NATO – Militarisierung und Expansion gegen den Feind im Osten

von Rainer Rupp

Angesichts der bevorstehenden Jubel-Feierlichkeiten zur vorgeblich friedlichen Wiedervereinigung Deutschlands ist es notwendig, an die Osterweiterung der NATO und damit an die NICHT-EINHALTUNG des damaligen NATO-Versprechens gegenüber der Sowjetunion zu erinnern.

Die Expansion von NATO und EU, zuerst in die ost- und südosteuropäischen Länder, begann schon ziemlich bald nach dem Zusammenbruch der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken (UdSSR) im Jahr 1991. Dann am 29. März 2004 folgte die Eingliederung der ehemals baltischen Sowjetrepubliken Estland, Lettland und Litauen als Vollmitglieder der NATO und wenige Tage später, am 1. Mai, wurden die drei auch Mitglieder der Europäischen Union.

Das Vorrücken der NATO in die ehemaligen Staaten des Warschauer Vertrags war Teil eines Vertrags- und Vertrauensbruchs der Amerikaner, eine Tatsache, die hierzulande von eifrigen Politikern und ihren Presstituierten längst im historischen Gedächtnisloch entsorgt worden ist. Tatsache ist, dass US-Außenminister James Baker seinerzeit den Vertretern des Kremls in die Hand versprochen hatte, dass in den Ländern Osteuropas keine NATO-Soldaten den Platz der abziehenden Roten Armee einnehmen würden.

Wie wir alle wissen, war dann schon bald das Gegenteil der Fall. Absprachen und Abkommen mit US-amerikanischen Regierungen sind seit deren Existenz das Papier nicht wert, auf dem sie stehen. Das hat angefangen mit dem amerikanischen Ureinwohner, die gutgläubig den Versprechungen Washingtons geglaubt haben. Als herausragende Beispiele des letzten Jahrzehnts haben wir u.a. das US-Nichtangriffsversprechen an Libyen, als Gaddafi im Gegenzug sein Atomprogramm einstellte oder noch aktueller, der von den USA unterschriebene und ratifizierte UN-Atomvertrag mit dem Iran, den die Trump-Regierung mit fadenscheinigen Begründungen einfach zerrissen hat und nun ihre NATO-Vasallen zu zwingen versucht, Washingtons Führung zu folgen.

Als Folge des gebrochenen Versprechens an die Sowjetunion stehen heute als Teil der NATO-Speerspitze wieder deutsche Panzer im Baltikum. Sie stehen dicht an der Grenze zu Russland, nur noch 160 Straßenkilometer von St. Peterburg entfernt. Die Urgroßväter der heutigen Bundeswehr-Panzerfahrer hatten damals als Teil der NAZI-Wehrmacht diese Stadt 3 Jahr belagert, um das sich tapfer verteidigende Leningrad, wie die Stadt damals hieß, auszuhungern. Unter täglichem Trommelfeuer und abgeschnitten von Lebensmitteln wurden damals eine Million Russen, hauptsächlich Zivilisten von deutscher Hand direkt oder indirekt getötet.

Dass nach diesem unvorstellbaren historischen Verbrechen der deutschen Wehrmacht, ausgerechnet St. Peterburg wieder von Panzern des Rechtsnachfolgers der Wehrmacht bedroht wird, ist nicht hinnehmbar.

Das ist eine Ungeheuerlichkeit, die niemand den CDU-Kriegstreibern und den US-Speichel leckenden Genossen der SPD durchgehen lassen darf. Ihre Mitläufer und Wähler müssen auf Schritt und Tritt in der Öffentlichkeit immer wieder an diesen Umstand erinnert werden. Das hat mit der angeblichen „NATO-Solidarität“, mit der die deutschen Panzer an den Grenzen Russlands rechtfertigt werden, nichts zu tun. Umso mehr hat es mit einem Minimum von Anstand gegenüber den Opfern von Leningrad zu tun, der einen deutschen Aufmarsch im Baltikum verbietet. Aber diesen Anstand sucht man in der Bundesregierung vergeblich.

Dem aggressiven Expansionstreiben der NATO-Un-Wertegemeinschaft haben die Russen lange tatenlos zuschauen müssen. Ihr Land war in der Regierungszeit von Boris Jelzin mit Hilfe westlicher Berater und lokaler US- und NATO-Marionetten mit marktwirtschaftlichen „Schocktherapien“ in den ökonomischen Ruin und ins gesellschaftliche Chaos getrieben worden.

Russland wurde auf eine Art und Weise neo-liberal umgebaut, wie es in der Welt nichts Vergleichbares gegeben hat. Mit allen Folgen: Sinkend Lebenserwartung, ausbleibende Rentenzahlungen, Wohnungsnot, unglaubliche Armut, extreme Spaltung der Gesellschaft, blühende Kriminalität mit riesigen Privatarmeen der Oligarchen, usw.

Das war Jelzins „demokratisches Russland“, an das sich westliche Politiker und ihre Presstituierten in den Medien heute wehmütig zurückerinnern. Kein Wunder, denn damals konnten sich die großen Westkonzerne im hoch kriminellen und korrupten „Wilde Osten“, wie in einem Selbstbedienungsladen an den Reichtümern Russlands nach Belieben bedienen – von Rohstoffen bis hin zu wissenschaftlichen Patenten.

Zeitgleich fand die Expansion von EU und NATO nach Osteuropa unaufhaltsam und ziemlich problemlos statt.

Viel zu gutgläubig erlag die Masse der Bevölkerung dieser Länder den Versprechungen ihrer korrupten und neo-liberal angepassten Politikern und Medien und deren westlichen Beratern.

Groß, sehr groß war die Hoffnung der Leute, umgehend im Konsum-Paradies des Goldenen Westen anzukommen, aber zugleich glaubten sie, sie könnten den sicheren Arbeitsplatz und die anderen sozialistischen Errungenschaften behalten.

