Kundschafter: Im Dienste des Friedens

Deutsche Pässe, keine Dollars: Günter Pelzl berichtet in seiner Autobiographie über die Arbeit im Operativ-Technischen Sektor des MfS

Von Rüdiger Göbel,

Nie wieder Krieg! Mit diesem Leitsatz ist Günter Pelzl, Jahrgang 1948, im thüringischen Dorf Ammerbach unweit von Jena aufgewachsen. Für den Frieden wollte er sich immer einsetzen. Schon als Schüler ließ er sich als Inoffizieller Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) anwerben, und er wurde selbstbewusster und überzeugter Kandidat für die Mitgliedschaft in der SED. In seiner gerade erschienenen Autobiographie »Der Fälscher« beschreibt Pelzl sein Leben und seine Arbeit in der DDR, in der er sich für seine Maxime engagiert und überzeugt eingesetzt hat. Das Buch ist authentisch, spannend wie auch unterhaltsam verfasst und hilft, die Zeit des Kalten Krieges besser zu verstehen. Pelzl ist stolz auf seine geleistete Arbeit, freut sich über schöne Jahre und Jahrzehnte im sozialistischen Teil Deutschlands, ohne seine Heimat (»ist dort, wo einem die Menschen zulächeln, wenn man über die Straße geht«) zu verklären oder zu überhöhen. Im Gegenteil, immer wieder benennt er Fehlentwicklungen in seinem Umfeld wie auch in der großen Politik des Landes. Pauschalem DDR-Bashing verweigert sich der Autor gleichwohl strikt.

Nach Chemiestudium und Promotion wurde Günter Pelzl hauptamtlicher Mitarbeiter des DDR-Geheimdienstes – eher aus der Not heraus, denn persönlich gewünscht oder von langer Hand geplant. 140 Absagen bei der Stellensuche des jungen, hochqualifizierten Universitätsabsolventen offenbarten Missstände in der politischen Aufbauplanung des Landes: Das versprochene Großforschungszentrum, für das er und viele andere ausgebildet wurden, war nicht gebaut worden. Ein Angebot des MfS 1976 kam da zur rechten Zeit und bot ihm Sicherheit.

Neuer Arbeitsort wurde der Operativ-Technische Sektor, kurz OTS, ein von Mauern umgebenes Areal in der Nähe der Gehrenseestraße in Berlin. 1982 wurde Pelzl von der Abteilung 34, »Markierung und Geheimschriften«, in die Abteilung 35, »Analyse, Reproduktion und Produktion von Dokumenten«, versetzt, deren Abteilungsleiter er schließlich wurde. Hauptaufgabe war die Entwicklung von als echt erscheinenden Passdokumenten für die Auslandsaufklärung, aber auch für Bruderstaaten und politische Befreiungsbewegungen in aller Welt, was ihm und seinem Kollektiv erfolgreich gelang. Das Bundeskriminalamt jedenfalls wertete die in der DDR entwickelten Papiere als im normalen Gebrauch »nicht zu identifizierende Totalfälschung«, wie Pelzl schreibt.

Vor besondere Herausforderungen wurde der »Meisterfälscher der Stasi« gestellt, als es in der BRD Mitte der 1980er Jahre Bestrebungen gab, einen fälschungssicheren Personalausweis einzuführen. »Die schlimmen Vorahnungen, man würde einen Chip einbauen, der an der Grenze von den Beamten ausgelesen werden konnte, hatten sich nicht bewahrheitet. Die Zeit war offensichtlich noch nicht reif dafür. Außerdem gab es große Meinungsverschiedenheiten über die Handhabung der dabei anfallenden persönlichen Daten. Das verschaffte uns eine kleine Atempause.«

