Der Gipfel der Heuchelei
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Ein Kommentar von Rainer Rupp.
Angesichts der geheimen Absprache zur Wahl des Ministerpräsidenten im Thüringer Landtag am 5. Februar zwischen der national-konservativen CDU, der neoliberalen FDP und der neoliberal-nationalistischen AfD fand die moralische Entrüstung der selbst erklärten „politisch Anständigen“ kein Ende. Da spielte es keine Rolle, dass trotz großartig zelebrierter Entrüstung der etablierten Politikereliten und des nicht enden wollenden Mediengetöses die Wahl des Ministerpräsidenten unter strikter Einhaltung demokratischer Spielregeln abgelaufen ist. Der beste Beweis dafür ist, dass keiner der Kritiker das Wahlergebnisses unter Verweis auf Missachtung der demokratischen Regeln kritisiert hat.
Dennoch wurde die Regionalwahl in Thüringen von den großkopferten Parteieliten in Berlin und ihren medialen Hofschranzen als ein Putsch, eine Art von Staatsstreich der AfD gegen unsere geheiligte „liberale Demokratie“ dargestellt. Dabei hat doch Frau Merkel und ihre fleißigen Helfer in den letzten 15 Jahren unser Land längst in eine „marktgerechte“, neoliberal-globalisierte Demokratur verwandelt, zu der es die Wähler angeblich „keine Alternative“ mehr haben. Im Zusammenhang mit der griechischen Finanzkrise hatte diese der damalige Bundesfinanzminister Dr. Schäuble dem griechischen Volk unumwunden erklärt.
Damals hatte die linksgerichtete, EU-kritische Partei Syriza für die Beendigung der brutalen Politik der Rentenkürzungen und des Sozialhilfeabbaus bei der Wahl die meisten Stimmen bekommen. Daraufhin hatte Schäuble die Griechen gewarnt, dass sie „wählen könnten, was sie wollten“, aber die TROIKA aus EU, EZB und IWF, würden unterstützt von Berlin dafür sorgen, dass die gleiche Politik fortgesetzt werde. Diese Aussage des Edeldemokraten Schäuble verurteilte später der Linke-Politiker Gregor Gysi in einer Rede im Bundestag (1) als „einen Angriff auf die Demokratie und auf demokratische Wahlen“.
Vielleicht sollte man auch Gysi in Bezug auf die Aufregung der Linken über die Ministerpräsidentenwahl in Thüringen an seine damalige Rede erinnern. Aber – so lautet der empörte Einwand – das ist doch diesmal etwas ganz anderes, denn es ist die AfD, die davon profitiert. Aha, die demokratischen Spielregeln gelten also nicht für Parteien, die in Teilen des Volkes zwar populär sind, aber den selbsternannte Edeldemokraten nicht gefallen. Aber dann kommt als Rechtfertigung für das undemokratische Vorgehen das bekannte Totschlagargument, dass die AfD ja gar keine demokratische Partei sei und ihre Mitglieder und Wähler aus in der Wolle gefärbten Nazis und Rassisten bestehen.
Das wird einfach so von CDU/CSU, SPD, FDP, Grünen und Linken Parteigrößen behauptet und von den Medien tagein, tagaus nachgeplappert. Eine juristische Grundlage dafür gibt es nicht. Vielleicht bringt ein Blick auf die Kriterien etwas mehr Klarheit, die seinerzeit das Bundesverfassungsgericht im Zusammenhang mit der NPD-Verbotsklage als verfassungsfeindlich herausgearbeitet hat.
Wenn die AfD tatsächlich – wie behauptet – verfassungsfeindlich wäre, müsste sie auf Grund der Kriterien des Bundesverfassungsgerichts eine „auf die Beseitigung der bestehenden freiheitlichen demokratischen Grundordnung“ gerichtete Partei sein, und beabsichtigen, „die bestehende Verfassungsordnung durch einen an der ethnisch definierten ‚Volksgemeinschaft‘ ausgerichteten autoritären Nationalstaat“ zu ersetzen. Außerdem müsste ihr politisches Konzept „die Menschenwürde“ verletzen und „mit dem Demokratieprinzip unvereinbar“ sein. (Aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes vom 17.01.2017).