Stattdessen hat die neo-liberale Umwandlung aus Osteuropa ein Armenhaus gemacht, wo ein guter Teil der Bevölkerung für Billiglöhne im fernen Westen arbeiten muss, um die Familien zu Hause durchzubringen. Aber das ist eine andere Geschichte.

Wie bereits erwähnt, die NATO-Expansion machte nicht an den Grenzen zur ehemaligen Sowjetunion halt, sondern schloss die ehemals baltischen Sowjetrepubliken Estland, Lettland und Litauen mit ein. Aber damit nicht genug, auf Druck Washingtons sollten auch Georgien und die Ukraine Mitglied werden.

Im Fall Georgiens z.B. begannen die Vorbereitungen darauf bereits unmittelbar nach der Auflösung der Sowjetunion: Bereits im Jahr 1992 wurde Georgien in den Nord Atlantischen Kooperationsrat der NATO aufgenommen, zwei Jahre später 1994 unterzeichnete Tiflis Die NATO-„Partnerschaft für den Frieden“ (welch ein Hohn dieser Name ist!). Dem folgten weitere Abkommen, in denen das Land immer enger an die NATO gebunden wurde. Dazu gehörte auch die Anwesenheit von Soldaten aus vielen NATO-Ländern und aus Israel im Rahmen des “Status of Forces Agreement“ (Truppenstationierungsabkommen) vom Juli 2008.

Mit so viel militärischer Unterstützung der NATO erlag der damalige Präsident Georgiens, der zuvor 5 Jahre zuvor aus den USA reimportierte Mikheil Saakashvili, den Einflüsterungen von Abenteurern aus dem US-Kongress, der CIA und dem Pentagon, in Süd-Ossetien und in Abchasien gegen russische Truppen vorzugehen, die dort im Rahmen des von der OSZE vermittelten Waffenstillstands seit einiger Zeit erfolgreich militärische Vorstöße der Georgier verhindert und den Frieden gesichert hatten.

Der Rest ist aus der jüngeren Geschichte bekannt. Dem georgischen Angriff auf die russischen Friedenstruppen folgte ein brutaler, nächtlicher Artillerieüberfall auf die schlafenden Bürger der südossetischen Hauptstadt Zingvali. Aber außer diesem Kriegsverbrechen gegen die Zivilbevölkerung konnte die glorreiche georgische Armee, die von NATO-Soldaten in neuen Taktiken geschult und mit modernen Waffen aufgerüstet worden war, keine weiteren „Erfolge“ verbuchen. Stattdessen endete das georgische Militärabenteuer bereits nach wenigen Tagen in einer vernichtenden Niederlage. Zum großen Entsetzen der russophoben NATO-Marionetten in Tiflis war die erhoffte US-NATO Militärintervention ausgeblieben. Seitdem bemühen sich die Presstituierten am Hof des Hegemons in Washington und ihre eingebetteten Ableger bei den westlichen Vasallen-Regierungen die Geschichte umzuschreiben und die georgische Niederlage als Resultat einer schändlichen, russischen Aggression darzustellen; als einen mahnenden Beweis für Russlands Expansionsgelüste. Da schreit der Dieb wieder „Haltet den Dieb“.

In ähnlich unverfrorener Heuchelei wirft der so genannte „Wertewesten“ auch Russland die Missachtung des Völkerrechts auf der Krim, in der Ost-Ukraine und in Syrien vor. Tatsächlich ist es aber die westliche Aggressionsgemeinschaft, die das Völkerecht ständig mit Füßen tritt, ob mit ihrem verbrecherischem, verdecktem Krieg gegen die rechtmäßige Regierung in Syrien oder mit der Orchestrierung und massiven finanziellen und politischen Unterstützung des blutigen Putsches gegen den rechtmäßigen Präsidenten der Ukraine.

Im Unterschied zum Westen operiert Russland in Syrien auf Bitte der rechtmäßigen Regierung mit seiner Militärhilfe völkerrechtskonform! Dabei hat das russische Militär die Operationsfreiheit der imperialistischen Streitkräfte der USA und ihrer NATO- und nicht-NATO-Vasallen in Syrien am Boden, vor der Küste und in der Luft sehr stark beschnitten und auf wenige Regionen reduziert.

Für die in Einklang mit der Volksabstimmung vollzogene Aufnahme der Krim in die russische Föderation und für sein Eingreifen in Syrien wird Russland seit 2014 auf Weisung des Regimes in Washington von den NATO- und EU-Ländern von Jahr zu Jahr mit schärferen, wirtschaftlichen Sanktionen belegt. Die „liberalen“ Westeliten geben vor, Russland wegen seiner angeblichen „Verstöße“ gegen das Völkerrecht so lange bestrafen zu wollen, bis es die Krim wieder zurückgibt. Tatsächlich aber haben die Sanktionen einen anderen Grund. Die westlichen Eliten sind nämlich zutiefst darüber verärgert, dass Moskau sowohl in Syrien als auch in der Ukraine ihrer kriminellen „Neuen Weltordnung“ einen dicken Knüppel ins Räderwerk geworfen hat und die imperiale Überheblichkeit der westlichen Eliten in Schranken gewiesen hat.

Auch die russischen Bemühungen um die Respektierung internationalen Rechts und die Erfolge der russischen Diplomatie für friedliche Lösungen im Nahen- und Mittleren Osten werden von den Westeliten überhaupt nicht gerne gesehen. Mit jedem Tag, an dem das Ansehen Russlands in der Welt wächst, steigt deshalb die Wut der westlichen Eliten auf Russland. Mit jedem Tag, wo trotz aller West-Sanktionen die Russen neue Wege finden, damit ihre Wirtschaft weiter wächst, wächst auch die ohnmächtige Wut der Westeliten und ihrer Presstituierten auf Präsident Putin, der bei ihnen bereits zur Personifizierung des Bösen geworden ist. 2016 z.B. erklärte die US-Präsidentschaftskandidaten Hillary Clinton Putin sogar zum „neuen Hitler“.

