von Horst Hommel
Vor 75 Jahren wurde der deutsche Kommunist, der sowjetische Kundschafter und Internationalist Dr. Richard Sorge ermordet.
Dieser Leitspruch der Kundschaftergruppe „Ramsay“, ins Leben gerufen und aufgebaut in Japan durch unseren Internationalisten Dr. Richard Sorge, wurde in den folgenden Jahren, bis heute, Maßstab im Kampf um Frieden und soziale Gerechtigkeit.
Es war wohl das größte Glück für mich und meine Gattin als wir 1985 erfuhren, das unser Einsatzort Tokio sein wird. Also geht es in das Land, in dem Dr. Richard Sorge von 1933 bis zu seiner Ermordung 1944 lebte, arbeitete, kämpfte und starb. Endlich waren wir unserem großen Vorbild so nahe. Meine ersten Bemühungen waren darauf gerichtet zu erfahren, wie man den Tama-Friedhof im Norden der Metropole Tokio und insbesondere das Grab mit der Nummer 17-1-21-16 findet. Wir, ich 3.Sekretär an der Botschaft der DDR in Japan und meine Gattin, Chiffrierin an der Botschaft, hielten es für unsere moralische Pflicht jedes Jahr, bis 1989, die Grabanlage der Gruppe „Ramsay“ mit dem Grab Dr. Richard Sorges aufzusuchen, entgegen dem Verbot, ausgesprochen vom 1.Sekretär an der Botschaft und Residenten (Überkonspiration: „Ihr habt da nichts zu suchen!“). Eine emotionale Bindung an unser großes Vorbild war ihm offensichtlich fremd. Tradition war, das alljährlich hier die Jung-und Thälmannpioniere unserer Botschaftsschule ihre Halstücher erhielten und anschließend Hanako Ishii (1911-2000), die langjährige Lebensgefährtin Dr. Richard Sorges, aufsuchten. Auch die sowjetische Botschaft betreute Hanako Ishii. Sie erhielt von der Botschaft monatlich eine „Witwen“rente.
Auf die Frage der japanischen Peiniger bei seiner Verhaftung am 18. Oktober 1941 „Wer sind Sie?“ antwortete Dr. Richard Sorge: „Ich bin Kommunist!“. Sorges Geheimnis war seine Überzeugung, der Marxismus als seine Weltanschauung, verbunden mit einem hohen Allgemeinwissen und Fremdsprachenkenntnissen, herausragenden analytischen Fähigkeiten sowie Regime-und landesspezifischen Kenntnissen. Bei seiner Verhaftung wurden etwa 1000 Bücher beschlagnahmt – zum großen Teil über Japan.
Richard Sorge wurde am 4.Oktober 1895 in Adshikend (Baku) geboren. Sein Vater war deutscher Ingenieur, welcher in einer russischen Erdölraffinerie bei Baku arbeitete, seine Mutter die Tochter eines russischen Erdölarbeiters. Seine Muttersprache war russisch. Mit drei Jahren kam Richard Sorge nach Deutschland. Sein Lebensweg war trotz revolutionärer Wurzeln in der Familie (sein Großvater war Revolutionär, dessen Cousin Friedrich Sorge ein Mitstreiter von Marx und Engels) nicht als Kommunist vorgezeichnet. Er las viel, aber manches schien ihm zu unverständlich, zu philosophisch. Er war ein praktischer Typ. Mit 18 Jahren verließ er sein Zuhause und ging freiwillig in den Krieg. Die Teilnahme am I.Weltkrieg wurde für ihn eine große Schule, sie hinterließ ihm das Eiserne Kreuz II.Klasse, drei schwere Verwundungen und brachte die Ernüchterung – Wofür? Warum? 