Der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts hatte seinerzeit „den zulässigen Antrag des Bundesrats auf Feststellung der Verfassungswidrigkeit der NPD … einstimmig als unbegründet zurückgewiesen.“ Als Begründung für die Zurückweisung wurde u.a. genannt, dass
1. a) die NPD bedeutungslos sei.
2. b) „dass es (derzeit) an konkreten Anhaltspunkten von Gewicht“ fehle, „die es möglich erscheinen lassen, dass ihr Handeln zum Erfolg führt.”
und
3. c) dass die Führungsgremien der NPD so stark mit Agenten des Verfassungsschutzes durchsetzt waren, dass nicht mehr genau unterschieden werden konnte, welche Handlungen und politischen Positionen der NPD nun auch wirklich originär von der NPD und nicht vom Verfassungsschutz stammten. Deshalb hätte eigentlich der Verfassungsschutz verboten werden müssen, der die NPD de facto gelenkt und ihr Handeln zu verantworten hatte.
Wenn von der Alternative für Deutschland wirklich die von allen Seiten behauptete große Gefahr für unsere Demokratie ausgeht, dann ist die Frage gerechtfertigt, warum gibt es keinen neuen Verbotsantrag beim Bundesverfassungsgericht? Analog zum NPD-Urteil kann das verschiedene Gründe haben:
- Da die AfD anders als die NPD von ihrer Größe und von ihrem politischen Handeln alles andere als bedeutungslos ist, greift dieser Punkt nicht.
- Liegt es dann wie bei der NPD am Fehlen ausreichender, konkreter Anhaltspunkten von Gewicht?
- Oder trifft auch das Beispiel NPD auch auf die AfD zu, dass nämlich die Unterwanderung ihres Führungspersonals durch Agenten des Bundesverfassungsschutzes derart stark ist, dass ein Verbotsantrag der AfD von vornherein keine Chance hat und deshalb auch keiner gestellt wird.
Solange aber die AfD nicht verboten ist, gehört sie zum Parteiensystem der bürgerlichen Demokratie wie jede andere Partei auch. Und zur Erinnerung: Demokratie ist, wenn der Bürger und Wähler der Souverän im Lande ist und nicht die Parteieliten. Zur Demokratie gehört auch, dass die Parteieliten Wahlergebnisse akzeptieren müssen, die ihnen nicht gefallen.
Wo im politischen Spektrum würde man z.B. ein System verorten, in dem der Regierungschef auf Staatsbesuch in Süden Afrikas weilt und von dort das Wahlergebnis in einer Provinz zu Hause für ungültig erklärt, woraufhin sofort alle untergeordneten Funktionsträger zu Hause den aus der Ferne diktierten Willen des Regierungschefs gehorsamst umsetzen? Ist das Demokratie? Und zu allem Überfluss wird dann dieses Beispiel einer autoritären Herrschaft auch noch von den angeblich freien und unabhängigen Medien bejubelt.
Man stelle sich nur mal vor, der russische „Bösewicht“ Putin und nicht unsere sakrosankte Kanzlerin Merkel hätte sowas gemacht.
Professor Mausfeld hat dazu auf den Nachdenkseiten bemerkt (2), dass die aktuellen Empörungen über den „Dammbruch“ in Thüringen „in weiten Teilen vorgeschoben“ sind. Weiter führte er aus:
„Der Kampf der politischen Zentren der Macht gegen Rechts war und ist in Wahrheit immer ein Kampf gegen Links. Es ist beschämend, wie eilfertig weite Teile der Linken auf die ausgelegten Wortköder hereinfallen und Arm in Arm mit Merkel und Seehofer ihre Entschlossenheit im Kampf gegen Rechts bekunden – jeder wirklich Linke müsste es als eine Beleidigung empfinden, wenn ihn die Mächtigen zum Kampf gegen Rechts auffordern! Mit dieser Strategie hat es die neoliberale Mitte geschafft, die Linke in permanente Angst zu versetzen, als rechtsoffen zu erscheinen, und sie wichtiger Kernthemen beraubt.“
Ohne nachzudenken haben sich viele, allzu viele Linke von dem immer noch anhaltenden Empörungsstrom mitreißen lassen. Sie waren sofort bereit, auf die Barrikaden zu gehen und die vom neo-liberalen Establishment gewünschten politischen Steine zu werfen. Leider sind die meisten fest überzeugt, auf der Seite der Guten zu stehen. Und es wurde auch alles getan, um sie in diesem Glauben zu bestärken.