Das Überleben der DDR – heute vor 59 Jahren hatte das Land seine westliche Staatsgrenze gesichert – konnte freilich auch das MfS nicht garantieren. Pelzl selbst war am Ende mit der Abwicklung seiner Abteilung befasst. Der Verfassungsschutz bedrängte ihn, Namen zu nennen, wer aus der Bundesdruckerei in Westberlin sie mit Informationen zu Personalausweis und Reisepass versorgt habe. »Darüber werde ich mit Ihnen nicht sprechen«, so Pelzls Antwort. Sicher gebe es Verräter, aber er sei keiner von denen. Vierzehn Tage später, im April 1991 wurde Pelzl von der Generalbundesanwaltschaft informiert, dass man gegen ihn ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts geheimdienstlicher Agententätigkeit eingeleitet hatte. Erst im Dezember 1995 wurde es eingestellt. Zwischendurch wollten die US-Amerikaner wissen: »Haben Sie jemals Dollar gefälscht?« Pelzl: »Die Antwort auf diese Frage konnte ich schon im Schlaf aufsagen, aber hier machte mir das besondere Freude: ›Wenn wir jemals Dollar gefälscht hätten, säße ich jetzt nicht hier, sondern würde irgendwo unter Palmen meine Beine ins Wasser hängen lassen. Wären es sehr viele Dollars gewesen, gäbe es die DDR noch, und dieses Gespräch würde auch nicht stattfinden.‹«

Als ihn nach der sogenannten Wende einer mal gefragt habe, was das Beste an der DDR gewesen sei, habe er spontan geantwortet: »Das Beste an der DDR war, dass das Geld nichts wert war!« Solidarität und Gemeinsinn standen im Vordergrund, eine antifaschistische Grundhaltung und konkrete internationale Solidarität. »Der Fälscher« legt hierfür beredt Zeugnis ab.

Günter Pelzl zur Reisefreiheit

»Dass die Menschen in der DDR nicht ungehindert reisen konnten, hatte ja zuerst politische Gründe. Die BRD maßte sich eine Art Obhutspflicht für jeden DDR-Bürger an, der sich im westlichen Ausland aufhielt. Das war im Selbstverständnis der DDR nicht hinnehmbar. Dass die Gesetze der DDR ein illegales Verlassen des Landes unter Strafe stellten, akzeptierte ich. Ohne die Sowjetunion war das ohnehin nicht zu ändern. Weniger beschäftigte ich mich mit den Motiven der Republikflüchtlinge. In der Regel gab es darüber auch keine Informationen, auch nicht in meiner Abteilung (…) Als ich einige Jahre später einen Artikel im Spiegel von 1973 über die Schleusungen von Ärzten aus der DDR las, klappte mir förmlich der Unterkiefer herunter. Hier wurde ein Motiv genannt, das ich in dieser Ausprägung kaum für möglich gehalten hatte: Geld. Für fünfstellige Summen waren Ärzte bereit, ihre Patienten im Stich zu lassen. ›1.400 Mark hat meine Frau im Monat als Ärztin verdient, das kriegt bei uns auch eine Schweinezüchterin‹, sagte einer der Geschleusten. Das war für mich ein starkes Motiv, meine Arbeit so gut wie möglich zu machen. Ich verdiente in dieser Zeit etwa genausoviel wie diese Schweinezüchterin. Hätte man die DDR durch die BRD staatlich anerkannt, hätte die DDR diese Reisebeschränkungen aufheben müssen.«

Zuerst erschienen in der Jungen Welt: 13. August 2020

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»Nicht zu identifizierende Totalfälschung«

Pässe des MfS halfen Kämpfern in Vietnam, Palästinensern und Pinochet-Gegnern

In Kapitel 20 seiner Autobiographie berichtet Günter Pelzl über Schwierigkeiten und Erfolge bei der Passfälschung. Wir danken Autor und Verlag für die Möglichkeit des Abdrucks:

