Von Dagmar Henn
Die deutsche Außenministerin Baerbock ist ein Plappermäulchen, und ihre Redenschreiber scheinen zu Kindersprache genötigt, um die Sprecherin nicht zu überfordern. Aber so weit daneben wie bei ihrer Rede in Brasilien…
Außenministerin Annalena Baerbock hielt eine einzige große Rede in Brasilien ‒ vor der Getulio-Vargas-Stiftung in São Paulo. Und sie bediente alle Klischees, auch wenn sie meinte, sie zu unterlaufen. Fußball, Samba, Armut. Die Redenschreiber haben sich offenkundig Stichworte zu Brasilien herausgesucht, die sie einflechten können, aber nicht über die Bedeutung nachgedacht.
Das fängt schon mit dem Fußball an. Es ist ja nett, dass sie die brasilianische Spielerin Marta als Vorbild nennt. Damit übergeht sie aber, welche politische Bedeutung Spieler wie Pelé hatten, der immerhin der erste schwarze Minister Brasiliens wurde, oder wie Sócrates, der gegen die Militärdiktatur kämpfte. Sie sucht sich den Teil aus, der in ihre Kleinmädchenwelt passt, zu Einhörnern und Feen, und nicht jenen Teil, der die wirkliche Geschichte Brasiliens erzählt.
Das Gleiche gilt für das Zitat der Sängerin Elza Soares: Ich bin mein eigener Herr, niemand kann mir befehlen. Das ist nicht die Aussage einer Wohlstandsgöre, die auf Stiftungshänden bis hin zum Vielfachen ihrer Peter-Prinzip-Position gehoben wurde (das Peter-Prinzip besagt, dass jeder befördert wird, bis er die Stellung maximaler Inkompetenz erreicht). Es ist ein Lied, das eine schwarze Brasilianerin gesungen hat, deren Kinder verhungert waren; ein Satz, in dem die Geschichte der Sklaverei mehr als nur ansatzweise mitschwingt. Denn der Patrão, der befiehlt, das ist nicht einfach nur der Chef oder der Ehemann; es ist der Sklavenbesitzer. Dass die blütenweiße, wohlhabende Deutsche Annalena Baerbock es wagt, sich in Brasilien hinzustellen und den Satz auf sich zu beziehen, ist schlicht schamlos.
In einer ähnlichen Art und Weise verfährt sie mit der Biografie des brasilianischen Präsidenten Lula. Ihn bringt sie zusammen mit Soares ins Spiel:
“Weil wir alle den Wunsch haben, selbst über unser Leben zu entscheiden. Als Menschen, als Männer und Frauen, als Kinder und Jugendliche. Aber vor allem als Gesellschaften – denn das ist der Wesenskern unserer Demokratien. Als Gesellschaften, in der die Tochter einer Reinigungskraft und eines Fabrikarbeiters aus Rio de Janeiro zu einer der größten Samba-Musikerinnen der Welt werden kann. Als Gesellschaft, in der ein Junge aus Pernambuco, der mit zwölf Jahren als Schuhputzer arbeitete, um seine Familie zu unterstützen, das höchste Amt des Staates erreichen kann.”
Zwischen dem Jungen aus Pernambuco und dem Präsidenten lagen die Tätigkeit als Metallarbeiter, dann als Gewerkschaftsführer während der Militärdiktatur, Folter und Haft eingeschlossen, ehe er zum Vorsitzenden der aus diesen Kämpfen entstandenen Arbeiterpartei wurde. Und diese Geschichte ist keine, in der sich eine Vertreterin der Bundesrepublik selbst loben kann (für die DDR sähe das anders aus) – der brasilianische Militärputsch des Jahres 1964 wurde von der Bundesrepublik ebenso gestützt wie von den Vereinigten Staaten, und die Arbeitskämpfe, in denen Lulas politische Karriere begann, fanden in Werken von Mercedes und VW statt. Muss man noch genauer ausführen, was die Haltung dieser Unternehmen damals war?
Natürlich hat man beste Geschäfte gemacht; Siemens beispielsweise schnappte sich den Telefonmarkt und baute das zweite Atomkraftwerk in Angra dos Reis. Mercedes baut Busse und LKW in São Paulo und beliefert von dort ganz Lateinamerika. BASF betreibt Chemiefabriken. Aber man hat schon dafür gesorgt, dass die brasilianischen Arbeitskräfte billig blieben. Der Putsch 1964 hat Brasilien mindestens dreißig Jahre Entwicklung gekostet.
