Von Dagmar Henn
Nach den Vorstellungen der USA geht es auf jeden Fall nicht im Roten Meer – die groß angekündigte Koalition, die auf die Angriffe der jemenitischen Huthi reagieren sollte, bröckelt. Irgendetwas passiert da, was nicht sichtbar ist. Zeit, ein paar Theorien einzusammeln.
Die Entwicklungen rund um das Rote Meer werden immer interessanter. Die dänische Reederei Maersk hat inzwischen angekündigt, die Route durch den Suezkanal wieder aufzunehmen. Das von den USA betriebene Bündnis unter dem romantischen Namen “Prosperity Guardian”, Wohlstandswächter, erweist sich immer mehr als Totgeburt, trotz (oder wegen) intensiver US-amerikanischer Bemühungen, den Iran direkt in eine Auseinandersetzung zu verwickeln. Und die Bundesregierung, die sonst nicht schnell genug “hier” schreien kann, wenn wieder mal Beteiligung an irgendwelchen US-Aktionen gefragt ist, ja, die sich inzwischen unbedingt auch im chinesischen Meer zuständig fühlen will, ist eigenartig leise und nicht einmal auf der Liste des Wohlstandswächters aufgetaucht. Man prüfe, lautete die letzte Meldung aus dem Auswärtigen Amt.
Was eigenartiger ist, als es den meisten Deutschen bewusst sein dürfte. Schiffsverkehr ist eine komplexe Sache, weil es Jahrzehnte her ist, dass die Flagge, unter der ein Schiff fährt, irgendetwas über dessen Besitzer aussagte. Deshalb ist es den meisten Deutschen nicht bewusst, dass die Hälfte der größten Containerschiffsklasse weltweit in deutschem Besitz ist. Weil diese Information in der Regel recht gut verborgen ist – sichtbar sind nur die Reedereien, die die Schiffe vermieten, die Eigentümer verstecken sich hinter Kapitalgesellschaften, die meist auch noch über mehrere Länder verteilt sind.
Wie schwierig das sein kann, zeigte sich beim Tanker Chem Pluto, der jüngst vor der indischen Küste von einer Drohne getroffen wurde. In der Berichterstattung im Westen wurde nur erklärt, er gehöre einem japanischen Unternehmen, und die USA beschuldigten den Iran, die Drohne gestartet zu haben, die ihn getroffen haben soll. Die Huthi jedenfalls haben laut und deutlich erklärt, israelische Schiffe anzugreifen. Der in Moskau lebende Journalist John Helmer löste das Rätsel auf seinem Blog: hinter einer japanischen und einer singhalesischen Holding und einem holländischen Management verbirgt sich der israelische Oligarch Idan Ofer. Der nebenbei unter anderem auch 33 Prozent von Atlético Madrid besitzt.
Die deutsche Hälfte der großen Containerklasse ist ebenso gut vergraben. Aber für diese Schiffe ist der Suezkanal eine wichtige Route. Und gerade die Hamburger Pfeffersäcke, also die Millionärs- und Milliardärsfreunde des Hamburgers Olaf Scholz, haben besonders viel Geld in diesem Gewerbe; man sollte also davon ausgehen, dass der Bundeskanzler sich eifrigst für die Freiheit der Meere in die Bresche wirft. Schließlich war die Bundeswehr in der Nähe bis zum April 2022 unterwegs, mit genau diesem Hintergrund. Nun sind es nicht somalische Piraten, sondern jemenitische Drohnen, die für diese Route zum Problem werden, aber aus Deutschland ist kein Ton zu vernehmen.
Was sich mit der etwas eigenartig wirkenden Ankündigung von Maersk trifft, die kaum auf die Anwesenheit von US-Schiffen in diesem Gebiet zurückzuführen sein kann. Schließlich ist der Motor für all die Umleitungen von Frachtschiffen nicht so sehr die konkrete Gefahr, die von den Drohnen ausgeht, sondern die vermittelte in Gestalt teurerer Versicherungen. Die werden nicht allein deshalb billiger, weil dort jetzt noch weitere Kriegsschiffe unterwegs sind (das chinesische Kontingent liegt derweil friedlich im Stützpunkt in Dschibuti). Im Gegenteil – je angespannter die Lage, desto höher das Risiko, dass herumfliegende Dinge die Schiffe beschädigen, und der Versicherung ist es egal, ob auf Schaden verursachenden Gegenständen aus Metall ein jemenitischer oder ein US-amerikanischer Absender steht.
An dieser Stelle hat Helmer eine interessante Theorie. Er geht nämlich davon aus, dass Frankreich und Spanien, wie zuvor Russland, einen Handel mit den Huthi geschlossen und sich deshalb vom Wohlstandswächter zurückgezogen hätten. Die Schiffe könnten unbehelligt das Rote Meer durchqueren, wenn sie Israel von ihren Routen streichen.
Bezogen auf den israelischen Hafen Eilat liegt bereits vor, dass die Umsätze dort um 80 Prozent zurückgegangen sind. Eilat wird vor allem für den Import von Kraftfahrzeugen genutzt. Entsprechende Zahlen von den zugegeben größeren Häfen am Mittelmeer gibt es noch nicht, aber wenn diese Vermutung zutreffen sollte, müsste sich auch dort bald eine Veränderung zeigen.
