„neues deutschland“ vom 18.10.2013 Ausland
Von Fabian Köhler
Neuer Snowden-Leak belegt Rolle der NSA im US-Terrorkrieg
Sie hackten seine E-Mails, verschleppten ihn in ein Geheimgefängnis und töteten ihn schließlich per Joystick: Neue Geheimdokumente zeugen von der Jagd der USA auf Terrorverdächtige. Und davon, dass die weltweite Überwachung der NSA für manche Menschen tödlich endet.
Eine spannende Geschichte aber sie klänge glaubwürdiger, hätte der Autor nicht gleich alle Aspekte des US-Terrorkriegs in das Leben eines Mannes gepresst: Da wird einer der Mitverantwortlichen für 9/11 im Irak von kurdischen Rebellen verschleppt; bringt unter Folter in einem osteuropäischen Geheimgefängnis US-Geheimdienste auf die Spur von Bin Laden; schließt sich – plötzlich aus pakistanischer Haft entlassen – erneut Al-Qaida-Kämpfern an; bis am Ende ein allmächtiger Geheimdienst mittels High-Tech-Überwachung erneut auf seine Spur kommt und Story und Schicksal des Mannes im Drohnenangriff kulminieren.
Der Protagonist der Geschichte ist der Pakistani Hassan Ghul. Und die Geschichte, die die »Washington Post« am Donnerstag veröffentlichte, stammt nicht aus der Feder eines amerikanischen Thrillerautors, sondern aus den Geheimakten Edward Snowdens. Die Dokumente belegen, worüber US-Behörden bisher nur selten sprachen: Informationen der Überwachungsprogramme der NSA dienen den USA bei der Jagd auf Terrorverdächtige. Und sie geben erstmals einen Einblick in das Ausmaß der Spionage, das für manche Menschen tödlich endet.
Die Jagd beginnt im Jahr 2002 – irgendwo in den Aktenbergen der 9/11 Kommission. Am Rand taucht dort der Name Hassan Ghul auf. Kontakt zu irakischen Dschihadisten soll dieser gehabt haben. Ein Jahr später fällt sein Name erneut: Ein von den USA verschleppter Al-Qaida-Anhänger nennt Ghuls Namen, diesmal im Zusammenhang mit den Attentätern von 9/11.
Zwanzigfaches Budget, hundertfache Intelligenz
Aus den Akten geht hervor, welche entscheidende Rolle die NSA bei der Ermittlung von Ghuls Aufenthaltsort und schließlich seiner Tötung spielte. Ein ganzes »Arsenal von Spionagewerkzeugen« sei auf Ghul angewendet worden, berichtet die »Washington Post«. Computer wurden gehackt, Telefongespräche abgehört, Funksprüche abgefangen.
Immer wieder hatten Medien in den letzten Jahren über den Mann berichtet, den im Jahr 2004 kurdische Rebellen im Irak an US-Geheimdienste auslieferten. Zwei Jahre verschwindet Ghul in einem Geheimgefängnis irgendwo in Osteuropa. Dort nennt er einen Namen, der ihn sieben Jahre später zu einem der wertvollsten Al-Qaida-Gefangenen machen soll: Al-Kuwaiti. Es ist jener Bote, der die USA 2011 auf die Spur Bin Ladens führte.
Die Dokumente, die die Washington Post mit Verweis auf die »nationale Sicherheit« nur auszugsweise zitiert, geben auch einen Eindruck davon, welche gigantische Datenmenge die NSA für die Ermittlung von nur einer Person bereit ist zu erheben: Eine eigene Abteilung sei dazu unter dem Dach der NSA entstanden. Die einzige Aufgabe des sogenannten »CT MAC«: Das Aufspüren schwer zu findender Terrorverdächtiger.
Völlig autonom von anderen Geheimdiensten, so lassen es die Auszüge vermuten, kann die NSA dabei operieren. Verweise auf die Unterstützung durch andere Behörden, so die Washington Post, fänden sich in den Dokumenten nicht. Wie mächtig die NSA ist, bestätigt auch ein ehemaliger Geheimdienstmitarbeiter gegenüber der Zeitung: Die NSA habe »die zehnfache Mannstärke, das zwanzigfache Budget und die hundertfache Intelligenz« im Vergleich mit anderen Geheimdiensten.
Ghuls Ehefrau besiegelt mit einer E-Mail seinen Tod
Eine abgefangene E-Mail von Ghuls Ehefrau besiegelte im Jahr 2012 schließlich Ghuls Todesurteil. Im Jahr 2006 war dieser an ein pakistanisches Gefängnis überstellt und zwei Jahre später freigelassen worden. In den Bergen von Nordpakistan soll er sich erneut Al-Qaida angeschlossen haben. Was Ghul genau vorgeworfen wird, geht aus den Auszügen der »Washington Post« nicht hervor. Das US-Finanzministerium setzte ihn 2011 auf ihre Sanktionsliste für Terrorverdächtige. Die Begründung: Er soll Al-Qaida beim Aufbau eines »Logistiknetzes« unterstützt haben. In den NSA-Dokumenten heißt es hingegen, er sei »Al-Qaida-Chef für Militäroperationen«.
Die Tötung Ghuls beschreiben die Dokumente hingegen unmissverständlich. In den NSA-Dokumenten findet sich für den 1. Oktober 2012 der Satz: »Gefangennahme/Tötungs-Operation gegen eine Person, von der angenommen wird, dass es sich um Hassan Ghul handelt.« An anderer Stelle steht, eine spätere Abhöraktion habe bestätigt, dass »Hassan Ghul tatsächlich getötet wurde.«
An dieser Stelle enden die Auszüge der »Washington Post« aus den geheimen NSA-Dokumenten. Damit erinnert die Geschichte dann doch wieder an amerikanische Spionage-Blockbuster, bei dem die Kamera wegblendet, wenn es blutig wird: »Drei Tote durch amerikanischen Drohnenangriff« lautete eine Meldung pakistanischer Medien über den Angriff an jenem Tag und das nächste Kapitel im US-Drohnenkrieg, der bis dahin in Pakistan schon über 3000 Menschen das Leben kostete. Namen der Opfer finden sich in dem Bericht hingegen nicht: Die Leichen seien zu entstellt, als dass man sie identifizieren könne.
Link zum Originalartikel in “neues Deutschland” vom 18.10.2013