Blamage der bürgerlichen Medien: Wie vor zehn Jahren eine wissenschaftliche Konferenz zur Hetze gegen die DDR genutzt wurde
Von Peter Wolter
Wenn es einen zeitgemäßen Gottseibeiuns, einen modernen Teufel zu erfinden gälte, bräuchte man nicht lange nach einem Modell dafür zu suchen: Das seit 27 Jahren aufgelöste »Ministerium für Staatssicherheit der DDR« (MfS) bietet auch heute noch genügend Anknüpfungspunkte für Gruselstories jeder Art: Knebelung Andersdenkender, Kindesraub, Attentate, skrupellose Spionage.
Damit sich die in der Öffentlichkeit generierte Abscheu auf hohem Niveau hält, wird unverdrossen immer wieder nachgelegt. Die vorwiegend zu diesem Zweck geschaffene »Behörde des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik« (BStU) hat noch kaum eine Gelegenheit ausgelassen, so ziemlich alles mit Dreck zu bewerfen, was mit DDR-Geheimdiensten zu tun hat. Und Medien wie Frankfurter Allgemeine Zeitung, Springer-Presse, ARD, Focus und andere nehmen derartige Anregungen dankbar auf – eigene Recherche unterbleibt in der Regel.
Einen besonderen Coup leistete sich die Behörde vor fast genau zehn Jahren, als sich das »Zentrum für die Studien des Kalten Krieges« der dänischen Universität Odense vorgenommen hatte, in einer wissenschaftlichen Tagung Erkenntnisse über die tatsächliche Rolle der DDR-Auslandsaufklärung (Hauptverwaltung A des MfS, kurz: HVA) zu gewinnen. Da hatten diese unbedarften Dänen doch tatsächlich die Stirn, in Berlin eine Tagung anzusetzen, auf der auch ehemalige HVA-Mitarbeiter als Zeitzeugen zu Wort kommen sollten. Diesen Wunsch nach wissenschaftlicher Aufklärung empfanden BStU und andere Behörden als unverfrorene Frechheit: Die Tagungsräume wurden gekündigt, der Kongress abgesagt.
Die Dänen ließen sich nicht einschüchtern – für den 17. und 18. November 2007 wurde ein neues Treffen in den Räumen der Universität Odense angesetzt – unter Teilnahme ehemaliger DDR-Aufklärer und HVA-Offiziere. Dazu kamen 13 westliche Wissenschaftler und etliche ehemalige Angehörige britischer und US-amerikanischer Geheimdienste. Selbst ein Historiker der BStU, Helmut Müller-Enbergs, der allerdings durch Krankheit verhindert war, ließ ein Referat verlesen. Es wurden Vorträge gehalten, Diskussionspapiere ausgetauscht, man kam ins Gespräch. Die Atmosphäre war sachlich und themenbezogen – fast kollegial.
Genau das hatte die BStU verhindern wollen – eine ehrliche Berichterstattung über diese Veranstaltung hätte ihre Propagandaplanung konterkariert. Wenn schon die Tagung selbst nicht mehr torpediert werden konnte, sollte zumindest deren Resonanz in der Öffentlichkeit korrigiert werden. Um auch die Berichterstattung im Ausland in den Griff zu bekommen, holte die Behörde die Daumenschrauben aus ihrer Trickkiste.
Teilnehmende Wissenschaftler hatten sich zunächst zufrieden über den Ablauf der Veranstaltung geäußert. Ihr Organisator, der damalige Assistenzprofessor Thomas Wegener Friis kommentierte gegenüber jW, die Konferenz sei »sehr vernünftig gelaufen, es war ein spannendes Experiment«. Die niederländische Historikerin Beatice de Graaf bemerkte – ebenfalls zur jW: »Das war hochspannend, ich habe noch nie so viele interessante Details erfahren.« Und die US-Professorin Kristie Macrakis von der Harvard Universität sagte: »Ich bin begeistert, es herrschte eine sehr angenehme Stimmung. Ich glaube, dass sowohl die Geheimdienstler als auch die Historiker hochzufrieden waren.«
Wenige Tage darauf war vieles anders. Die Springer-Presse beschwerte sich über den »Propagandaerfolg der MfS-Rentner«, die FAZ schrieb über eine »Stasi-Butterfahrt« weil einige Dutzend ehemaliger HVA-Offiziere per Bus angereist waren. Wegener Friis, der zuvor noch kritische Worte zur deutschen Berichterstattung gefunden hatte, wechselte plötzlich die Front: Offenbar auf Druck der deutschen Regierung hieß es jetzt, eigentlicher Zweck der Konferenz sei von Anfang an die Entlarvung »der geistigen Verfassung der alten Stasi-Elite« gewesen. Diese Ehemaligen seien zur »Aufarbeitung der Geschichte« weder willens noch fähig. Als jW versuchte, ihn mit seinen vorherigen Äußerungen zu konfrontieren, tauchte er ab und war nicht mehr zu sprechen. Und Müller-Enbergs von der BStU kassierte eine – nach einem Rechtsstreit später zurückgenommene – Abmahnung, wie die Frankfurter Rundschau berichtete.
Die Stockholmer Professorin Birgitta Almgren, die ebenfalls an der Konferenz teilgenommen hatte, verstand die Welt nicht mehr, nachdem sie sich einen Überblick über das Medienecho verschafft hatte. »Mit Blick auf die Verfasser frage ich mich: Waren wir auf derselben Konferenz? Und die US-Professorin Macrakis beschwerte sich in einem Leserbrief an die FAZ: »Ich habe früher ähnliche Tagungen in Deutschland organisiert (…), aber die Presse berichtete nie so feindselig, wie sie es jetzt tat. Der Berichterstattung fehlten Objektivität und Angemessenheit.«
Erschienen in der Tageszeitung “junge Welt” am 07.12.2017