Odessa und der Sieg über den Faschismus

Von Gert-Ewen Ungar

Es geht auf den 9. Mai zu. Der 9. Mai ist in Russland ein besonderer Tag, an dem der Sieg über den Faschismus gefeiert wird. Moskau wird geschmückt, der Rote Platz ist zurzeit geschlossen. Dort werden die Vorbereitungen für die Abnahme der großen Militärparade durch den Präsidenten getroffen. Überall ist das Georgsband zu sehen, das an den großen Vaterländischen Krieg erinnert, wie der Zweite Weltkrieg hier genannt wird.

Der Faschismus ist das große russische Trauma. Für Russland umso furchtbarer ist, dass es jetzt den Faschismus in der Ukraine auferstehen sieht. Als deutlichen Beleg für diese Auferstehung sieht man in Russland unter anderem das Massaker von Odessa, das am 02. Mai 2014 stattfand. Unmittelbar nach der Machtübernahme Ende Februar durch die Maidan-Putschisten in Kiew wuchsen die Proteste im Osten des Landes an.

Dort war man mit der Entwicklung nicht einverstanden, zumal die Putschisten in Kiew vom ersten Augenblick an ein politisches Programm verfolgten, das die russischsprachige Bevölkerung im Osten des Landes diskriminierte. Die Proteste entlarvten auch die Berichte in deutschen Medien über den Maidan als einseitig und gelenkt. Ein relevanter Teil der ukrainischen Bevölkerung war mit dem neuen Nationalismus und der Anbindung an die EU auf Kosten des Verhältnisses zu Russland keineswegs einverstanden. Deutsche Medien hatten es anders dargestellt.

Maidan und Antimaidan

Es hatte sich im Osten des Landes Gegenprotest gebildet, der Antimaidan. Ein Ort des Protests war das Gewerkschaftshaus in Odessa. Am 02. Mai 2014 reisten faschistische Schläger nach Odessa und griffen die Demonstranten an. Es kam zu regelrechten Straßenschlachten, die erste Todesopfer forderten. Eine große Zahl von Demonstranten des Antimaidan suchte im Gewerkschaftshaus Zuflucht.

Der braune Mob steckte das Haus in Brand, Menschen sprangen aus Verzweiflung aus dem Fenster. Das rette sie vor den Flammen, aber nicht vor dem Hass der Kiewer Faschisten. Auch im Gewerkschaftshaus ging die Jagd weiter. Es gibt bedrückende Dokumente über die Vorgänge in Internet. Brennende Menschen, die um ihr Leben rennen. 48 Menschen haben an dem Tag den Tod gefunden, 250 weitere wurden zum Teil schwer verletzt. Die damalige ARD-Russland-Korrespondentin Golineh Atai behauptete damals, Russland hätte Provokateure geschickt. Diese Behauptung ist falsch. Der deutsche Journalist Ulrich Heyden hat über die Vorgänge einen eindrucksvollen Dokumentarfilm mit dem Titel “Lauffeuer” gemacht.
Hier: https://www.youtube.com/watch?v=LXRIuVNGmds&t=8s

Das Massaker von Odessa ist inzwischen fester Bestandteil der Erinnerungskultur in Russland. Es ist für Russland auch deshalb von großer Bedeutung und Tragweite, weil der Westen, in diesem Fall vor allem die EU, ganz offenkundig keinerlei Interesse an Aufklärung hat. Während der Westen ansonsten bei jeder Gelegenheit mit moralisch erhobenem Zeigefinger gegenüber anderen Ländern außerhalb seiner Sphäre Rechtsstaatlichkeit anmahnt, tut er es hier nicht. Im Gegenteil tut er so, als würde die Ukraine alle Kriterien für eine weitere Integration erfüllen. Dabei ist gerade das Massaker von Odessa das beste Beispiel dafür, dass sie es nicht tut, denn eine unabhängige Strafverfolgungsbehörde existiert nicht.

Kein Wille zur Aufklärung

Die Strafverfolgung wurde einseitig geführt. Festgenommen wurden ausschließlich Teilnehmer des Euromaidan. Gegen die Brandstifter gab es dagegen keine Ermittlungen. Lediglich gegen die Polizei und die Feuerwehr gab es ein Verfahren, weil diese erst nach 40 Minuten am Einsatzort waren. Für den Brand und die dadurch verursachten Todesfälle wurde bis heute niemand belangt. Und – wenn man ganz ehrlich ist – interessiert es auch niemanden im Westen. Über das Ereignis wird der Mantel des Schweigens gebreitet.

In Russland interessiert man sich dagegen sehr für die Vorgänge und auch dafür, wie man in der EU damit umgeht. Dieser Umgang straft die EU in all ihren Ansprüchen lügen. Was Deutschland angeht, sieht es nicht besser aus. In Deutschland könnte man den Vorgang verfolgen. Deutschland schwingt sich mit dem Völkerstrafgesetzbuch zum weltweiten Ankläger und Richter auf. Wenn Straftaten in anderen Ländern nicht verfolgt werden, kann sich die Staatsanwaltschaft in Deutschland der Verfolgung annehmen. Eine absolute Anmaßung.

Natürlich setzt Deutschland diese juristische Selbstüberhöhung nur sehr selektiv ein. Verurteilt wurden bisher allerdings lediglich Syrer, die der Folter schuldig befunden wurden. Angesichts all der Verbrechen in der Ukraine hüllen sich deutsche Strafverfolgungsbehörden in vornehmes Schweigen. Deutschland ist in diesem Fall ebenso parteiisch wie die EU. Deutsche Strafverfolgungsbehörden sind ohnehin weisungsgebunden und entsprechen damit wie auch die in der Ukraine nicht den internationalen Standards für Rechtsstaatlichkeit. Am Gefühl moralischer Überlegenheit deutscher Politiker ändert das natürlich nichts.

Für Russland wurde das Massaker von Odessa zum sehr frühen Beleg dafür, dass der Faschismus zu einem staatstragenden Element in der Ukraine geworden ist. Es belegt auch, dass die absolut bedenkliche Entwicklung in Ukraine von den Ländern des Westens, der EU und Deutschlands gedeckt wird. Sie fördern sie und bedienen sich dem ukrainischen Faschismus zur Erreichung ihrer Zwecke.

Die Berichte und Dokumentationen zum Massaker von Odessa haben daher inzwischen einen festen Platz in all den anderen Dokumentationen zum Sieg über den Faschismus im Jahr 1945. Nur dass im Fall der Ukraine für Russland klar ist, dass dieser Sieg erneut errungen werden muss.

Zuerst erschienen bei Neulandrebellen am 4. Mai 2023