Am 1. Dezember 1982 wurde ich in die Abteilung 35 versetzt. Ich war inzwischen Hauptmann und übernahm dort das Referat I »Forschung und Entwicklung«. Es war deutlich zu spüren, dass sich das Augenmerk von der handwerklichen Seite der Dokumentenherstellung mehr zur wissenschaftlich-technischen Seite hin verschob. (…) Eine meiner ersten Aufgaben war es, ein System der Analyse und Qualitätskontrolle vor allem für die produzierten Pässe zu entwickeln, das es möglich machen sollte, die eingebauten Sicherheitsmerkmale möglichst alle zu erkennen und Fehler bei der Produktion weitgehend auszuschließen. An die einzelnen Bestandteile eines Passes, wie Papier, Druckfarben, Kunstleder und so weiter, wurden schriftlich fixierte Anforderungen gestellt, die auch regelmäßig überprüft wurden. (…) Die analytischen Fähigkeiten aller Mitarbeiter gingen so weit, dass wir in der Lage waren, die für uns wichtigen Druckfarben- und Papierbestandteile zu ermitteln. Viele ausländische Pässe enthielten seltene Faserstoffe, die langfristig irgendwo in der Welt beschafft werden mussten.

Wir waren uns immer der Tatsache bewusst, dass unsere falschen Papiere einer wissenschaftlichen Laboruntersuchung trotz dieser hohen Qualität nicht lange standhalten würden. Das wurde auch nie als Kriterium unserer Arbeit betrachtet. Es war deshalb von besonderer Wichtigkeit, genaue Kenntnis von den Einsatzbedingungen, zum Beispiel an Grenzübergängen und Flughäfen zu besitzen, vor allem von den dort installierten technischen Kontrollgeräten. Die dazu notwendigen Informationen bezogen wir von der Aufklärung (HVA).

Natürlich fielen dem Gegner auch unsere falschen Pässe in die Hände, wenn Kundschafter und Kuriere verhaftet wurden. Das Bundeskriminalamt (BKA), das für die Echtheitsuntersuchung von Pässen und Papieren zuständig war, fand zwar im Labor heraus, dass es Fälschungen waren, aber es gelang nie, mit den daraus gewonnenen Erkenntnissen falsche Papiere oder Pässe bereits bei normalen Kontrollen zu entdecken. Im BKA erhielten deshalb unsere Dokumente den Stempel der »Vorzüglichkeit« und wurden in einem Schulungsfilm aus dem Jahre 1985 ausdrücklich als im normalen Gebrauch nicht zu identifizierende Totalfälschung eingeordnet.

In der Regel hielten wir uns an den Produktionsprozess der Bundesdruckerei und fertigten jedes Jahr eine neue, aktuelle Auflage. Das Eindrucken der Ausweisnummern und das »Ausfüllen« mit persönlichen Daten übernahm die HVA, wobei sichergestellt wurde, dass jede Auflage nur für einen bestimmten Nummernbereich zugelassen war. (…)

Bei meiner Arbeit stellte ich mir oft die Frage: »Würdest Du mit einem Deiner falschen Pässe auf die Reise gehen?« Ich habe diese Frage für mich immer mit Ja beantwortet und sie später auch meinen Mitarbeitern gestellt. Hätte ich das zu irgendeiner Zeit nicht mehr gekonnt, hätte ich die Arbeit auch nicht weitergemacht. (…) Ich bin heute noch stolz darauf, dass keiner derjenigen, die unsere Papiere benutzten, aufgrund von Mängeln verhaftet wurde.

Natürlich fertigten wir auch Pässe und verschiedene Papiere anderer Länder an, das hing von den jeweiligen Aufgabenstellungen der Aufklärung ab oder von Hilfeersuchen befreundeter Geheimdienste. Ich persönlich kann mich an keine Aufgabe erinnern, die wir ablehnen mussten, weil sie uns zu schwer war. Diskussionen gab es höchstens über Termine oder die Bereitstellung von Materialien und Technik.