Zugleich macht Russland gemeinsam mit China und anderen Ländern Fortschritte bei der Ent-Dollarisierung des internationalen Handels. Und mit jedem Tag, an dem Russland und China ihre Unabhängigkeit von US-kontrollierten Finanz- und Überweisungssystemen, wie z.B. SWIFT verbessern, schwinden die westlichen Möglichkeiten, Russland und China mit Sanktionen ernsthaft zu schaden.

Als Zwischenbilanz können wir zusammenfassen: Je mehr Russland an Ansehen in der Welt gewinnt, desto mehr schwindet der Einfluss der neoliberalen Eliten des Westens. Russland ist durch die Wiederherstellung seiner nationalen Souveränität zur Anti-These der neo-liberalen Globalisierung und somit – neben China – zum Hauptfeind des liberalen Westens geworden.

Diese Entwicklung hatte bereits unter Präsident Obama begonnenen, der versucht hatte, mit dem Aufbau einer militärischer Drohkulisse der NATO an Russlands Westgrenzen die Russen einzuschüchtern. Aber damit hatte er ebenso wenig Erfolg gehabt, wie es seither dem Westen gelungen ist, Russland mit Wirtschaftssanktionen in die Knie zu zwingen. Zugleich hat der inzwischen irrational-ideologisch gewordene westliche Druck auf Moskau die gute Zusammenarbeit zwischen Russland und China noch zusätzlich verstärkt.

Inzwischen arbeitet Moskau und Peking im Rahmen von beidseitigen Regierungsverträgen entlang des ganzen Spektrums von wirtschaftlichen, wissenschaftlich-technologischen, militärischen und politischen Gebieten eng zusammen. Und Moskau wäre verrückt, wenn es den verlässlichen Partner China gegen die hinterhältigen, Verbrecher-Eliten des Westens austauschen wollte.

Tatsächlich gibt es bereits seit Jahren in den USA und auch innerhalb des exklusiven Kreises der transatlantischen, neo-liberalen Eliten mit Blick auf Russland zwei Fraktionen. Eine möchte mit Kooperation und sanftem Druck Moskau erneut für ihre westliche Weltordnung gewinnen. Diese Fraktion, die in China die einzig wirklich große Gefahr für die globalen US-Pläne sieht, würde gerne Russland auf dem eurasischen Kontinent als starkes Gegengewicht zu Peking aufbauen. Vor allem Präsident Trump, der mit seinem Amtsantritt der neo-liberalen Globalisierung den Kampf angesagt hatte, hatte hat sich von Anfang an für engere und gute Beziehungen mit Russland eingesetzt. Das ist jedoch von der Fraktion der neoliberalen Kriegstreiber, mit denen auch Trumps Beraterstab durchsetzt ist, bisher verhindert worden.

In der Fraktion der neo-liberalen Eliten sieht man allein in der Existenz Russlands bereits eine Gefahr für den Fortbestand der US-Weltherrschaft. Mit seinem selbstbewusstem Auftreten bei der Verteidigung des Internationalen Rechts hat Russland weltweit großes Ansehen gewonnen. Auch die Tatsache, dass Russland mit seinem politischem und ökonomischem System seine kulturelle Unabhängigkeit und politische und wirtschaftliche Souveränität gegen den neo-liberalen Westen erfolgreich verteidigt hat, wird von vielen Ländern zunehmend bewundert, denen die aufgezwungene, US-geführte, neoliberale Weltordnung zum Verhängnis geworden ist. Für diese Länder stellen sowohl Russland als auch China eine echte Alternative dar, vor allem wenn Moskau und Peking gemeinsam auf der Weltbühne auftreten, wie das inzwischen schon die Regel ist.

Arthur Schlesinger warnte seinerzeit als Berater von John F. Kennedys den damaligen US-Präsidenten, dass allein schon die Existenz eines sozialistischen Kubas eine tödliche Bedrohung der US-Interessen in ganz Latein-Amerika sei. Denn dadurch würden in den anderen Ländern der Hemisphäre linke gesellschaftliche Entwicklungen begünstigt, die dann kaum noch einzudämmen wären. Ähnlich sehen die liberalen „Eliten“ in den USA und Europa allein in der Existenz eines souveränen und angesehenen Russlands eine Alternative zu ihrem neoliberalen Geschäftsmodel der „Neuen Weltordnung“. Dieses Modell ist zwar für die Eliten hoch profitabel, aber die Völker stürzt es ins Elend. Ebenso wie Kuba sind daher Russland und China als funktionierende Alternativen zur so genannten „Liberalen Ordnung“ für Washington und seine Vasallen nicht akzeptabel.

Um zumindest Russland aus der strategischen Gleichung zu entfernen, will das Oligarchenregime in Washingtoner mit Wirtschaftssanktionen, mit Aufrüstung, mit Kündigung von Rüstungskontrollverträgen, mit offensiven Manövern und Kriegsdrohungen Moskau in die Knie und auf die westliche Linie zwingen, um sich dann besser das allein stehende China vornehmen zu können.

Das hat jüngst der Außenminister des Imperium Americana Mike Pompeo in einer Grundsatzrede am 23. Juli dieses Jahres wieder deutlich gemacht. Unter dem Titel „Das kommunistische China und die Zukunft der Freien Welt“ hat er in seiner Hunnenrede die europäischen US-Vasallen nicht nur aufgefordert, sich Washingtons rabiater, konfrontativer Haltung gegenüber China anzuschließen, sondern auch die EU-Sanktionen gegen Russland beizubehalten und sich zudem an die US-Sanktionen gegen die neue North Stream 2 Gas-Pipeline zu halten.