Sogar die gewerkschaftliche Dachorganisation DGB bot in zahlreichen Orten in Hessen bequeme Busse zur kostenfreien Hin- und Rückfahrt (3) zur Empörungsdemo gegen Rechts nach Erfurt an. Daneben wurden zusätzlich Busse von Hessen nach Erfurt auch vom Förderverein Fritz Bauer Institut, von der Bernd-Reisig-Stiftung, Aufstehen gegen Rassismus Rhein-Main, von medico international, attac Frankfurt, Demokult e.V. vom Bündnis „Unteilbar“ und anderen finanziert.
Mit der Demonstration unter dem Motto „Nichtmituns -Kein Pakt mit Faschist*innen – niemals“ wollten die Gut-Wessis offensichtlich die rechtslastigen Thüringer Wähler zurück auf den Pfad der „demokratischen Tugenden“ bringen. Die von ihnen benutzten, arroganten Worthülsen waren für diesen Zweck jedoch denkbar schlecht geeignet, zumal sie aus jedem AfD-Wähler pauschal einen Nazi machten, mit dem man nicht redet und an dessen Meinung man auch nicht interessiert ist: Hier einige Zitate aus den linken Aufrufen:
„Innerhalb von FDP und CDU gibt es die Bereitschaft zur Zusammenarbeit mit der AfD. Wir sind zutiefst empört. Die Konsequenz für alle Demokrat*innen muss sein: Mit der AfD darf es keine Kooperation geben – nicht im Bund, nicht in den Ländern und nicht auf kommunaler Ebene! Wer mit Faschist*innen paktiert, hat die ganze solidarische Gesellschaft gegen sich! Wir werden unseren Protest lautstark zum Ausdruck bringen.“
Viele der lautstark agitierenden Linken, bezeichnen sich selbst gerne als tolerant. Das äußert sich jedoch sehr einseitig. Die außerparlamentarische Linke scheint derart total auf den Kampf gegen die angeblichen Faschisten der AfD fokussiert zu sein, dass sie zu keinem nennenswerten Protest gegen die neoliberale Ausbeuter- und aggressive Außenpolitik der Bundesregierung und der Kanzlerin Merkel mehr fähig ist.
Sicherlich gibt es in der AfD bis in die Führungsspitze Leute, die mit faschistischem oder völkischem Gedankengut schwadronieren. Aber solche Leute gab es zuhauf über viele Jahrzehnte hinweg an den Spitzen der staatstragenden, angeblich so demokratischen Parteien der Bundesrepublik vor allem in der CDU/CSU und FDP. Bis tief in die Wolle gefärbte, echte Faschisten, mit echtem Blut an den Händen, erklommen höchste Positionen in Partei und Staat. Damals hätte niemand im staatstragenden Mainstream geschrieben: „Wer mit Faschist*innen paktiert, hat die ganze solidarische Gesellschaft gegen sich!“ Das Gegenteil war nämlich der Fall.
Bis weit in die 1980er Jahre hat die ganze „solidarische Gesellschaft“ der Bundesrepublik hervorragende mit Alt-Nazis paktiert. Spontan fällt mir hier der „Nazi-Richter“ Hans Filbinger ein, der es in der CDU bis zum Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg gebracht hatte – trotz seiner in engeren Kreisen bekannten Nazi-Vergangenheit, einschließlich der von ihm gefällten Todesurteile. Erst der Dramatiker Rolf Hochhuth hatte 1978 Filbinger als „furchtbaren Juristen“ öffentlich enttarnt.
Aber da wäre auch noch der ehemalige CDU-Bundespräsident Heinrich Lübke, der als Architekt und Bauleiter am Konzentrationslager Mittelbau-Dora gearbeitet hatte. Exakt nachgewiesen hat all dies der Historiker Jens-Christian Wagner 2001 in dem Buch „Produktion des Todes – Das KZ Mittelbau-Dora“. Daher stammt der Begriff vom Bundespräsidenten und ehemaligen KZ-Bauleiter Lübke.