1915 machte er unter anderem Bekanntschaft mit einem 20 jährigen Soldaten, Erich Correns – dem späteren Präsidenten des Nationalrates der Nationalen Front der DDR. Beide diskutierten während ihres 6-monatigen Krankenhausaufenthaltes leidenschaftlich über den Krieg, das Leben und über die große Idee, der man sein Leben widmen sollte. Sorges weitere Reifestationen waren: Arbeit als Bergmann im Ruhrgebiet, Studium der Medizin, der Politökonomie, der Werke von Karl Marx und Friedrich Engels, nach der Oktoberrevolution bereitet er sich auf die Tätigkeit als Berufsrevolutionär vor, wird Mitglied der USPD, nimmt am Kieler Matrosenaufstand teil, machte 1919 die Bekanntschaft mit Ernst Thälmann und wird Mitglied der KPD. Er entdeckt seine neue Leidenschaft und wird Journalist, schreibt politische Artikel in Zeitungen und Zeitschriften. Er arbeitet als Redakteur, Agitator und Propagandist, darunter auch an der Hamburger Universität, die er als Doktor für Staatsrecht und Soziologie abschließt. 1924 macht Sorge die Bekanntschaft mit Manuilski, Sekretär des EKKI der Komintern. Damit ist sein weiterer Weg vorgezeichnet. Im Dezember gleichen Jahres fuhr Richard Sorge nach Moskau. 1927 bestätigte Manuilski kurz und knapp: „Ich kenne Genossen Sorge seit 1924 aus der Arbeit in Deutschland und halte ihn für einen vertrauenswürdigen Genossen.“ Er wird Sowjetbürger und im März 1925 Mitglied der KPdSU. Er schreibt für Zeitungen und Zeitschriften unter verschiedenen Namen. Seine Untersuchungen und Analysen werden von Freund und Feind gelesen. In Moskau lernt Richard Sorge General Jan Karlowitsch Bersin, Leiter der Verwaltung Aufklärung der Roten Armee kennen.Dieses Zusammentreffen führte Richard Sorge im Jahre 1929 zu einem Entschluss, der für ihn richtungsweisend war.
Dr. Richard Sorge erhielt seinen ersten Auftrag als Kundschafter. Er verließ gut vorbereitet Moskau. Sein Ziel: China. Zur besseren Tarnung reiste Sorge mit einem echten deutschen Pass als Journalist. Zu diesem Zweck schloß er mit der „Getreide-Zeitung“, einem landwirtschaftlichen Fachblatt, und einem Verlag für soziologische Schriften Mitarbeiterverträge in Berlin. Mit dem Beginn seines China-Aufenthaltes 1930 bestanden seine Aufgaben in der Analyse der politischen und militärischen Strukturen der nationalistischen Nanking-Regierung, der Guomindang, ihres Verhältnisses zu den chinesischen Kommunisten und anderen Oppositionsbewegungen, der Chinapolitik der USA und Großbritanniens aber auch der Sammlung allgemeiner Informationen zum Entwicklungsstand der chinesischen Industrie und Landwirtschaft. Er begann mit dem Aufbau einer Kundschaftergruppe in Shanghai, Harbin und Kanton. So konnte er wichtige Informationen über das Voranschreiten der japanischen Invasion auf dem chinesischen Festland sammeln. In Shanghai lernte er auch Ozaki Hotsumi, Chinakorrespondent der japanischen Tageszeitung „Asahi shinbun“ kennen, welcher wichtiger Informant und Mitkämpfer in der Gruppe „Ramsay“ wurde. In diese Zeit fällt auch die gemeinsame Arbeit mit der Kundschafterin „Sonja“, Ruth Werner, für die sowjetische Aufklärung.