Am Ende seiner Rede wurde Pompeo die Frage gestellt, ob „die aktuelle Situation in Russland für die Vereinigten Staaten die Gelegenheit bietet, Moskau dazu zu bringen sich in den Kampf zu stürzen und unerbittlich ehrlich mit der Kommunistischen Partei Chinas umzugehen?”

Darauf antwortete den Pompeo: “Also ich denke, es gibt diese Gelegenheit. … Es gibt Sachen, an denen wir mit Russland zusammenarbeiten müssen. Heute – oder morgen, denke ich, werden unsere Teams (in Wien) vor Ort sein, um mit den Russen an einem strategischen Dialog zu arbeiten, um hoffentlich die nächste Generation von Rüstungskontrollabkommen zu schaffen, wie es (der ehemalige US-Präsident) Reagan getan hat. Das liegt in unserem Interesse, das liegt im Interesse Russlands. Wir haben die Chinesen gebeten, daran teilzunehmen. Sie haben sich bis heute zurückgelehnt. Wir hoffen, dass sie ihre Meinung ändern werden.”

Was hier vor sich geht, hat mit Pompeos Sorge um den “Weltfrieden” nichts zu tun, auch wenn der Heuchler den Begriff immer wieder bemühte. Vielmehr wird hier deutlich, dass Washington versucht, den Kreml mit einem neuen strategischen Nuklearabkommen zu locken, um damit Russland auf seine Seite zu ziehen und gemeinsam mit dem Kreml den Ausbau von China strategischen Kräften einzudämmen. Das dürfte einer der Gründe für die Ambivalenz der Trump-Administration bei der Verlängerung des neuen START-Abkommens mit Moskau sein. Washington scheint bewusst mit der Drohung eines neuen globalen Wettrüstens zu spielen, um dadurch vor allem Druck auf Moskau aber auch auf Peking auszuüben.

Mit dem Verweis, dass China daran interessiert ist, mit den Amerikanern und Russen über ein neues START-Abkommen zur Begrenzung der strategischen Nuklearwaffen zu verhandeln, versucht Mike Pompeo den Chinesen den Schwarzen Peter unterzuschieben und die Peking als Gefahr für den Weltfrieden hinzustellen. Wenn Pompeo jedoch den Mund auftut, sollte man sich daran erinnern, dass er am 15. April 2019 als Ehrengast der University in College Station in Texas vor Studenten, der geprahlt hat, dass man ihm bei der CIA beigebracht hatte, „zu lügen, zu betrügen und zu stehlen“.

Von diesem reichen CIA-Erfahrungsschatz hat Pompeo auch hier wieder Gebrauch gemacht, denn die strategischen Nuklearkapazitäten Chinas, egal ob man Sprengköpfe oder Trägersysteme zählt, machen nur einen kleinen Bruchteil der Kapazitäten der USA oder Russlands aus. Das heißt aber, um als gleichberechtigter Partner an neuen START-Gesprächen mit zwischen Moskau und Washington teilnehmen zu können, müssten Peking zuerst einmal ein gigantisches Aufrüstungsprogramm umsetzen, woran es aber auf Grund seiner eigenen Nukleardoktrin bisher wenig Interesse gezeigt hat. Ein kleine, aber glaubwürdige Abschreckung genügt den Chinesen, eine Doktrin, über die anscheinend auch in Russland vermehrt nachgedacht wird.

Auch die Russen haben sich von den Drohgebärden und dem sich zunehmend gefährlich gebärdenden Aufplustern Washingtons der letzten Jahre unbeeindruckt gezeigt und sich auf das von Washington gesuchte Wettrüsten nicht eingelassen. Die russische Führung hat von dem Fehler der Sowjetunion gelernt. Stattdessen haben sie mit gezielten, bahnbrechenden militärischen Innovationen mit relativ geringen finanziellen Mitteln eine glaubhafte, konventionelle und nukleare Abschreckung gegen die Aggressor-Nationen USA und ihre NATO-Vasallen aufgebaut.

Brandgefährlich ist, dass viele in der Fraktion der US-Kriegsfalken immer noch in ihrer von Hybris geprägten Gedankenwelt von Gestern leben, in denen die USA nach der Auflösung der Sowjetunion als einzige Supermacht global uneingeschränkt schalten und walten konnten. Etliche dieser US-„Eliten“ scheinen nicht einmal abgeneigt, einen auf konventionelle Waffen beschränkten Krieg gegen Russland zu führen. Darauf zumindest lassen die Szenarien ihrer Militärmanöver schließen. Einige schwadronieren sogar davon, dass Russland in einem großen und langen Krieg mit Hilfe der NATO sicher besiegt würde. Dabei müsste Westeuropa allerdings den Großteil der Bodentruppen, bzw. des Kanonenfutters stellen. In diesen Szenarien wären am Ende Europa und Russland mitsamt ihren Industrien, Städten und Infrastruktur weitgehend zerstört. Aber die USA kämen weitgehend ungeschoren davon. So hätte Washington zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen und könnte sich dann gelassen dem Konkurrenten China widmen.

Zum Glück gehen rationalere Kriegssimulationen wie die der berühmt-berüchtigten RAND-Corp seit einigen Jahren davon aus, dass zumindest in der ersten Phase eines bewaffneten Konflikt zwischen Russland und der NATO im Baltikum die Truppen der West-Alliierten in kurzer Zeit eine vernichtende Niederlage erleiden würden. Ob die Regierungen NATO-Europas danach bereit wären, zur Unterstützung von Washingtons langem Krieg gegen Russland die totale Zerstörung ihrer Länder in Kauf zu nehmen, ist eine andere Frage.

