Von Rainer Rupp
Hier geht es zum ersten Teil.
Die defätistischen Botschaften in den Mainstream-Medien des Kollektiven Westens nehmen rasant zu. Bei den Eliten der USA, NATO und EU wächst die Einsicht, dass sie mit ihrem Krieg gegen Russland etwas angefangen haben, das sie nicht mehr kontrollieren können. Das angerichtete Chaos könnte sie selbst hinwegschwemmen, denn sie haben keinen Plan B.
Das Ziel des von Washington angeführten Kollektiven Westens war gewesen, Russland wirtschaftlich und militärisch in seinen Grundfesten so stark zu erschüttern, dass es geschwächt und unter Verlust seines Großmachtstatus aus dem Ukraine-Krieg hervorgehen würde. Danach könnte sich NATO-Europa gemeinsam mit der Ukraine weitgehend allein um Restrussland kümmern, was den USA erlauben würde, ihre ganze Aufmerksamkeit China zu widmen, das sie bereits seit Jahren zu ihrem Hauptgegner erklärt haben. Tatsächlich ist als Ergebnis des Ukraine-Kriegs bereits jetzt das komplette Gegenteil der Zielvorstellungen der West-Eliten herausgekommen. Das hat unter anderem folgende Gründe:
- Russland hat (vorerst) vier neue Industrieregionen mit einer knapp 4 Millionen zählenden, gut ausgebildeten Bevölkerung, in der Regel ethnische Russen, in sein Territorium integriert und seine Grenze geografisch in Richtung der NATO-Länder verschoben.
- Die Rest-Ukraine wird als Agrarstaat erheblich kleiner und kaum lebensfähiger sein oder gar nicht mehr existieren und von Polen, Ungarn und Rumänien übernommen. Alle drei Länder erheben Ansprüche auf Teile des westukrainischen Territoriums wegen der jeweils dort lebenden eigenen ethnischen Minderheit. Es ist zu erwarten, dass die hauptsächlich in der Westukraine beheimateten, schwer bewaffneten ukrainischen Nationalisten und Nazi-Bataillone dies nicht tatenlos hinnehmen. Damit wird die Ostgrenze der NATO nicht ruhiger, sondern erheblich instabiler. Die NATO und die EU werden höchstwahrscheinlich ein großes Problem in diesen Regionen bekommen, die aktuell noch zur Westukraine gehören.
- Die Niederlage des ukrainischen Projekts des Westens hat der Welt nicht nur vor Augen geführt, dass die NATO obsolet ist, sondern auch innerhalb der NATO wird den Verbündeten in Europa klar, dass die Allianz inzwischen unfähig geworden ist, ihre eigene Verteidigung zu garantieren. Dagegen ist Russland bereits jetzt aus dem Konflikt in eine Position der Stärke und größeren Glaubwürdigkeit in politisch-militärischen Angelegenheiten hervorgegangen.
- Aus diesem Krieg wird Russland als militärische, wirtschaftliche und politische Macht einfach besser vorbereitet hervorgehen und eine führende Rolle bei der globalen Entscheidungsfindung spielen. Das vor Jahren auch in Westeuropa geschätzte Diktum, dass “es ohne Russland in Europa keine Sicherheit geben kann und gegen Russland erst recht nicht”, hat sich erneut bestätigt und scheint aufgrund von Russlands enorm gewachsenem Prestige zunehmend globale Dimensionen anzunehmen.
- Die NATO hingegen wird auf dem absterbenden Ast sitzen, insbesondere die EU-Länder ‒ mit dahinsiechenden Wirtschaften, mit leeren militärischen Arsenalen und diskreditierten “Wunderwaffen”.
- Mit der militärischen Überlegenheit Russlands, die sich auf dem Schlachtfeld und nicht in der Propaganda gezeigt hat, ist auch der Versuch, Russland durch den Beitritt Finnlands und Schwedens noch enger einzugrenzen, zu einer größeren Gefahr für die beiden Länder geworden. Beide Staaten hatten seit Jahrzehnten gute Beziehungen zu Moskau, erst zur Sowjetunion und dann zu Russland. Jetzt haben die transatlantischen Eliten dieser Länder, ohne Volksbefragung, die Sicherheit ihrer Neutralität gegen die Unsicherheit einer Mitgliedschaft in einer abgehalfterten, aber aggressiven, US-dominierten NATO eingewechselt. Dadurch sind Finnland und Schweden in die Schusslinie der Waffen Russlands gekommen, die sich als überlegen erwiesen haben, ohne von der von der NATO versprochenen Verteidigungsfähigkeit profitieren zu können – sie haben Neutralität und Frieden gegen Unsicherheit eingetauscht.
- Angesichts der wirtschaftlichen Erstarkung Russlands und der gleichzeitigen Schwächung der EU und der Veränderung des Kräfteverhältnisses zwischen dem Kollektiven Westen und dem Globalen Süden werden es die Russische Föderation und der Globale Süden sein, die aus dieser Entwicklung als klare Sieger hervorgehen werden. Vor allem Russland hat als Gesellschaft bewiesen, dass es in der Lage ist, sich weitgehend auf sich allein gestellt gegen den westlichen Druck zu behaupten und seine Souveränität zu bewahren, ohne sich im Geringsten dem Diktat der USA/EU/NATO zu unterwerfen.
