Nachruf Von Frank Schumann
Friedrich Wolff lief selten Gefahr, mit dem deutschen Schriftsteller gleichen Namens verwechselt zu werden. Er war einfach zu leise. Und zu bescheiden. Das ist heute bei Anwälten anders. Sie sind oft laut und suchen die Nähe von bekannten Personen. So kommt man in die Zeitungsspalten und zum Titel »Prominentenanwalt«. Wolff vertrat ziemlich bekannte Leute, und dementsprechend wurde er denn in der bundesdeutschen Gegenwart auch wahrgenommen. Als Honecker-Anwalt. Dabei war er in der DDR längst einem Millionenpublikum bekannt. Das Adlershofer Fernsehen präsentierte einmal im Monat, an einem Donnerstag, die Sendung »Alles, was Recht ist«. Erfunden hatte die Ratgebersendung Friedrich Karl Kaul, zu Beginn der 80er Jahre übernahm sein Kollege Wolff. Auf leicht verständliche, unterhaltsame Weise wurden Rechtsfragen erläutert, die Zuschauer geäußert hatten. Es heißt, dass in den 70er und 80er Jahren etwa eine Million Briefe die Redaktion erreicht hätten. Auch darin drückte sich Popularität aus. Nicht zu reden vom Rechtssystem, das auf diese Weise dem Volk transparent gemacht wurde.
Politische Verfahren
Fritz Wolff sollte ursprünglich Arzt werden wie sein Vater. Doch die Nazis ließen es »aus rassischen Gründen« nicht zu. Nach dem Krieg studierte er Jura, wurde Anwalt und als solcher eine Führungsfigur: Wolff stand diversen Juristenkollegien in der DDR vor. Über seine 57 Jahre Anwaltstätigkeit berichtete er in seiner in der Edition Ost erschienenen Autobiographie »Verlorene Prozesse. Meine Verteidigungen in politischen Verfahren« (1999). Bereits im Vorwort schlug er den selbstironischen Ton an, der ihn sein ganzes Leben lang auszeichnete, jener einzigartigen Mischung aus Berliner Humor und hintergründigem jüdischen Witz: »In vielen Urteilen, in denen ich Freisprüche beantragt hatte, sprach das Gericht schuldig. Der Prozess war verloren. Jahrzehnte später wurden die Urteile aufgehoben, der Prozess war gewonnen. Gewonnen? Das endgültige Urteil in politischen Prozessen fällt die Geschichte.«
Das bezog sich etwa auf das Verfahren gegen den Chef des Bundeskanzleramtes Hans Globke, der als Oberregierungsrat in Hitlers Reichsinnenministerium Mitautor und Kommentator der berüchtigten Nürnberger Gesetze gewesen war. Das Oberste Gericht der DDR klagte ihn als Mittäter bei Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschheit an. Der Mann hinter Adenauer, die Bonner »Graue Eminenz«, wurde 1963 in Abwesenheit zu einer lebenslangen Zuchthausstrafe verurteilt. Sein Pflichtverteidiger Friedrich Wolff unterlag. Auch schon im vorangegangen Verfahren gegen den Bundesvertriebenenminister Theodor Oberländer konnte Wolff als Pflichtverteidiger nichts bestellen. Hauptmann a. D. Oberländer war mit der deutsch-ukrainischen Freiwilligeneinheit »Bataillon Nachtigall« an der Ermordung von mehreren tausend Juden in der Ukraine beteiligt gewesen. Später schoss er im »Sonderverband Bergmann« auf Partisanen. Auch Oberländer bekam lebenslänglich. Er wurde am 24. November 1993 vom Landgericht Berlin rehabilitiert. Ohne Prüfung der Vorwürfe der Anklage wurde aus formalen Gründen das Urteil aufgehoben, »weil die Hauptverhandlung rechtswidrig in Abwesenheit des Betroffenen durchgeführt wurde«. Oberländer war damals vorgeladen, aber nicht erschienen. Der rehabilitierte Kriegsverbrecher starb in Frieden am 4. Mai 1998.
Wut des Juristen
Das endgültige Urteil in politischen Prozessen fällt die Geschichte, hatte Wolff geschrieben. Das betraf auch das Verfahren gegen Erich Honecker, den Wolff nach dessen Sturz anwaltlich vertrat. Darüber berichtete er auch in einem Gespräch mit Egon Krenz, das unter dem Titel »Komm mir nicht mit Rechtsstaat« 2021 erschienen ist. »Bis 1990 hatte ich eine sehr hohe Meinung vom westdeutschen Recht. Bis ich Honecker als Mandanten hatte. Dem warf man ›Anstiftung zum Totschlag‹ und anderen Unsinn vor. Honecker hat in der DDR gesetzeskonform gehandelt. Also wandte man bei ihm und auch bei anderen Angeklagten rückwirkend bundesdeutsches Recht an«, sagte der damals fast Hundertjährige. »Das ganze Verfahren war ungesetzlich. Und da soll man als Jurist nicht wütend werden?«
Am Montag nachmittag ist der bekennende Kommunist Friedrich Wolff wenige Wochen vor seinem 102. Geburtstag in seinem Haus in Wandlitz-Stolzenhagen friedlich eingeschlafen.
Zuerst erschienen in der jungen Welt am 12.06.2024