Wie bereits erwähnt, gehört Präsident Trump angeblich der US-Fraktion an, der eine gemeinsame russisch-amerikanische Front gegen die aufstrebende Supermacht China vorschwebte. Zur Erinnerung: Trump hatte als entschiedener Gegner der neoliberalen Globalisierungs-Eliten schon in seinen Wahlkampfreden ein gutes Verhältnis zu Russland und zu Präsident Putin zum Ziel seiner Ostpolitik erklärt. Die Vorstellung jedoch, dass Trump und Putin, beide erklärte Gegner der „liberalen Weltordnung“, zusammenfinden könnten, war ein Alptraum für den Morast des Tiefen Staates in Washington, den Trump bekanntlich versprochen hatte, trocken zu legen. Das dürfte auch der Grund dafür sein, dass das gesamte US-Establishment parteiübergreifend mit vielen unsauberen und teils kriminellen Tricks im Rahmen des „Russia Gate“ Skandals eine Zusammenarbeit zwischen der US-amerikanischen und russischen Führung erfolgreich verhindert hat.

Andererseits sind aber auch die Falken in Washington mit ihren Bemühungen, im Mittleren Osten neue Kriege anzufangen, z.B. gegen Iran, Dank Trump letztlich nicht weitergekommen. Auch gegen Russland ist es ihnen trotz US- und NATO Militäraufmärschen in Osteuropa auf Grund von Trumps Widerstand nicht gelungen, eine wirkliche Angst einflößende Drohkulisse aufzubauen. Und man stellt auch fest, dass die russische Diplomatie oft scharf die US-Provokationen verurteilt und die Kriegstreiber wie US-Außenminister Pompeo bei Namen nennt, aber in diesem Zusammenhang nie den Namen von Präsident Trump benutzt.

Zugleich hat sich unter Führung des neuen ukrainischen Präsidenten Wolodimir Selenskij im Rahmen des sogenannten Normandie-Formats zusammen mit Deutschland und Frankreich, unter Ausschluss von Washington, eine Entspannung zwischen Moskau und Kiew angebahnt. Ähnlich Entspannungsbemühungen kann man inzwischen in Estland beobachten, wo die Regierung ihren früheren, rabiat anti-russischen Kurs zurückgefahren hat.

Die Entscheidung Estlands, den russischen Bären nicht weiter bis aufs Blut zu provozieren, dürfte mit der Erkenntnis zu tun haben, dass im Ernstfall der weithin proklamierte Schutz der US-NATO sich ähnlich wie in Georgien als Fata Morgana erweisen würde. Dies zumindest haben die Kriegs-Simulationen von US-Think Tanks, die eng mit dem Pentagon zusammenarbeiten, mehr als deutlich gemacht.

So kommt z.B. eine entsprechende Studie der US-Airforce nahen Denkfabrik „RAND“ aus dem Jahr 2016 zu dem Schluss, dass bei einem Konflikt im Baltikum die US/NATO Kräfte innerhalb von 3 Tagen eine vernichtende Niederlage erleiden würden. Man habe alle Optionen der eigenen Kräfte durchgespielt, das Endergebnis sei das Gleiche geblieben, so die Verfasser der Rand-Studie.

Trotz erheblicher Aufstockung von US-NATO-Militär im Baltikum kann die NATO allein aus logistischen Gründen niemals auf Dauer dort die Stärke erreichen, die Russland in kürzester Zeit in Stellung bringen könnte.

Erschwerend für die NATO-Strategen kommt hinzu, dass die RAND-Kriegssimulationen bereits in den Jahren 2014-2015 durchgespielt wurden, wobei damals natürlich die US-Luftüberlegenheit über dem Kriegsschauplatz angenommen wurde. Angesichts der Erfahrungen in Syrien mit den spektakulären Fähigkeiten der russischen Luftabwehr und elektronischen Kriegsführung in Bezug auf A2/AD (Anti-Access/Area Denial) sowie der neuen Präzisionswaffen würde eine neue RAND-Studie sicherlich zu einer noch verheerenderen Niederlage der NATO-Kräfte kommen.

Übrigens, hinter dem Kürzel A2/AD (Anti-Access/Area Denial) verbirgt sich die Fähigkeit der russischen Streitkräfte, gegnerischen Einheiten zu Lande, zu Wasser und in der Luft den Zugang und oder die Nutzung eines bestimmten Gebietes und dessen Luftraums bei Strafe ihrer Zerstörung zu verweigern.

Diese neuen Fähigkeiten Russlands hat RAND sicherlich dazu gebracht, in einer neuen Studie aus dem Jahre 2019 mit dem Titel „Overextending and Unbalancing Russia“ (Russland überdehnen und aus dem Gleichgewicht bringen), nicht militärische Wege vorzuschlagen, um Russland doch aus dem Gleichgewicht zu bringen und vor der „liberalen Weltordnung“ in die Knie zu zwingen. In über 350 Seiten umfassenden Studie wird ein ganzes Spektrum von Maßnahmen der asymmetrischen Kriegsführung entwickelt, um Russland auf nicht militärische Weise zu zerstören.

Die Rand Corporation ist der einflussreichste Think Tank in den USA. Mit Tausenden von Experten präsentiert sich Rand als weltweit zuverlässigste Quelle für Geheimdienste und politische Analysen für die Führer der Vereinigten Staaten und ihre Verbündeten.

Die Rand Corp ist stolz auf ihren maßgeblichen Beitrag bei der Ausarbeitung der langfristigen militärischen und militärpolitischen Strategie der USA in der Vergangenheit beigetragen zu haben. Es waren berühmte und politisch bestens vernetzte Persönlichkeiten von Rand, die die Regierungen in Washington Ende der 1970er, Anfang der 1980er Jahre darauf eingeschworen hatten, in der strategischen Konfrontation Russland durch ein Wettrüsten in eine Sachgasse zu zwingen, in denen der Kreml seine begrenzten wirtschaftlichen und technologischen Ressourcen für militärische Zwecke überdehnten und die zivile Versorgung und Infrastruktur das Nachsehen hatte. Das Kalte Kriegsmodell, “die Sowjetunion tot zu rüsten“, hat auch für den neuen RAND Pate gestanden.

