Meinungskampf gegen Moskau – BND-Chef warnt vor russischen Angriffsplänen, muss aber zugeben, dass es keine Hinweise darauf gibt

Von Philip Tassev

Die russische Regierung plane einen Krieg gegen die NATO, behauptete BND-Präsident Bruno Kahl am Mittwoch abend bei einer Veranstaltung des auch von der Rüstungsindustrie finanzierten Thinktanks »Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik« (DPAG). Der Krieg in der Ukraine sei »aus der Sicht von Putin« kein Konflikt mit der Ukraine, sondern mit dem Westen. Die BRD als »zweitgrößter Unterstützer der Ukraine« sei »nach Auffassung Moskaus« eindeutig Partei. »Ob wir wollen oder nicht – wir stehen in einer direkten Auseinandersetzung mit Moskau«, gab der Chef des deutschen Auslandsgeheimdienstes zum besten. Im Grunde sind »wir« also schon im Krieg mit Russland, lautete die Botschaft. Ein »hybrider Krieg«, in dem russische Geheimdienste und ihre »Proxys« die »kritische Infrastruktur« des Westens angreifen würden.

Anlass der Veranstaltung war die Veröffentlichung eines neuen Buchs mit dem Titel »Putins Angriff auf Deutschland«, das aus der Feder des Geheimdienstlers und Diplomaten Arndt Freytag von Loringhoven stammt. Bemerkenswerterweise wurde in der knapp anderthalbstündigen »Podiumsdiskussion« nicht ein einziger konkreter Fall von russischer »Desinformation, Propaganda, Cyberattacken« genannt. Es blieb bei den hinlänglich bekannten Floskeln. Kahl musste sogar eingestehen, dass es überhaupt »keine Hinweise zu konkreten Kriegsabsichten Russlands« gibt, was ihn aber nicht daran hinderte, von einem möglicherweise zu erwartenden Austesten der Beistandsverpflichtung nach Artikel 5 des Nordatlantikvertrages von Seiten Moskaus zu fantasieren. Außerdem würde sich Russland in den »Meinungskampf« einmischen. Ob nun Covid, Klimakatastrophe, wirtschaftliche Probleme – immer würde Moskau versuchen, »gesellschaftliche Spaltungsprozesse, Dissoziationen anzuheizen«.

Nach dieser Logik ist dann auch jede vom NATO-Kurs abweichende Meinung nur ein Ergebnis russischer Wühlarbeit: Deutschland biete, anders als Polen und Finnland, einen »fruchtbaren Nährboden für russische Manipulation«, erklärte Freytag von Loringhoven – »Stichworte: Friedensbewegung, Russlandversteher«. Eine weitere Teilnehmerin der »Podiumsdiskussion«, die als Research Fellow der DGAP vorgestellte Katja Muñoz, machte die zunehmende Verwendung von »künstlicher Intelligenz« (KI) auf den Social-Media-Plattformen dafür verantwortlich, dass immer mehr Menschen das Vertrauen in ARD und ZDF verlieren.

Auf die Frage, wie der »Angriff gegen Deutschland« abgewehrt werden könne, antwortete Freytag von Loringhoven mit dem Vorschlag, eine staatliche Agentur einzurichten, »ähnlich wie das Gemeinsame Terrorabwehrzentrum« und, als »eines der allerwichtigsten Dinge«, die Regulierung von sozialen Plattformen, was er aber nicht als Zensur verstanden wissen wollte, sondern als das »Impfen der Bevölkerung« mit dem passenden Narrativ, um sie gegen gegnerische Kampagnen zu immunisieren. Des weiteren dürfe Politik nicht von »Eskalationsfurcht« bestimmt werden.

Muñoz sah die Lösung in einer »Art Frühwarnsystem« zur »Erkennung« und »präventiven Abwehr von konstruierten Narrativen«.

Ausgerechnet BND-Chef Kahl warnte an dieser Stelle, wenn Geheimdienste nicht mehr nur Nachrichten sammeln, sondern anfingen, Fake News zu kontern, würde sich die Frage nach einem »Wahrheitsministerium« stellen und »das weiß man auch nicht, ob man das haben will«. Außerdem gebe es ja schon die »AG Hybrid«, in der die verschiedenen Geheimdienste ihre Erkenntnisse über das, was sich auf dem »hybriden Schlachtfeld« tut, bündeln würden. Die Ausstattung des BND sei allerdings »immer verbesserungsfähig«. Er hoffe darauf, dass dort bei der nächsten Haushaltsaufstellung »das Erforderliche« geschieht.

Zuerst erschienen in der jungen Welt am 29.11.2024