Von Evelyn Hecht-Galinski*
Wenn uns die Geschichte lehrt, dass es „Nie wieder Krieg und Völkermord“ geben darf, dann muss sich gerade Deutschland daran erinnern und endlich beginnen, seine Lehren daraus zu ziehen. Solange sich Bundeskanzler und Bundespräsident aber so einseitig auf die Seite der jüdischen Besatzer stellen, ist jeder Konsens mit dieser Politik unmöglich. Der Holocaust macht Juden nicht zu Heiligen, wie es hier zelebriert wird. Vielmehr zeigt sich hier eine Affinität zu einer rechtsextremen Polemik, wie es auch schon in der Ukraine-Politik vorgemacht wurde. Hier zeigt sich eine gefährliche politische Tendenz, der vehement widersprochen werden muss. Wenn der deutsche SPD-Bundeskanzler Scholz unverdrossen von „Israels Selbstverteidigungsrecht“ spricht und darauf beharrt, angesichts über 5.500 ermordeter Kinder in Gaza und mehr als 13.000 unschuldiger palästinensischer Zivilisten, dann ist das eine Schande für Deutschland. „Israel tötet palästinensische Zivilisten mit von den USA bereitgestellten Waffen in historischem Ausmaß“ (Dave Camp-Anti-War)
Es ist Palästina, das um seine Existenz kämpft
Deutsche oberste Repräsentanten überbieten sich in ihren Solidaritätsbesuchen im „jüdischen Staat“. Momentan ist es Bundespräsident Steinmeier, der zusammen mit der Bundestagspräsidentin Bas Israel besucht. Meint er doch tatsächlich und allen Ernstes, dass es das hochgerüstete und sogar im Atombesitz befindliche Land ist, das „um seine Existenz kämpft“. Er blickt – wie er meinte – in Israels, „verletzte Seele“. Es gibt in diesem ungleichen Kampf nur eine Seite, die um den letzten Rest der Existenz kämpft und schon seit langem „verletzte Seelen“ und mehr zu beklagen hat – und das ist Palästina/Gaza.
Wenn die Bundestagspräsidentin „besorgt über mangelnden Rückhalt“ in Deutschland für Israel ist, dann ist dieser „mangelnde Rückhalt“ doch mehr als verständlich. Warum wohl? Weil der größte Teil der deutschen Bevölkerung verstanden hat, was „Nie wieder“ bedeutet. Nie wieder Krieg, Besatzung und Unterdrückung! Und das gilt eben auch für Palästina. Wenn Deutschlands Ampel-Regierung erneut auf der falschen Seite der Geschichte steht, dann ist das zu kritisieren. Keine Staatsräson für die Sicherheit Israels ohne die Staatsräson für Palästinas Sicherheit! Davon kann aber keine Rede sein. Es ist einseitige Unterstützung für den „jüdischen Apartheidstaat“, was so betroffen macht.
Während einer israelischen NGO, Yesh-Din, Gelder blockiert, Zahlungen von Deutschland ausgesetzt werden – wie die Direktorin Ziv Stahl berichtet (1) – versprachen Steinmeier und Bas anlässlich ihres Besuchs des Kibbuz Be`eri 7 Millionen Euro an den Kibbuz und die ganze Gegend wieder aufzubauen und diese Orte wieder „blühen zu lassen“. Übrigens wurden in dem von der Hamas überfallenen Kibbuz viele Bewohner von israelischen „Verteidigungssoldaten“ getötet, wie mehre israelische Medien berichteten. (2)(3)
Zionistische Strategie: Entmenschlichung der Palästinenser:
Welche „Werte“ leitet die deutsche viel beschworene „wertegeleitete deutsche Außenpolitik“? Die Werte des „jüdischen Faschismus“, der schon lange die Kontrolle über den „jüdischen Staat“ übernommen hat? Erleben wir nicht eine fehlende Empathie für die palästinensischen Opfer, die ein solches Ausmaß des Verbrechens und der Rache erleben müssen? Medien interessieren sich nur für israelische Geiseln, wenn sie im Rahmen einer 6-tägigen Feuerpause von der Hamas freigelassen werden, während palästinensische Gefangene, meist Jugendliche und Frauen, „freigepresst“ wurden. Man beachte bitte die feine sprachliche Differenz! Man zweifelt sogar die Aussagen israelischer Geiseln nach ihrer Freilassung an, dass es ihnen den Umständen entsprechend gut ging.