Hier seien nur einige Vorschläge aus der neuen Studie der Rand-Analysten erwähnt, denen auf den 350 Seiten der Studie eine noch längere Liste von Empfehlungen folgt, wie Russland ohne Krieg zerstört werden könnte:

– Das Wohlergehen der russischen Wirtschaft und Gesellschaft sei besonders stark abhängig von ihren Öl- und Gasexporten. Die russischen Einnahmen aus diesen Exporten können durch Verschärfung der US- und West-Sanktionen und durch die Erhöhung der Energieexporte der Vereinigten Staaten nach Europa verringert werden. Ziel ist es, Europa zu verpflichten, den Import von russischem Erdgas zu verringern und durch Flüssiggas zu ersetzen, das aus anderen Ländern auf dem Seeweg transportiert wird. – Genau diesen Punkt aus den Rand-Empfehlungen versucht Pompeo jetzt durchzusetzen.

– Im geopolitischen Bereich würde eine Aufrüstung der Ukraine es den USA ermöglichen, den zentralen Punkt der außenpolitischen Verwundbarkeit Russlands auszunutzen. Dies müsste jedoch sorgfältig kalkuliert werden, um Russland unter Druck zu halten, ohne in einen größeren Konflikt zu geraten, den es gewinnen würde.

– Wie nicht anders zu erwarten empfahl RAND auch das Verlassen des INF-Vertrags und der Stationierung neuer US-Mittelstreckenraketen in Europa, die auf Russland gerichtet sind. Mit hoher Wahrscheinlichkeit würde dies Russland erfolgreich unter Druck setzen, aber es würde auch die Risiken einer Konfrontation mit Russland erhöhen. Der INF-Vertrag ist inzwischen gekündigt, die neuen Raketen sind noch nicht stationiert aber das Regime in Washington hat sich für ein „erhöhtes Risiko einer Konfrontation mit Russland“ entschieden

Wenn man diese Option jedoch „richtig kalibriert“, um den gewünschten Effekt zu erzielen – so erklären die Rand-Analysten weiter – würde Russland am Ende den höchsten Preis für eine Konfrontation zahlen. Aber die USA müssten auch enorme Ressourcen investieren, eine Feststellung, welche die Notwendigkeit einer weiteren Erhöhungen der Rüstungsausgaben der USA und der NATO-Länder erforderlich macht. Dass dies auf Kosten der Sozial- und Bildungsausgaben gehen wird, spielt für die Rand-Strategen keine Rolle.

Die lange Liste der Empfehlungen, wie Russland ohne Krieg zerstört werden könnte, schließt selbstverständlich auch Einflussnahme auf russische Minderheiten und oppositionelle Gruppen mit ein, um Ressentiments zu schüren und gesellschaftliche Spaltpilze zu züchten.

Ende letzten Jahres meldete sich in den USA auch wieder die Trump nahe Fraktion zu Wort, die Russland nicht weiter in die Ecke treiben will. Sie will auch nicht einmal mehr versuchen Russland für die US-geführte Weltordnung zurückzugewinnen. Es geht ihr nur noch darum, -man höre und staune – unter Anerkennung und Berücksichtigung von Russlands nationalen Sicherheits- und Wirtschaftsinteressen mit Moskau „in eine friedliche Konkurrenz einzutreten“. Dafür werden zwei Gründe genannt:

– erstens die Gefahr eines Nuklearkrieges zu verringern und

– zweitens den Aufstieg Chinas zur Supermacht „zu managen“.

Das ist z.B. der Tenor des Aufsatzes von Thomas Graham in der November-Dezember Ausgabe 2019 der politisch sehr einflussreichen US-Zeitschrift „Foreign Affairs“ mit dem Titel: „Let Russia be Russia“ („Lasst Russland Russland sein“, was so viel bedeutet wie: Akzeptiert Russland einfach so wie es ist“).Der Untertitel lautete: „Argumente für eine pragmatischere Annäherung an Moskau“. https://www.foreignaffairs.com/articles/russia-fsu/2019-10-15/let-russia-be-russia

Hier einige Auszüge:

„Seit dem Ende des Kalten Krieges hat jeder US-Präsident sein Amt mit dem Versprechen angetreten, bessere Beziehungen zu Russland aufzubauen – und jedes Mal hat sich diese Vision in Luft auflöste. Die ersten drei – Bill Clinton, George W. Bush und Barack Obama – wollten Russland in die euro-atlantische Gemeinschaft integrieren und es zu einem Partner beim Aufbau einer globalen liberalen Ordnung machen. Jeder verließ sein Amt mit Beziehungen zu Russland in einer noch schlechteren Verfassung als zuvor, also mit einer noch größeren Entfernung zu Russland.“

„Präsident Donald Trump versprach, eine enge Partnerschaft mit Wladimir Putin aufzubauen. Seine Mitarbeiter in der Regierung haben jedoch den konfrontativeren Ansatz, den die Obama-Regierung nach der Aggression Russlands gegen die Ukraine im Jahr 2014 eingeschlagen hatte, nur noch verschärft. Aber Russland ist weiterhin in der Ukraine verankert, stellt sich den USA in Europa und im Nahen Osten mit zunehmender Kühnheit entgegen und mischt sich weiterhin in die US-Wahlen ein. Mit der Verschlechterung der Beziehungen ist das Risiko eines militärischen Konflikts gestiegen.“

„Ob versöhnlich oder konfrontativ, die US-Politik aller vier US-Regierungen ist gescheitert, weil sie auf der zählebigen Illusion beruhte: dass man mit der ‚richtigen“ US-Strategie Russland schon dazu bringen könnte, seine eigenen Interessen durch die Brille der Amerikaner zu sehen und Russland so sein Weltbild entsprechend grundlegend verändert. … Aber die Annahme, dass ein aggressiverer Ansatz Russland dazu zwingen könnte, seine lebenswichtigen Interessen aufzugeben und … der Gemeinschaft liberaler demokratischer Nationen beizutreten, waren falsch. …. Denn beide Länder vertreten zutiefst unterschiedliche Konzepte der Weltordnung. In regionalen Konflikten wie in Syrien und der Ukraine verfolgen sie gegensätzliche Ziele …. und die Gefahr eines militärischen Konfliktes ist größer geworden.“