Eine Entwicklung, die sich übrigens noch zu Beginn der 1990er an dem Punkt befand, dass eine schwarze Anwältin in Rio de Janeiro beim Betreten eines Wohnhauses auf den Dienstboteneingang verwiesen wurde. Auch das klingt mit in dem Satz “Ich bin mein eigener Herr, niemand kann mir befehlen.”
In völliger, blanker Unkenntnis dieser ganzen Geschichte rutschen dann Sätze in die Rede wie dieser: “Wo früher manchmal naiv auf die unsichtbare Hand des Marktes vertraut wurde, ist es jetzt allzu oft die Hand von autokratischen Regimen, die Unternehmen als geopolitische Instrumente nutzen wollen.” Der Bau von Angra II war nicht nur ein Geschäft für Siemens, er war auch ein geopolitisches Instrument. Volkswagen do Brasil entstammte nicht der Menschenliebe, sondern dem Versuch, sich den größten lateinamerikanischen Markt zu sichern, und natürlich auch, in Lateinamerika in Konkurrenz zu den USA zu treten. Geopolitik pur. Wenn das ein “autokratisches Regime” kennzeichnen soll, war die Bundesrepublik immer eines. Dass Brasilien heute demokratisch ist, ist sicher nicht dem Einsatz der Bundesdeutschen zu verdanken.
Andere Sätze würde sie in Deutschland so vermutlich nie sagen; ihre ganze Partei nicht. “Die Fähigkeit zum Kompromiss – die Fähigkeit zu sagen: Der Andere hat auch recht – das ist das, was demokratische Gesellschaften und demokratische Parteien von Populisten und Autokraten unterscheidet.” Wie ist das noch einmal mit den “Putintrollen”, “Querdenkern”, “Klimaleugnern”? Der Andere hat auch recht? So was sülzt man in Brasilien, in der Erwartung, dass die kindlichen Brasilianer das ohnehin nicht verstehen, aber das meint man doch nicht in Deutschland.
Natürlich hat sie ihr Lieblingsthema Ukraine angebracht; irgendwie ist es ihr im Laufe ihres sorgenfreien Seins noch nicht begegnet, dass die Vereinigten Staaten in Lateinamerika einfach eine zu breite Blutspur hinterlassen haben, um beliebt zu sein, und jeder, der auch nur ansatzweise die Möglichkeit hat, sich bei ihren Gegnern einreiht. Sie scheint vergessen zu haben, dass auch die Bundesrepublik die Marionette Guaidó zum venezolanischen Präsidenten ernannte, Lula aber mit Chávez befreundet war. So wie mit anderen lateinamerikanischen Politikern, die die USA und mithilfe diverser Parteistiftungen auch die Bundesregierung gern stürzen. Statt zumindest einen Fehler einzugestehen, übergeht sie diese außenpolitischen Manöver einfach. Der amerikanische Präsident, der unter Demenz leidet, heißt allerdings nicht Lula.
Auch die Handelsbeziehungen zu China sind ihr ein Dorn im Auge; sie versucht, den Brasilianern die Computerchips anzudrehen, die vielleicht irgendwann in Europa gefertigt werden, und betont, man könne ja in wirtschaftliche Abhängigkeit geraten. Der wirkliche Trick mit wirtschaftlicher Abhängigkeit sind allerdings nicht Lieferketten, sondern die Staatsverschuldung. Und die begann in Brasilien mit der Unabhängigkeit, als die Briten forderten, der neue Staat müsse alle Schulden des portugiesischen Königshauses übernehmen. Ja, man hat so seine Erfahrungen mit den Europäern in Brasilien.
Womöglich wissen sie das alles noch im Auswärtigen Amt in Berlin, und wissen nur nicht, wie sie es in eine Sprache kleiden können, die Baerbock unfallfrei vortragen kann. So aber wird ihr weder die zelebrierte Kindlichkeit noch ihr Buhlen um brasilianische Zuneigung etwas nützen. Denn wenn sie von “unserer regelbasierten Ordnung” spricht, zu deren Verteidigung man sich um die Ukraine scharen müsse, dann versteht dort jeder, dass es die Ordnung zum Vorteil des Westens ist. Und die Antwort wird letztlich aus jener Liedzeile bestehen, die Baerbock so schamlos zitiert hat, wenn auch im Plural: Wir sind unsere eigenen Herren, uns befiehlt niemand.