Diese Form der Entmenschlichung der Palästinenser ist eine der bekanntesten zionistischen Strategien seit Staatsgründung. Mit falscher und einseitiger Propaganda wird Hass gegen Widerstand, gegen Palästinenser und die Hamas geschürt. Mit Verboten von Hamas und Samidoun, dem Netzwerk für palästinensische Häftlinge, um die sich sonst niemand kümmert, versucht die Bundesregierung ihre Solidarität mit Israel nochmals unter Beweis zu stellen. Mit neuen Gesetzen sollen wir, die Bevölkerung, eingeschüchtert und zum Schweigen gezwungen werden. Kann man so eine „Israel-Liebe“ erzwingen? Genau das Gegenteil ist der Fall. Diese Art der Politik hat Deutschland schon einmal in sehr ähnlicher Form erleben müssen. So richtet sich auch der Protestruf „vom Fluss bis zum Meer“ nicht gegen Israelis oder Juden, sondern gegen die Apartheid in Israel. Deshalb wollen pro-israelische westliche Politiker und Medien ihn kriminalisieren. (4)
Tatsächlich war der 7. Oktober ein Wendepunkt im Dunkel der Besatzung. Da erhob sich Widerstand, der in die Geschichte eingehen wird. Die Besatzer erlebten einen kleinen Teil des Terrors, den die Besetzten andauernd erleben müssen. Nein, es war kein Holocaust und es war nicht vergleichbar. Es war ein brutales Aufbäumen gegen die Unterdrückung. Die Hamas bewies am 7. Oktober, dass der palästinensische Widerstand selbst unter Drohnenüberwachung, Abfangsystem „Iron Dome“, nicht ganz verhindert werden kann. Diese Palästinenser haben gezeigt, dass Widerstand möglich ist, wenn auch nur in begrenztem Umfang.
Endziel Israels: völkermörderische Auslöschung Palästinas
Was also lag für Israel danach näher, als endlich die Gelegenheit zu haben, das Endziel der völkermörderischen Auslöschung zu erreichen. Israel hatte nie ein Interesse an einem gerechten Frieden mit den Palästinensern. Wie das israelische Regime die etwa 2,3 Millionen Palästinenser seit Jahren im Konzentrationslager Gaza gefangen hielt, auf ein Minimum reduziert, eine „Zwangsdiät“ unter dem Existenzminimum aussetzte, ihnen die medizinische Grundversorgung, Lebensmittel, Wasser und Strom, Treibstoff vorenthielt, war schon ein unhaltbarer Zustand. Zermürbt durch Kriege und Tod und Zerstörung, wussten diese Widerstandskämpfer, dass sie nichts zu verlieren hatten, außer ihr Leben. Interessant, dass jeglicher palästinensischer Widerstand als Terror verunglimpft wird, während Juden, die im Warschauer Ghetto Widerstand leisteten, natürlich keine Terroristen waren und heroisiert wurden.
Während westliche Staaten, an vorderster Front Deutschland, den 7. Oktober, ganz nach israelischer Propaganda-Vorgabe, diesen Tag als „schlimmsten Judenmord nach dem Holocaust“ bezeichnen, wird der Warschauer Ghettoaufstand 1943 nicht als Beispiel zitiert. Dabei kann man die Situation der Palästinenser und der Juden im Warschauer Ghetto sehr wohl vergleichen. Auch die eingesperrten Juden leisteten Widerstand gegen die Nazi-Besatzung, die ihr Leben so unerträglich machte. Natürlich höre ich schon den Aufschrei der „Unvergleichlichkeit“, bricht er doch mit dem Tabu der „Einmaligkeit“. Aber wenn ich an die Schilderungen meiner Mutter, einer Überlebenden des Warschauer Ghettos denke, dann sehe ich diese Parallelen sehr wohl.