Weiter heißt es in dem Aufsatz, dass „die Ausgrenzung Russlands wenig bewirken und sich wahrscheinlich als kontraproduktiv erweisen wird“. Zumal Russland weiterhin „eine Schlüsselrolle in der globalen Arena spielen“ werde. Die „Zusammenarbeit mit Russland“ sei daher „für die Bewältigung kritischer, globaler Herausforderungen von entscheidender Bedeutung“. Denn bei strategischen und wirtschaftlichen Fragen verlange – mit Ausnahme von China – in Washington „kein anderes Land mehr Aufmerksamkeit als Russland. Und kein anderes Land ist in der Lage, die Vereinigten Staaten in 30 Minuten zu zerstören.“

Daher kommt der Aufsatz in Foreign Affairs zum Schluss, dass „eine ausgewogenere Strategie des kontrollierten Wettbewerbs“ zwischen Russland und den USA „nicht nur das Risiko eines Atomkrieges verringern, sondern auch den Rahmen für die Zusammenarbeit zur Bewältigung der globalen Herausforderungen schaffen“ würde. Zugleich könnten „intelligentere Beziehungen zu Russland dazu beitragen, die europäische Sicherheit und strategische Stabilität zu gewährleisten“ und nicht zuletzt „ein bisschen Ordnung in den Nahen Osten bringen und den Aufstieg Chinas managen“. Wenn daher die US-Politik möchte, dass Russland sein Verhalten moderiert, dann müssten die USA auch bereit sein, ihre Ziele in der Ukraine zurückzufahren, um eine produktivere Beziehung zu Moskau aufzubauen“, argumentiert Thomas Graham in Foreign Affairs.

Der Autor Graham steht mit seiner Erkenntnis, dass die westliche Politik, speziell die US-Politik, gegenüber Russland dringend zum Realismus zurückkehren muss, noch ziemlich allein da. Denn der Konsens der transatlantischen Eliten besteht nach wie darin, die russische Regierung, und vor allem Präsident Putin, zu destabilisieren.

Als Ende Juni 2019 Putin in einem Interview mit der Financial Times in Bezug auf Masseneinwanderung und Multikulti sagte, dass die Zeit des modernen Liberalismus vorbei sei, erntet er daher den ganzen Hass der westlichen Presstituierten. Wörtlich hatte Putin gesagte:

„Die liberale Idee ist also überholt. Sie ist in Konflikt mit den Interessen der überwiegenden Mehrheit der Bevölkerung geraten. …. Ihre Befürworter tun nichts. Sie sagen (der Bevölkerung), dass alles in Ordnung ist, dass alles so ist, wie es sein sollte. Aber ist es das? Sie sitzen in ihren gemütlichen Büros, während die anderen sich täglich dem Problem stellen müssen.“

Die Verteidiger des liberalen Wertewesten liefen Sturm. Sie machten ein wahres Schlammfest daraus, den angeblich „blutigen, russischen Diktator“ zu verleumden, herabzuwürdigen und zu verunglimpfen. Schließlich weiß doch jedes Kind, dass Putin an allem Schuld ist, an den US-Kriegen in Syrien, Libyen, Irak und Afghanistan, an der Destabilisierung Europas, an den Gelben Weste in Frankreich, an Brexit, an der AfD in Deutschland, an der Wahl Trumps zum Präsidenten. Nur am Klima ist Putin bisher noch nicht schuld.

Aber dennoch hat der russische Präsident kürzlich gänzlich unerwartet von einer der höchsten politischen Instanzen Westeuropas Schützenhilfe bekommen, nämlich von Präsident Macron höchstpersönlich, der in einer Grundsatzrede vor den höchsten Vertretern der französischen Diplomatie über das Ende der westlichen Hegemonie und von den Erfolgen Russlands sprach.

Hier einige Auszüge aus dieser sensationellen Rede, die in unseren Mainstreammedien geflissentlich übersehen, bzw. nicht weiter thematisiert wurde: 

„Die internationale Ordnung wird auf beispiellose Weise durchbrochen, mit massiven Umwälzungen, wahrscheinlich zum ersten Mal in unserer Geschichte, in fast allen Bereichen und in historischem Maßstab. Wir sehen vor allem eine Transformation, eine geopolitische und strategische Neukonfiguration. Wir sind wahrscheinlich dabei, das Ende der westlichen Hegemonie auf der Welt zu erleben. Wir waren an eine internationale Ordnung gewöhnt, die seit dem 18. Jahrhundert auf der westlichen Hegemonie beruhte.“

 …   „Die Dinge ändern sich. Und sie wurden zutiefst erschüttert von den Fehlern des Westens in bestimmten Krisen, von amerikanischen Entscheidungen in den letzten Jahren, die nicht mit dieser (Trump-)US-Regierung begannen. Sie (diese Entscheidungen) haben uns veranlasst, bestimmte Konflikte im Nahen Osten und anderswo erneut zu untersuchen, und grundlegende diplomatische und militärische Strategien und gelegentlich Elemente der Solidarität zu überdenken, von denen wir dachten, dass sie für immer unveräußerlich sind … Und es ist auch die Entstehung neuer Mächte, deren Auswirkungen wir wahrscheinlich viel zu lange unterschätzt haben; China in erster Linie, aber es muss auch gesagt werden, dazu gehört auch die Strategie, die Russlands in den letzten Jahren mit größerem Erfolg verfolgt hat. Ich komme darauf noch zurück.“