Unsere Dokumente halfen unter anderem den vietnamesischen Kämpfern bei der Einnahme von Saigon. Die Abteilung 35 produzierte eine große Anzahl von Kennkarten aus Plastik, die die südvietnamesische Marionettenregierung ausgegeben hatte, um den Zustrom von Menschen nach Saigon zu kontrollieren. Mit unseren falschen ID-Karten gelang es den Kämpfern, große Mengen an Waffen nach Saigon zu bringen. (…) Wir halfen palästinensischen Kämpfern nach dem israelischen Überfall auf Beirut im Libanonkrieg, unsere falschen Papiere wurden benutzt, um chilenische Patrioten vor der Pinochet-Junta über die Grenze nach Argentinien in Sicherheit zu bringen.

Ich hatte immer Vertrauen, dass unsere Dokumente nie für menschenfeindliche oder kriminelle Zwecke eingesetzt wurden. Dieses Vertrauen hat sich bei mir bis heute erhalten. Das bestätigte sich auch in vielen Gesprächen mit ehemaligen Kundschaftern und Kurieren, die ich nach der Wende führen konnte. Dass es einzelne Menschen gab, die auch unsere Dokumente missbrauchten, war mir so bewusst wie die Tatsache, dass es auch unter den offiziell hochgelobten MfS-Mitarbeitern Schurken und Verräter gab. Die Welt war für mich schon lange nicht mehr schwarzweiß, auch wenn man in der DDR-Politik oft solche einfachen Töne vernehmen konnte.

Günter Pelzl: Der Fälscher. Als Forscher im Operativ-Technischen Sektor des MfS. Autobiografie. Verlag Edition Berolina 2020, 528 Seiten, 19,99 Euro

Zuerst erschienen in der jungen Welt von 13.8.2020

Rezension von Werner Großmann:

Vorbildliche Arbeit

Zu jW vom 13.8.: »Im Dienste des Friedens«

Ich begrüße die Veröffentlichung von »Im Dienste des Friedens«, d. h. Auszügen aus dem Buch »Der Fälscher« von Günter Pelzl, in welchem der Autor auch über seine erfolgreiche Tätigkeit als Offizier des OTS (Operativ-Technischer Sektor) des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) der DDR berichtet. Ich als langjähriger Mitarbeiter und zuletzt Leiter der Hauptverwaltung Aufklärung (HVA) des MfS der DDR kann der Schilderung der erfolgreichen Tätigkeit vom OTS des MfS nur zustimmen. War diese doch eine wesentliche Unterstützung unserer Aufklärungstätigkeit zum Beispiel in der BRD. Konnten wir doch etwa DDR-Bürger, die sich in unserem Auftrag mit Kundschaftern in der BRD trafen, mit diesen Dokumenten reisen lassen. Das geschah über all die Jahre unserer Tätigkeit ohne jegliche Pannen, deren Ursache das Personaldokument gewesen wäre. Natürlich haben auch wir die Tätigkeit des OTS wesentlich unterstützen können, indem wir zum Beispiel durch Kundschafter in der Bundesdruckerei die erforderlichen Unterlagen beschafften. Von großer Bedeutung war das beispielsweise zu dem Zeitpunkt, als die BRD den sogenannten fälschungssicheren Personalausweis einführte. Mit der Einführung dieses Dokuments waren wir tatsächlich in der Lage, unsere inoffiziellen Mitarbeiter damit auszustatten. Ich selbst habe das einmal praktiziert, indem ich mit einem solchen gefälschten Dokument nach Jugoslawien reiste und mich mit Kundschaftern aus der BRD traf. Damit entging ich der Kontrolle jugoslawischer Behörden, die sicher aktiv geworden wären, wenn ich, wie ansonsten üblich, mit DDR-Diplomatenpass gereist wäre. Aber nicht nur diese Passagen des Buches sind zum Lesen zu empfehlen, sondern das Buch insgesamt. Ich beglückwünsche Günter Pelzl erneut zu diesem Buch und danke dem Verlag für die Veröffentlichung.

Werner Großmann, per E-Mail

Zuerst erschienen in der “jungen Welt” vom 17.08.2020