Ich erinnere mich auch an die Erzählungen meiner Mutter über einen der Kommandanten des Warschauer Aufstands, Marek Edelman, dem einzig überlebenden Anführer. Er sagte einmal: „Wir haben nur gekämpft, um die Deutschen daran zu hindern, den Zeitpunkt und den Ort unseres Todes selbst zu bestimmen. Nach dem Krieg verurteilte Edelman den Zionismus als rassistische Ideologie, mit der der Raub von palästinensischem Land gerechtfertigt wurde, stellte sich klar an die Seite der Palästinenser, unterstützte ihren bewaffneten Widerstand und traf sich mit palästinensischen Führern. Er wetterte gegen Israels Vereinnahmung des Holocausts zur Rechtfertigung der Unterdrückung des palästinensischen Volks. Edelman: „Jude sein heißt, sich auf die Seite der Unterdrückten zu stellen“ (5)(6) Edelman, der bekennende Anti-Zionist und entschiedener Gegner der zionistischen Besatzung, er der 2009 verstarb, wurde mit einem polnischen Staatsbegräbnis geehrt und in Israel als Persona non grata missachtet.
Israelischer Faschismus: dem Nazismus in seinem Anfangsstadium ähnlich
Schon 2018 warnte ein anderer Holocaust-Überlebender und führender Faschismus-Experte, Zeev Sternhell: „Wir sehen nicht nur einen wachsenden israelischen Faschismus, der dem Nazismus in seinem Anfangsstadium ähnelt“. Zeev Sternhell starb 2020. (7) Den Gazastreifen auszulöschen, ist schon lange der Traum von jüdischen Extremisten und Faschisten, wie der regierenden Koalition, einem Regime, das den zionistischen Traum von der jüdischen Vorherrschaft als von Gott gegeben betrachtet und dessen Erfüllung Netanjahu vor kurzem in seiner zweiten „Amalek“ Rede – nach 2010 – in Auschwitz prophezeite. (8)(9)
Ein durchgesickertes Geheimdienstpapier empfiehlt die gewaltsame und dauerhafte Umsiedlung der etwa 2,3 Millionen Palästinenser im Gazastreifen nach Ägypten auf die Sinai-Halbinsel. Das Ziel ist ein „reines“ Israel, gereinigt von palästinensischen „Verunreinigungen“, gegen „menschliche Tiere“, wie Kriegsminister Galant auf die Strategie der Entmenschlichung für diesen Krieg gegen Gaza zurückgriff. (10)(11)
Das beinhaltet auch den Kampf gegen „jüdische Verräter“, Juden die sich weigern, diese faschistischen Strategien zu übernehmen und sich stattdessen gegen diese Politik der ethnischen Säuberung, Apartheid und Besatzung wenden und diese nicht mittragen, Menschenrechtsaktivisten, Intellektuelle und Journalisten an vorderster Front. Dabei ist es so wichtig, dass es diese Juden gibt. (12)
Israels Siedlerkolonialstaat: auf Lügen gegründet
Von allergrößter Wichtigkeit ist es, dass alle Verbrechen des „jüdischen Staats“ dokumentiert werden. Waren es doch besonders palästinensische Journalisten, die Zielscheiben der israelischen Angriffe waren. Trotz Kennzeichnung als Presse wurden sie gnadenlos verfolgt. So wurden bislang 57 Journalisten und Medienvertreter getötet, 50 Palästinenser, 4 Israelis und 3 Libanesen. 11 Journalisten wurden verletzt, 3 gelten als vermisst und 19 wurden vom israelischen Regime verhaftet. Ganz zu schweigen von den unzähligen getöteten Familienmitgliedern von Journalisten, wie der gezielten Tötung des Al-Jazeera-Journalisten und Büroleiters in Gaza, Mohammed Abu Hatab und seiner 10köpfigen Familie. Ebenso die Abschaltung durch die israelische Besatzungsmacht von Internet und Kommunikation, wie sie schon mehrmals durch gezielte Bombardierungen geschah. Sie gehört zur gängigen Kriegsführung. Auch durch die gezielte und systematische Tötung von Journalisten lassen sich die Beweise und die Wahrheit nicht vernichten. (13)(14)(15)
Tatsächlich erleben wir ein mediales Aufrüsten der täglichen Kriegspropaganda für Israel und die Ukraine. Es ist eine Mediengleichschaltung der „besonderen Art“. Es ist eine Art der Kriegsführung. Israels Siedlerkolonialstaat wurde auf Lügen gegründet, und er wird durch Lügen aufrechterhalten. Wir erleben das schlimmste Gemetzel und die schlimmste ethnische Säuberung der Palästinenser seit der Nakba, der „Katastrophe“ von 1948, als gehe es um eine Seuche, die ausgerottet werden muss. Nein es geht eben nicht nur um die Hamas, es geht gegen Palästina und Palästinenser. Wenn der Gazastreifen platt gemacht ist, wird es gegen das Westjordanland gehen. (16)
Diese Zerstörung von Krankenhäusern und der Infrastruktur – Politik der verbrannten Erde – darf nicht unterstützt werden und schon gar nicht von Deutschland, dazu noch mit Verweis auf den Holocaust. Was für eine Verhöhnung der Opfer des Holocaust! Was für ein Revisionismus! Der Spruch meines Vaters, Heinz Galinski – „Ich habe Auschwitz nicht überlebt, um zu neuem Unrecht zu schweigen“ – ist ein Wegweiser für den deutschen Umgang mit dem „jüdischen Staat“. Seit 75 Jahren arbeitet der israelische Staat darauf hin, so viele Nicht-Juden wie möglich zu entfernen und alle verbleibenden Nicht-Juden der Apartheid zu unterwerfen. (17)
Unumgänglich: gleiches Recht für Alle – einschließlich der Palästinenser!