Im September 1933 erreichte er Tokio und begann mit dem Aufbau der Kundschaftergruppe „Ramsay“ unter Beteiligung Ozaki Hotsumis (1901-1944), des Funkers der Gruppe Max Christiansen-Clausen (1899-1979), dessen Frau Anna (1899-1978), des jugoslawischen Journalisten Branko Vukelic (1904-1945), des Kunstmalers Miyagi Yotoku (1903-1943) sowie anderer japanischer Mitarbeiter. Durch seine Tätigkeit als Auslandskorrespondent der „Frankfurter Zeitung“ und durch Vermittlung Ozakis wurde eine Reihe führender Persönlichkeiten Japans zu unwissentlichen Informanten. Etwa 40 Prozent der Angehörigen der Gruppe „Ramsay“ hatten durch ihre Berufe einen besonderen Einblick in die japanische Außen- und Innenpolitik sowie in die Wirtschafts- und Militärpolitik. Von den Mitstreitern Sorges übten 18 Prozent den Beruf eines Journalisten oder Kriegsberichterstatters aus, 12 Prozent zählten zu den hohen und mittleren Beamten der japanischen Staatsbürokratie und 10 Prozent saßen in den Zentral- und Forschungsbüros der Südmandschurischen Eisenbahngesellschaft sowie in deren Auslandsniederlassungen. Richard Sorge war Internationalist, kannte seit Kindesbeinen Vertreter vieler Nationen und so vermochte er seine Gruppe zu einem festen Kollektiv von wahren Humanisten zu schmieden. Unter Einsatz ihres Lebens setzten sich Sorge und seine Mitstreiter für den Frieden und den Schutz des ersten sozialistischen Landes ein. Richard Sorge zeichneten analytisches schöpferisches Denken, schnelles Erfassen von Situationen, Disziplin und Selbstlosigkeit aus.
An zwei der bekanntesten und bedeutendsten Leistungen der Gruppe „Ramsay“ unter der Führung Dr. Richard Sorges sei hier erinnert:
Als möglichen Angriffstermin Hitlerdeutschlands auf die Sowjetunion datierte Richard Sorge in einem Funkspruch den Monat Mai 1941. Moskau schwieg und zweifelte. In Moskau lagen widersprüchliche Informationen vor. Gleichzeitig wurde die Verfolgung ihrer Funksendungen durch den japanischen Geheimdienst immer offensichtlicher. Am 17. Juni funkte Richard Sorge schließlich den 22. Juni 1941 als genauen Termin für den deutschen Überfall nach Moskau. Der japanische Botschafter in Berlin war über den genauen Termin informiert worden mit der Aufforderung an Japan, die Sowjetunion gleichzeitig im Osten anzugreifen. Wie verhält sich das kaiserliche Japan?
Richard Sorge untersucht die Wirtschaftsstruktur Japans und sucht die sensibelste Stelle des Landes. Es sind die Brennstoffe und deren Abhängigkeit von ausländischen Quellen. Bereits 1937 hatte Richard Sorge eine Untersuchung über „Japans Erdölsorgen“ veröffentlicht. Die Erdölreserven reichen nur für ein halbes Jahr und somit nicht für einen langwierigen Krieg. Japan hatte bereits Erfahrungen mit sowjetischen Truppen unter dem Kommando des damaligen General Shukow im August 1939 am Chalkin-Gol gemacht, wo sechs japanische Divisionen zerschlagen wurden. Diese Analyse, Gespräche seiner Kundschafter in japanischen Führungskreisen und deren Wertungen führten zum Funkspruch am 6. September 1941: „Der sowjetische Ferne Osten kann als sicher vor einem Angriff Japans erachtet werden“.
Damit konnten Stalin und die sowjetische Führung ihre Truppen völlig neu disloziieren. Die im Fernen Osten stationierten Divisionen wurden in die Schlachten um Moskau und Stalingrad geworfen. Die Funksprüche Richard Sorges, die aufopferungsvolle Arbeit der Kundschafter der Gruppe „Ramsay“ waren kriegsentscheidend.
Die Achse Berlin-Rom-Tokio rächte sich. Die deutsche faschistische und die japanische militärische Führung legten den 7. November 1944, den 27. Jahrestag des Sturms auf das Winterpalais und Beginn der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution, als Hinrichtungstermin fest. Der deutsche Kommunist, Internationalist und sowjetische Kundschafter Dr. Richard Sorge sollte gedemütigt werden. Dr. Richard Sorge starb mit den Worten: „ Es lebe die Kommunistische Partei! Es lebe die Rote Armee! Es lebe die Sowjetunion!“
Horst Hommel, AG Aufklärer in der GRH e.V.
Erschienen in RotFuchs – Heft 11/2019