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Dem profilierten DDR-Historiker und MfS-Analytiker Klaus Eichner zum 80. Geburtstag.
Von Frank Schumann
Es war nach der Jahrtausendwende und das Auto unterwegs nach Hoyerswerda. Ein Häuflein Versprengter, ehemalige Genossen diverser Diensteinheiten, wollte mit den beiden über ein aktuelles Buch diskutieren. Die Publikation war wie meist nur der Aufhänger. Bei solchen Zusammenkünften ging es in der Regel um Selbstvergewisserung und Selbstermutigung. Die Revolutionäre von einst wollten sich von den Konterrevolutionären und ihren allgegenwärtigen Hilfstruppen nicht einreden lassen, sie hätten bis ’89 nur Mist gemacht und gehörten darum auf den Müllhaufen der Geschichte. Aber an dieser Überzeugung festzuhalten fiel schwer angesichts der Vereinzelung und des gewaltigen Heulens der Wölfe.
»Ich höre auf«, sagte Klaus Eichner unvermittelt. »Ich fühle mich überfordert. Und außerdem bin ich nicht mehr ganz gesund, wie du weißt.« Gotthold Schramm hinterm Lenkrad schaute unverändert geradeaus und sagte ein paar Kilometer nichts. Dann, ungewöhnlich ruhig und ohne Blick auf seinen Beifahrer: »Ich nehme die Kündigung nicht an!«
Die beiden haben, zumindest in meinem Beisein, nie wieder darüber gesprochen. Und weiter gemeinsam Bücher herausgebracht und vorgestellt. Sie waren – Gotthold Schramm verstarb am 18. Mai vor einem Jahr – jene beiden produktiven Personen der Zeitgeschichte, die als profilierte Insider das wahre Bild von der DDR-Aufklärung vermittelten. Unter anderem waren sie maßgeblich beteiligt an der Entstehung einer achtbändigen Geschichte der HV A. Dafür wurden sie des »Geschichtsrevisionismus« und der »Apologetik« geziehen.
Eichner und Schramm gehörten zu den Initiatoren des »Insiderkomitees zur Förderung der kritischen Aneignung der Geschichte des MfS«, deren erster Sprecher Oberst a. D. Klaus Eichner war. Und von ihm ging in den frühen 90er Jahren auch die Initiative aus für die »Zwiegespräche« in der Berliner Erlöserkirche, bei denen sich die sogenannten Täter und Opfer sachlich austauschten.
Der gebürtige Vogtländer Klaus Eichner, mehr als drei Jahrzehnte beim MfS, suchte nämlich stets die Offensive. Er tat dies zeitlebens überlegt, mit Bedacht, ganz wie man es von einem Analytiker erwarten konnte. Eichner leitete nämlich in der Abteilung IX – das war die Gegenspionage in der Aufklärung – den Bereich C, also Auswertung und Analyse. Er war im MfS der Chefanalytiker der Geheimdienste der USA.
Eichner hatte im Fernstudium ein Juradiplom an der Humboldt-Universität gemacht, nach der »Wende« studierte er dort auch Umweltschutz und Ökologie, war in diesem Bereich auch einige Zeit tätig, um sich in der Freizeit ganz der »Geschichtsklitterung« hinzugeben, der er in der bürgerlichen Presse bezichtigt wurde. Nur einmal wurde er dort fair und korrekt behandelt. Das war 2014. Snowden hatte die Aktivitäten der US-Spitzelvereinigung NSA offengelegt, und es war publik geworden, dass selbst die Bundeskanzlerin seit Jahren von den US-Amerikanern abgehört worden war. Und Eichner, darüber nur lächelnd, verriet in seinem Buch »Imperium ohne Rätsel« (Edition Ost), was die DDR-Aufklärung über die NSA bereits gewusst hatte. Mit Hilfe von Inoffiziellen Mitarbeitern (IM) war die Hauptverwaltung Aufklärung in den Besitz entsprechender Dokumente gekommen. Diese Papiere waren am 4. Oktober 1990 im Auftrag des damaligen Bundesinnenministers Wolfgang Schäuble von Beamten des Bundesgrenzschutzes sichergestellt und ohne Sichtung in die USA ausgeflogen worden.
Darüber berichtete Klaus Eichner am 15. Mai 2014 auch in den Räumen der Bundeszentrale für politische Bildung in der Berliner Friedrichstraße. An der Podiumsdiskussion nahmen unter anderem der Whistleblower William Binney und der damalige Washingtoner Spiegel-Korrespondent Holger Stark teil. Sie bestätigten dem staunenden Publikum, dass die Mitte der 80er Jahre von der DDR-Aufklärung entdeckte National Sigint Requirements List (NSRL), das Programm der USA zur systematischen Ausspähung und damit Beherrschung der Welt, laufend aktualisiert werde. Von wegen Geschichtsklitterung! Ein Bundestagsabgeordneter der Grünen, für ihre tiefsitzenden Vorurteile und Aversionen gegenüber dem MfS bekannt, suchte anschließend das Gespräch mit Eichner. Und der Spiegel sprach mit dem »ehemaligen DDR-Offizier Klaus Eichner« (25/2014) – das Kainsmal und Kürzel »MfS« kam in dem Interview nicht ein einziges Mal vor. Am heutigen Samstag wird der Aufklärer Klaus Eichner 80. Wir ziehen den Hut und sagen: Danke.
Erschienen in der jungen Welt vom 04.05.2019