All das wird von Deutschland und seinen regierenden Politikern und Medien verschwiegen. Das Schweigen über das Gemetzel in Gaza liegt wie Mehltau über Deutschland. Solidarität mit Palästina ist das Gebot der Stunde – dringender denn je. Nicht das Märchen von der Zwei-Staatenlösung (die nie gewollt wurde) weiterspinnen, sondern endlich der traurigen Realität ins Auge sehen. Seit Ende der Merkel-Ära ist die Zahl der Siedler von 200.000 auf 700.000 angestiegen.
Die so genannte Staatsräson muss beendet werden. Diese Regierung hat abgewirtschaftet und versucht mit aller Gewalt, die deutsche Bevölkerung zum Schweigen zu bringen. Nein, Israel-Kritik ist kein Antisemitismus. Und Palästinenser und jüdische Aktivisten, die gegen das Unrecht in Palästina protestieren, sind keine Feinde der Demokratie, im Gegenteil. Wir alle wollen einen demokratischen Staat in Palästina/Israel für alle seine Bürger. Israels Existenzrecht muss ein demokratisches und gleiches Recht für alle Bürger sein – einschließlich der Palästinenser. Das ist es, was ein „Nie wieder“ bedeutet. Solange dieses Ziel nicht erreicht ist, ist eine Existenz-Garantie unerfüllbar. (18)
Fußnoten:
2) https://electronicintifada.net/content/evidence-israel-killed-its-own-citizens-7-october/41156
4) https://www.middleeasteye.net/opinion/israel-palestine-war-gaza-slogan-bigger-news-murder-babies
5) https://www.fairplanet.org/story/the-unbearable-double-standards-of-the-israeli-occupation/
6) https://www.linkedin.com/pulse/jewish-side-oppressed-marek-edelman-azizi-othman
7) https://www.aljazeera.com/opinions/2022/12/21/netanyahu-is-the-godfather-of-modern-israeli-fascism
(8) https://www.jpost.com/international/a-new-amalek-is-appearing-netanyahu-warns-at-auschwitz
(9) https://www.commondreams.org/news/netanyahu-genocide
(10) https://www.972mag.com/intelligence-ministry-gaza-population-transfer/
(13) https://cpj.org/2023/11/journalist-casualties-in-the-israel-gaza-conflict/
(16) https://consortiumnews.com/2023/11/22/chris-hedges-israels-war-on-hospitals/
(18) https://www.middleeasteye.net/opinion/israel-palestine-war-genocide-two-state-illusion
Evelyn Hecht-Galinski, Tochter des ehemaligen Zentralratsvorsitzenden der Juden in Deutschland, Heinz Galinski, ist Publizistin und Autorin. Ihre Kommentare für die NRhZ schreibt sie regelmäßig vom “Hochblauen”, dem 1165 m hohen “Hausberg” im Badischen, wo sie mit ihrem Ehemann Benjamin Hecht lebt. (http://sicht-vom-hochblauen.de/) 2012 kam ihr Buch “Das elfte Gebot: Israel darf alles” heraus. Erschienen im tz-Verlag, ISBN 978-3940456-51-9 (print), Preis 17,89 Euro. Am 28. September 2014 wurde sie von der NRhZ mit dem vierten “Kölner Karls-Preis für engagierte Literatur und Publizistik” ausgezeichnet.
Zuerst erschienen in Sicht vom Hochblauen am 28.11.2023