Von Rainer Rupp
Der Fall des Oberstleutnants der Bundeswehr a. D. Jürgen Rose hatte seinerzeit wiederholt bundesweit für Schlagzeilen gesorgt. Er hatte nämlich etwas getan, was für einen Bundeswehroffizier nicht nur total ungewöhnlich, sondern auch unerhört ist, denn er hat kriminelle Befehle zur Beihilfe am Angriffskrieg gegen den Irak verweigert und seine Meinung dazu sogar in die Öffentlichkeit getragen, etwa in einem Artikel in der zweiwöchentlich erscheinenden Zeitschrift »Ossietzky« über das »friedensverräterische Handeln« der Bundeswehrgeneralität.
In einem Vorwort zu dem hier vorgestellten Buch »Ausgedient. Die Bundeswehr, die Meinungsfreiheit und die ›Causa Rose‹«, schreibt Rechtsanwalt Dr. Heinrich Hannover, der den meisten nd-Lesern gut bekannt sein dürfte: »Seine Verantwortung als Staatsbürger und sein Gewissen verpflichteten ihn (Rose), die von den herrschenden Medien verschleierte Wahrheit zu veröffentlichen, und sein Grundrecht auf freie Meinungsäußerung berechtigte ihn, dies mit starken Worten zu tun, die dem Skandal der kriminellen Bundeswehreinsätze angemessen waren.«
Roses Jahre langjähriger Rechtsstreit mit der Bundeswehr und der Bundesregierung ging bis zum Bundesverfassungsgericht und darüber hinaus zum Europäischen Gerichtshof. Akribisch, aber dennoch spannend dokumentiert er sowohl den erschreckenden Ungeist der politischen und militärischen Führung der Bundeswehr, der in entsprechenden Stellungnahmen zutage getreten ist, als auch das Duckmäusertum und die politische Willfährigkeit der bundesdeutschen Justiz, die es mit spitzfindigen Winkelzügen fertigbringt, Angriffskriege in friedenswahrende Operationen umzudefinieren.
Oberstleutnant Jürgen Roses soldatischer Mut gegenüber seinen Vorgesetzten erfordert weitaus mehr Courage, als im Adrenalinrausch eines Gefechts bei der Befolgung von Befehlen Haut und Knochen zu riskieren. Als Offizier der Bundeswehr hat er diese höchste Form des Mutes nicht nur für einen Augenblick bewiesen, sondern beharrlich, über viele Jahre hinweg.
Um die Öffentlichkeit auf die von deutschen Politikern und Generälen verübten Völkerrechtsverbrechen aufmerksam zu machen, hat Rose, der auch Vorstandsmitglied der kritischen Soldat(Inn)envereinigung »Darmstädter Signal« ist, nicht nur seine berufliche Karriere aufs Spiel gesetzt, sondern er hat auch riskiert, seine Freunde und Bekannten wegen seiner Überzeugung in seinem beruflichen und privaten Umfeld zu verlieren und zum gesellschaftlichen Paria abgestempelt zu werden.
In einer Rezension in der online-Zeitung »NRhZ« wird Roses neues Buch als »heißes Eisen« bezeichnet. Das ist es in der Tat. Vor allem für alle jene, die uns nach wie vor glauben machen wollen, dass die politische und militärische Führung der Bundeswehr nur wegen ihrer »Verantwortung für den Weltfrieden« so erpicht darauf ist, bei jeder militärischen Aggression der westlichen Unwertegemeinschaft dabei sein zu müssen. Geradezu zwanghaft erscheint das Bedürfnis der Vertreter der neuen Möchtegern-Großmacht Deutschland, mit an vorderster Linie zu stehen, wenn das US-geführte Kriegsbündnis der Nordatlantischen Terrororganisation (NATO) ganze Völker in die Steinzeit zurückbombt, angeblich um Demokratie und Menschenrechte zu schützen.
Nach dem Ende des Kalten Krieges hatten – wie Rose ausführt – die »Traditionalisten« in unserem Land wieder Morgenluft gewittert. Endlich konnten sie die Bundeswehr in eine überregionale, weit über die Grenzen Europas hinaus und jenseits des Völkerrechts operierende »Einsatzarmee« transformieren. Humanitäre Krisen, nicht selten von der westlichen »Wertegemeinschaft« angestachelt oder direkt herbeigeführt, dienten dann den neuen Kriegern in der Bundeswehr als Rechtfertigung für globale Militäreinsätze zur »Wahrnehmung der deutschen Verantwortung«. Angesichts der Doppelmoral der westlichen Unwertegemeinschaft kann das niemand mehr ernst nehmen. Genau das hat Rose hervorragend herausgearbeitet, aber damit war auch seine vielversprechende militärische Laufbahn beendet.
Wegen seiner brillanten Arbeit war der akademisch ausgebildete Rose seinen Vorgesetzten früh aufgefallen und zum jüngsten Oberstleutnant der Bundeswehr befördert worden. Aber sein Kampf gegen die Umwandlung der Bundeswehr in eine imperialistische Angriffsarmee hat ihn die gesicherte Karriere gekostet. Das hat er jedoch nie bedauert. Rose ist der wahre Held dieser Geschichte, und für die Bundeswehr müsste er ein Vorbild sein.
Im Buchhandel kosten die beiden Bände 30 Euro. Bei den heutigen Preisen in Berlin kann man dafür gerade mal zwölf Tassen Kaffee kaufen. Da ist der intellektuelle Genuss bei der Lektüre des Werks unvergleichbar größer, ganz abgesehen von dem damit einhergehenden Erkenntnisgewinn.
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Erhard Crome (Hg.): Ausgedient. Die Bundeswehr, die Meinungsfreiheit und die »Causa Rose«. Schkeuditzer Buchverlag, 2 Bände, insgesamt 646 S., br., 30 €.
Erschienen im “neuen Deutschland” am 24.11.2017