- Der Kollektive Westen wird, wenn er in Zukunft überleben will, lernen müssen, in einer gemeinsamen Welt, in der Russland ein wichtiger Akteur ist, auf Augenhöhe mit anderen Ländern zu leben, statt zu versuchen, mit Drohungen und Gewalt den anderen seine “regelbasierte Ordnung” aufzuzwingen, die keine Ordnung ist, sondern immer nur Chaos, Krieg und Verwüstung zum Profit der US-Eliten und deren Vasallen gesät hat.
- Angesichts des Sieges Russlands – der von Anfang an zu erwarten war – hat sich in vollem Umfang gezeigt, dass die militärische Überlegenheit der NATO nicht existiert. Die USA und NATO hinken nicht nur in der konventionellen Kriegsführung, wie sie derzeit in der Ukraine stattfindet, in ihren dazu nötigen industriellen und technischen Fähigkeiten um 10 bis 15 Jahre hinterher, um Russland ernsthaft Paroli zu bieten. Noch mehr gilt dies für viele elementare Schlüsselbereiche der modernen Kriegsführung: die Beherrschung der elektronischen Kriegsführung in Angriff und Abwehr, bei der Flugabwehr sowie bei der Raketentechnik, wobei nicht nur die Hyperschall-Systeme gemeint sind, sondern auch deren Manövrierbarkeit. All das macht aus der NATO ein Bündnis ohne Zukunft, das niemanden schützen kann.
Es wird noch eine Weile dauern, bis diese neue Realität in der Korrelation der Kräfte bei den abgehobenen, wirklichkeitsfremden West-Eliten richtig angekommen ist. Aber jetzt schon kann man mit ziemlicher Sicherheit sagen, dass zuerst die EU und dann die USA ihre Aura als Beschützer der neokolonialen “freien Welt” schon bald gänzlich verlieren werden, auch wenn sie derzeit geradezu hysterisch versuchen, sich dieser Entwicklung zu widersetzen.
- Das Prestige, das Russland in diesem Prozess gewinnt, wird ihm zahlreiche Verhandlungsvorteile bringen, sowohl mit dem Rest der Welt als auch mit der EU, die wahrscheinlich diese Krise in ihrer jetzigen Form nicht überdauern wird. Egal ob mit oder ohne EU, wenn die Länder in Westeuropa sich wirtschaftlich erholen und für die Zukunft Sicherheit und Stabilität haben wollen, dann kann das ohne Russland als Partner nicht gehen. Es ist also die EU, die in Zukunft mit “mehr Russland” leben muss, und auch die USA werden lernen müssen, mit einer Welt mit “mehr Russland” umzugehen ‒ im Gegensatz zu dem, was sie am Anfang so lautstark als ihr Ziel propagiert haben!
Wie bei allem, was mit dem Kollektiven Westen zu tun hat, führten Illusionen letztlich zu Ernüchterung und Versprechen schnell zu Schulden, die immer schwieriger zu begleichen waren. Die Eliten waren und sind immer noch gefangen in einer kurzfristigen Vision, die auf der Logik ihres persönlichen politischen Überlebens um jeden Preis beruht, und für die politische Macht nur dazu dient, um ihren eigenen gesellschaftlichen Status zu behaupten. Dies scheint heute symptomatisch für die Eliten im gesamten Kollektiven Westen. Aber früher oder später setzt sich dann doch die Realität durch und zerstört das Fundament des Narrativs, auf dem bisher ihre Macht geruht hat. Dann beginnt das Heulen und Zähneknirschen. Diese Phase scheint auch in Europa bereits begonnen zu haben. Zunehmend gibt es unter den West-Eliten gegenseitige Schuldzuschreibungen für das angerichtete Chaos, und mit etwas Glück werden sie sich bald gegenseitig politisch zerfleischen.
Dagegen will ein Teil der neokonservativen Kriegstreiber in den USA sogar noch mehr Kriege, an noch mehr Stellen, rund um die Welt. Nach deren Vorstellungen kann das aktuelle Chaos nur durch noch mehr Chaos, durch eine gigantische Katharsis in einem Weltenbrand geordnet werden, aus dem die USA als alleiniger Sieger und Hegemon für das nächste Jahrhundert hervorgehen. Sie gehören dem “Tiefen Staat” an und ihnen ist die Wählergunst egal. Sie wollen ihren großen Krieg, um Iran zu vernichten, Russland aufzuteilen und China zu schwächen.
Die andere Fraktion der US-Falken, die aus dem politischen Establishment kommt, sieht in einer Fortsetzung des Krieges in der Ukraine oder einer Ausweitung des Konfliktes im Nahen Osten die Gefahr ihres eigenen politischen Untergangs. Beide Fraktionen der Kriegstreiber sind derzeit in Washington gleich stark. Der Trend bei den US-Wählern favorisiert jedoch zunehmend die Fraktion, die nicht auf den “totalen Krieg” setzt.
Zuerst erschienen bei RT Deutsch am 8 Jan. 2024