Karl Carstens war ein weiterer Nazi der ersten Stunde, der es nach dem Krieg bis zum Bundespräsidenten gebracht hat. 1933 war er Mitglied des Nazi-Sturm Abteilung SA und dann bis 1945 in der NSDAP. Später hatte die „solidarische Gesellschaft“ der Alt-Nazis den CDU-Politiker zuerst zum Präsidenten des Deutschen Bundestages und dann von 1976–1979 zum Bundespräsident gemacht.
Ein Link zur Liste ehemaliger NSDAP-Mitglieder (4), die nach 1945 noch Jahrzehnte in der Bundesrepublik in hohen und höchsten Ämtern politisch tätig waren ist am Ende desTextes beigefügt:
Diese Liste zeigt, wie rechte oder rechtsextreme Haltungen seit Beginn der Bundesrepublik in den Parteien der sogenannten „Mitte“ fest verankert waren und sind. Aber auch SPD- und Grüne Spitzenpolitiker haben keine Probleme mit Faschisten, wie z.B. mit den waschechten faschistischen Verbrechern in der Ukraine zusammen zu arbeiten. Dort zeigten sich die deutschen Musterdemokraten, einschließlich Bundespräsident Steinmeier (SPD), sogar auf Fotos aus der deutschen Botschaft in Kiew, in trauter Eintracht mit brutalen ukrainischen Nazis und Rassisten. Denen haben sie Millionen unserer Steuergelder zugeschustert, als Unterstützung für deren brutalen Kriegszüge gegen ihre andersdenkenden Mitbürger in der Ostukraine.
Die jetzt auf Seiten der Linken diskutierte Einbindung ihrer Partei in die so genannte „demokratische Mehrheit“ in Thüringen, unter Beteiligung der CDU, ignoriert fahrlässig die gefährliche Rolle, die diese Parteien der „Mitte“ in der Bundesrepublik gespielt haben. Erst durch sie war das Großkapital überhaupt in der Lage, auf allen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Ebenen die zersetzende Ideologie des Neoliberalismus durchzusetzen. In der Person von Friedrich Merz (CDU) ist diese Verflechtung erst jüngst wieder offenkundig geworden, schreibt Andreas Wehr (5), Mitbegründer des Marx-Engels-Zentrums Berlin.
Auch in der Außenpolitik seien „die Unionsparteien die entschiedensten Verteidiger von NATO und massiver Aufrüstung“, so Wehr. „Sie befürworten die Ausdehnung von Bundeswehreinsätzen weltweit, und in ihrer aggressiven Haltung gegenüber Russland und China lassen sie sich von niemandem überbieten. Schließlich kontrollieren sie auch weiterhin die Nachrichtendienste und die Bundeswehr. Den Ausbau der EU als antidemokratisches Projekt treiben sie voran. Diese Kräfte sind weiterhin sehr viel stärker als die Gesamtheit der in der AfD organisierten 33.000 Mitglieder“, findet Wehr.
Das sollte sich jeder Aktivist vor Augen halten, wenn ihn die Mächtigen zum Kampf gegen Rechts auffordern! Die bei weitem größte Gefahr für unsere Gesellschaft für Demokratie und Frieden geht nämlich von der neoliberalen „Mitte“ aus und nicht von der AfD, die von dieser Mitte zum Popanz aufgebauscht wird.
Quellen:
- https://deutsche-wirtschafts-nachrichten.de/2015/07/01/sehr-starke-rede-zur-griechen-tragoede-gysi-entzaubert-die-selbstgefaellige-kanzlerin
- https://www.nachdenkseiten.de/?p=58488
- https://frankfurt-rhein-main.dgb.de/termine/++co++a999a896-4c9f-11ea-82ec-52540088cada
- https://de.wikipedia.org/wiki/Liste_ehemaliger_NSDAP-Mitglieder,_die_nach_Mai_1945_politisch_t%C3%A4tig_waren
- https://www.andreas-wehr.eu/die-linke-thueringens-bestandteil-einer-demokratischen-mehrheit.html
Zuerst erschienen bei KenFM Tagesdosis am 21.2.2020