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Dem letzten Chef des DDR-Auslandsgeheimdienstes, Werner Großmann, zum 90.
Von Frank Schumann
Mit »Der Überzeugungstäter« ist seine jüngste Publikation von 2017 überschrieben. Er mochte diesen Titel zunächst nicht, weil darin das Wort »Täter« enthalten war. Aber stand nicht an erster Stelle »Überzeugung«? Werner Großmann hatte seinem Staat von dessen erstem Tag an gedient, und nur wenige Monate vor dem Untergang der DDR schied er aus dem Dienst, dem er 38 Jahre angehört hatte. Zuletzt, in der Nachfolge von Markus Wolf, als Chef der Aufklärung und Stellvertreter des Ministers. Ohne Überzeugung von der Notwendigkeit seines Jobs hätte er ihn nicht ausüben können.
Der Generaloberst a. D. gehört zur Generation der Gründer der besseren deutschen Republik, die nun seit bald 30 Jahren Geschichte ist. Er wuchs in einem Dorf in Sachsen auf, in dem es weder elektrisches Licht noch Radio, wohl aber Hakenkreuzfahnen gab. Dass er 1940 ans Gymnasium nach Pirna kam, verdankte er seinen sportlichen wie intellektuellen Fähigkeiten, mehr aber noch der Zusicherung des Lehrers, dass den Eltern das Schulgeld erspart bliebe. Die Nazis steckten ihn in den Volkssturm. »Als die Rote Armee kam, hab ich mein Rad genommen und bin nach Hause gefahren.« So lakonisch pflegt er über sein Leben zu berichten. Der Vater, ein Zimmermann, kam 1946 aus der Kriegsgefangenschaft. Gemeinsam traten Vater und Sohn am 1. März 1946 der KPD bei. Sie wollten mehr als nur Strom in ihrem Haus.
Großmann jr. gründete im Dorf die FDJ. Er wurde Maurer, weil das Land in Trümmern lag; besuchte die Arbeiter- und Bauernfakultät, weil man auch Bauingenieure brauchte. Aber auch neue Lehrer wurden benötigt. Also Studium an der Pädagogischen Fakultät der Technischen Hochschule in Dresden. Schließlich, nach vier Semestern, wieder eine Kurskorrektur nach erfolgreicher Agitation: Er wurde Hauptamtlicher bei der FDJ.
Schließlich klopfte jemand vom soeben in Berlin gegründeten Außenpolitischen Nachrichtendienst (APN) bei ihm an. Ab 1. April 1952 – kein Witz – besuchte Großmann dessen Schule in Berlin-Pankow, ohne zu wissen, wofür er und seine Mitgenossen ausgebildet werden sollten. Die Schule gehörte zum Außenministerium. Nach einem halben Jahr schenkte ihnen Richard Stahlmann – Spanienkämpfer, Antifaschist, Kommunist wie auch die übrigen Lehrer – reinen Wein ein. Am 1. Oktober 1953 begann Großmann in der Klosterstraße Ecke Rolandufer in Berlin-Mitte seinen Dienst als Oberleutnant im Staatssekretariat für Staatssicherheit: Nach dem 17. Juni war das Ministerium gewissermaßen degradiert worden …
Großmann räumte später ein, dass die Konspiration – obgleich essentiell für einen Geheimdienst – sich als Achillesferse erwiesen hatte. Das begann nicht erst damit, dass der Nachrichtendienst der DDR vom Mauerbau am 13. August 1961 ebenso überrascht wurde wie der Rest der Welt. »Wir wurden, was ich unverändert für einen Fehler halte, völlig rausgehalten. Danach mussten wir die Scherben zusammenkehren und überlegen, wie die Arbeit unter den neuen Bedingungen zu organisieren ist.« Das geschah mit einigem Erfolg. Dass etwa der Frieden – trotz Kaltem Krieg – zumindest in Europa erhalten blieb, geht zu großen Teilen auf das Konto der Hauptverwaltung Aufklärung (HV A), seiner hauptamtlichen und inoffiziellen Mitarbeiter, der Kundschafter und des Führungspersonals, zu dem Großmann jahrzehntelang gehörte. Einer seiner Gegner, der schon in der Organisation Gehlen gegen die DDR gearbeitet hatte und länger beim Bundesnachrichtendienst war als Großmann bei der Aufklärung, urteilte 2001 als Politrentner: »Großmann ist ehrlich. Selbstmitleid und Sentimentalitäten scheinen ihm fremd. Und er ist stolz auf die HV A, ohne sich selbst in den Vordergrund zu rücken.«
Gelegentlich hat der Klassenfeind Recht. Werner Großmann überlebte Volker Foertsch. Dieser starb mit 84 Jahren 2018. Werner Großmann wird am heutigen Sonnabend 90. Das ist neuerlich Anlass, ihm zu danken. Für eine Lebensleistung, von der nicht nur die DDR-Bürger profitierten. Für Anstand und Aufrichtigkeit. Vor seiner Lauterkeit kapitulierte selbst die Klassenjustiz: Der Bundesanwalt musste eine Anklage wegen Agententätigkeit und Landesverrat 1995 zurücknehmen. Irgendwann werden auch andere begreifen, was wir dieser Gründergeneration schulden.
Erschienen in der Jungen Welt am 09.03.2019