„Wir sind ein Teil Europas. So ist Russland. Und wenn wir mit Russland zu keinem Zeitpunkt etwas Konstruktives erreichen können, dann bleiben wir in einem Zustand zutiefst unproduktiver Spannungen. Wir werden weiterhin in Konflikten in ganz Europa stecken bleiben. Europa wird weiterhin Schauplatz eines strategischen Kampfes zwischen den Vereinigten Staaten und Russland sein, wobei die Folgen des Kalten Krieges noch immer auf unserem Boden sichtbar sind. Und wir werden nicht den Grundstein für die tiefgreifende Wiederherstellung der europäischen Zivilisation legen, die ich zuvor erwähnt habe. Weil wir das nicht können, ohne unsere (derzeitigen) Beziehung zu Russland gründlich zu überdenken.“

„Ich denke auch, dass es ein großer strategischer Fehler ist, Russland von Europa zu verdrängen, weil wir es entweder in Richtung Isolation treiben, was die Spannungen verschärft, oder in Richtung Bündnisse mit anderen Großmächten wie China, was überhaupt nicht in unserem Interesse wäre.  …..

Zugleich muss gesagt werden, dass unsere Beziehungen auf Misstrauen beruhen, und dass Gründe dafür dokumentiert sind. … Cyber-Angriffe, die Destabilisierung von Demokratien….

„Es liegt auch nicht in unserem Interesse, Russland gegenüber eine schuldige Schwäche zu zeigen und zu glauben, dass wir alle Meinungsverschiedenheiten und Konflikte der Vergangenheit vergessen und uns gegenseitig in die Arme fallen sollten. Nein. Aber ich glaube, wir müssen die Grundlagen sehr sorgfältig überdenken.“

„Ich glaube, wir müssen eine neue Architektur aufbauen, die auf Vertrauen und Sicherheit in Europa basiert, denn der europäische Kontinent wird niemals stabil sein, wird niemals sicher sein, wenn wir unsere Beziehungen zu Russland nicht lockern und klären. Das liegt nicht im Interesse einiger unserer Verbündeten. Lassen Sie uns das klarstellen. Einige von ihnen werden uns dringend auffordern, Russland mehr Sanktionen aufzuerlegen, weil dies in ihrem Interesse liegt. … Das Ende des INF-Vertrags erfordert diesen Dialog [mit Russland], da die Raketen in unser Territorium zurückkehren würden.“

Hier der Link zu Macrons Rede:

https://www.elysee.fr/emmanuel-macron/2019/08/27/discours-du-president-de-la-republique-a-la-conference-des-ambassadeurs-1

Nun hat Macron diese erstaunlich realistische Einschätzung, die für einen Staatsmann der NATO-Aggressionsgemeinschaft geradezu sensationelle ist, nicht irgendwo in einem Interview einer Provinzzeitung präsentiert. Nein, die Zitate stammen aus der Rede, die der französische Präsident einmal im Jahr als Einweisung vor den französischen Botschaftern hält, die speziell zu diesem Zweck von ihren Posten rund um den Globus nach Paris einberufen werden.

Vor diesem Hintergrund kann man jetzt vielleicht besser Macron jüngsten Tabu-Bruch verstehen, als er die NATO als „hirntot“ bezeichnet hat. Mit seiner neuen diplomatischen und strategischen Ausrichtung steuert Macron konfrontativ der Russland Politik von Bundeskanzlerin Merkel und ihrem außenpolitischen Leichtfuß Maas entgegen. Zugleich weiß der französische Präsident die meisten westeuropäischen EU-Länder, einschließlich Ungarn, hinter sich, während Merkel für die russophoben Eliten in Polen und den baltischen Ländern gar nicht russenfeindlich genug sein kann.

Zu dieser Merkel Politik gehört auch die erschreckende Entwicklung, dass 30 Jahre nach dem Abzug der russischen Truppen und dem Ende des Friedensstaates DDR der Osten Deutschlands zum militärischen Aufmarschgebiet der US-NATO-Kräfte gegen Russland geworden ist. Anfang 2020 sollte mit dem wiedersinnig benannten NATO-Großmanöver Defender (Verteidiger) die größte NATO-Militärübung seit dem Ende des Kalten Kriegs mit Stoßrichtung Russland stattfinden, wobei allein 40 Tausend US-Soldaten und zehntausende Stück Militärtechnik, wovon die Hälfte aus den USA kommend, über Deutschland an die neue Front im Osten transportiert werden sollten. Nur das Corona-Virus hat den US-NATO- und deutschen Kriegstreibern einen Strich durch die Rechnung gemacht. Aber inzwischen laufen schon die Vorbereitungen für die nächste „Defender“ oder besser „Aggressor“ Übung der US-NATO für 2021. Das alles spricht eine deutliche Sprache, in welchem Land und mit welchen Politikern wir leben.

Alle Kräfte sind aufgerufen zusammenzuwirken, um eine friedliche Entwicklung für die nachfolgenden Generationen zu sichern. Unser Land darf kein Aufmarschgebiet für einen neuen Krieg gegen Russland werden. Widerstand ist geboten, wenn die Herrschenden in Deutschland aus Vasallentreue gegenüber dem US-Regime wieder leichtfertig mit dem Feuer des Kriegs spielen. Wer Deutschland liebt und es erhalten möchte, egal in welcher Partei er ist, egal welche Lebensansichten er vertritt, oder welchem Glauben er anhängt, uns allen muss eins klar sein: Nur im Frieden mit unseren Nachbarn, besonders aber mit unserem europäischen Nachbarn Russland, hat Deutschland angesichts der Zerstörungskraft der modernen Waffen eine Überlebenschance.

Das hat der französische Präsident Macron für sein Land längst verstanden, während unsere politische Führung weiter vor Washington kriecht.

Rainer Rupp Den 07.08. 2020

Der Beitrag wurde veröffentlicht in einer Broschüre des OKV (Ostdeutsches Kuratorium von Verbänden e.V.) am 05. Oktober 2020