Diese Theorie könnte natürlich ebenso eine Erklärung für das deutsche Schweigen liefern. Auch wenn man es seit Nord Stream gar nicht mehr gewöhnt ist, dass die Bundesregierung einmal nicht am Gängelband der US-Interessen läuft, es ist nicht von der Hand zu weisen, dass diesmal Erwartung und Ergebnis sehr weit auseinander liegen. Erstaunlicherweise würde dann Berlin in diesem Fall, trotz lauthals bekundeter Bereitschaft, jedes israelische Verbrechen zu decken, auf sehr stille und unsichtbare Weise mit dazu beitragen, dem israelischen Genozid die wirtschaftlichen Grundlagen abzugraben. Denn sollte die Vermutung tatsächlich zutreffen, dass sich selbst die Deutschen die Durchfahrt lieber mit einem schleichenden Boykott der israelischen Häfen erkaufen, als sich den Cowboys anzuvertrauen, würde die Aktion der Huthi sich als eine äußerst wirksame Methode erweisen.
Wie gesagt, die Ankündigung von Maersk hat einen gewissen Beigeschmack. Dazu kommt natürlich die vielsagende Tatsache, dass mit Ausnahme von Bahrein von Anfang an kein weiterer Staat aus der Region am US-Wohlstandswächter beteiligt war oder beteiligt sein wollte. Eine stillschweigende Unterstützung der Huthi-Blockade würde sogar den Eindruck arabischer Tatenlosigkeit konterkarieren. Denn ökonomisch gesehen ist das, was im Roten Meer passiert, geradezu ein Maximum militärischer Effizienz – durch den Einsatz von Drohnen, die pro Stück ein paar Tausend Euro kosten, werden ganze Milliardenwerte umgeleitet beziehungsweise, falls obige Theorie zutrifft, eine Wirtschaftsblockade gegen den Willen der USA verhängt, die für Israel sehr schmerzlich werden könnte (das ökonomisch ohnehin schon durch die Einberufung so vieler Reservisten Schwierigkeiten hat). Nebenbei gesagt, eine derartige Lösung hätte mit Sicherheit auch das Wohlwollen Ägyptens, das auf diese Weise nur einen Teil der Einnahmen aus dem Suezkanal opfern müsste…
Man muss nicht ganz so weit gehen wie Pepe Escobar, der jüngst erklärte, seiner Meinung nach sei das Handeln der Huthi innerhalb von BRICS abgesprochen. Aber warum sollte man davon ausgehen, dass einzig die USA in komplexeren Manövern denken (woran sie sichtbar scheitern), und intelligentere Planer als die US-Neocons nicht auch auf den einen oder anderen Gedanken kommen?
Der Charme dieser Idee liegt unter anderem darin, dass ein Teil der Sanktionen gegen Russland die Sanktionierung des Öls war, die vor allem über die Versicherungen ihre Wirkung entfaltete; sprich, der Transport russischen Öls hatte plötzlich die Schaffung neuer Versicherungsstrukturen zur Voraussetzung, weil sich die westlichen Versicherungen weigerten, die Tanker zu versichern, egal, wohin sie unterwegs waren… Ist es unvorstellbar, dass hier eine diskrete, gut getarnte Retourkutsche fährt, die ganz nebenbei auch noch dazu beiträgt, den nächsten vom absteigenden Hegemon ausgelösten Brand zu löschen? Und ja, auch die Wirkungen auf Oligarchen wie Ofer, die nicht ausbleiben dürften, erinnern an die Fantasien, die man im Westen mit den Sanktionen verband.
Helmer äußert übrigens noch einen weiteren interessanten Gedanken, in Verbindung mit der iranischen Warnung, man könne auch das Mittelmeer sperren. Denn der Iran liegt doch ein gutes Stück von Gibraltar entfernt. Er erinnert in diesem Zusammenhang an Algerien, deutlich näher an Gibraltar als der Iran, das bereits zu Beginn der israelischen Invasion erklärt hatte, zu militärischen Handlungen bereit zu sein. Technisch gesehen ist das Mittelmeer die Ersatzroute in Richtung der israelischen Häfen, wenn der Suezkanal ausfällt. Völlig unmöglich wäre also eine Blockade dieser Strecke nicht.
Jetzt könnte man noch den russischen Flug hinzunehmen, den Bernhard von Moon of Alabama (unter anderen) vermeldete, der am 22. Dezember in New York landete und erst nach 54 Stunden wieder startete. Auch wenn die New York Times am Tag danach diese eigenartige Geschichte veröffentlichte, Russland verhandle über ein Einfrieren des Ukraine-Konflikts (etwas, woran Russland keinerlei Interesse hätte, was man also getrost ins Reich der Märchen verweisen kann) – womöglich war das Gesprächsthema ein ganz anderes. Was, wenn es darum gegangen wäre, der US-Regierung mitzuteilen, dass es noch ganz andere Mittel als UN-Resolutionen gibt, um ein Ende der israelischen Gewalttaten durchzusetzen, und dass sie, die Vereinigten Staaten, dagegen schlicht und ergreifend gar nichts unternehmen könnten?
Genug spekuliert. Die Wahrheit wird sich, wie immer in solchen Fällen, erst im Verlauf der Zeit zu erkennen geben. Aber man darf auf keinen Fall vergessen, dass es noch andere Akteure gibt als Blinken, Nuland und Co., und wesentlich klügere. Es braucht nur einen Blick auf die Karte, um zu erkennen, wie extrem günstig die Lage des Jemen ist. Rundherum die Gedanken etwas kreisen zu lassen, mag vielleicht in die Irre führen; mit Sicherheit hält es aber das Denken geschmeidig.
Zuerst erschienen bei RT Deutsch am 27 Dez. 2023