparates zu verstehen und zu analysieren.“ Es sei lediglich „ein Teil des SED-Parteiapparats“ gewesen.
Publikationen ehemaliger Mitarbeiter des MfS haben selbst bei Kowalczuk Wirkung gezeigt: „In gewisser Hinsicht bin ich auch jenen verbunden, die die SED-Diktatur, ihre Geheimpolizei und allgemein die DDR öffentlich verklären und immer noch verteidigen. Das versteht zwar kaum jemand, aber mir helfen ihre Argumente und Einwürfe, um meine eigenen Argumentationen und wissenschaftlichen Konstruktionen zu konturieren. Denn im Detail ist natürlich nicht alles falsch, was sie ins Feld führen.“ Kowalczuk hütet sich natürlich, auch nur einen einzigen Autor aus dem MfS namentlich zu erwähnen. Sicher ist das für die „Forscher des Hauses Gauck-Birthler-Jahn“ tabu. Doch schon ein oberflächliches Durchblättern dieser umfangreichen Literatur hätte ihm sagen müssen, dass sich die „SED-Diktatur“ ausschließlich gegen Kriegstreiber, Kriegsgewinnler, Großkapitalisten und Junker richtete, wobei sich dieser ausbeutungsfreie deutsche Staat permanent politischer, ideologischer, ökonomischer und rein krimineller Angriffe seitens der BRD zu erwehren hatte.
Da ist es kaum zu fassen, dass der MfS-„Forscher“ den Kalten Krieg bewußt ausblendet, obwohl ihm doch die Zusammenhänge, wechselseitigen Abhängigkeiten und Einflüsse, die über Grenzen hinweg wirkten, nicht unbekannt sind.
Immerhin weist Kowalczuk seine „Forscher-Kollegen“ darauf hin, daß das einseitige Studium der MfS-Akten viele Zusammenhänge gar nicht erkennen lasse. Wenn man sich darauf beschränke, gerate man „schnell in die Gefahr, Perspektiven und Einschätzungen der Geheimpolizei in die historische Analyse zu übertragen“.
Wie berechtigt solche Hinweise sind, offenbart sein eigenes Buch. Das Aktenstudium mit Scheuklappen hat den Autor zu erschreckendem Unwissen über die tatsächliche Entwicklung von SBZ und DDR geführt. Ob allerdings die „Forscher-Gilde“ aus dem Stall des Großinquisitoren-Trios seinen Ratschlägen folgt und gegen die Vorgaben allmächtiger Medien im Dienste des Kapitals bestehen kann, dürfte mehr als fraglich sein.
Indes: Die Aufforderung Kowalczuks, Verteidiger der DDR immerhin anzuhören und deren Ausarbeitungen wissenschaftlich zu überprüfen, ist in seinem Milieu nicht wenig.
Werner Feigel, Chemnitz